Panorama

Epidemiologe Ulrichs bei ntv "Kürzere Quarantäne ist ein ganz schmaler Grat"

Der Epidemiologe Timo Ulrichs - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Katrin Neumann - ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Der Epidemiologe Timo Ulrichs - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Katrin Neumann - ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Gesundheitsminister Lauterbach und die Länder wollen die Quarantäne angesichts der bevorstehenden Omikron-Welle verkürzen. Grundsätzlich befürwortet Epidemiologe Ulrichs das bei ntv, plädiert aber dafür, mit Augenmaß vorzugehen, um damit die Ausbreitung nicht noch zu begünstigen.

ntv: Die offiziellen Corona-Zahlen sind in Deutschland wegen Meldeverzögerungen wenig aussagekräftig. Wo stehen wir zu Beginn dieses Jahres in der Pandemie?

Timo Ulrichs: Diese Zahlen rund um Weihnachten und auch zwischen den Jahren sind nicht so gut zu verwerten. Wir sehen aber ja schon auch mit diesen unvollständigen Zahlen, dass wir einen leichten Anstieg haben und müssen davon ausgehen, dass der noch viel größer ist als berichtet. Wir können davon ausgehen, dass die Omikron-Variante in vielen Bereichen dafür verantwortlich zeichnet.

Der Kreis Dithmarschen, ein Kreis, der eigentlich bislang unauffällig war, ist jetzt zum Hotspot geworden, weil es Mitte Dezember eine Veranstaltung mit 900 Personen gegeben hat. Ist das ein Einzelfall oder sollte uns das eine Warnung sein?

Das ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich die Omikron-Variante ausbreiten kann und wie solche einzelnen Ereignisse dazu beitragen können, dass ein noch geringes Infektionsgeschehen zu einer sehr starken Verbreitung führen und dann wiederum auch andere Bereiche betreffen kann. Deswegen sollte man in diesen Tagen und Wochen von solchen Veranstaltungen Abstand nehmen und die Kontaktreduktion konsequent fortführen. Dann haben wir eine gute Chance, dass die Omikron-Welle einigermaßen gut über Deutschland drübergeht, ohne dass wir ganz viele Fälle auf einmal im Krankenhaus sehen.

Beim nächsten Bund-Länder-Treffen am Freitag sollen Kontaktbeschränkungen wieder verschärft werden. Gleichzeitig will man aber darüber sprechen, die Quarantänefristen zu verkürzen. Widerspricht sich das nicht?

Eigentlich sollte man natürlich davon ausgehen, dass die Quarantäne dafür da ist, dass man damit die Infektionsketten unterbricht und auf Nummer sicher geht. Wir können sie aber auch so anwenden, wie wir es bisher schon hatten, dass man sich nach etwa fünf Tagen freitesten kann. Das ist eine ganz gute Lösung. Das ist auch mit Blick auf die kritische Infrastruktur wichtig. Wenn plötzlich ganz viele Menschen in Quarantäne müssen, weil das Virus stark um sich greift, kann es zu Personalengpässen kommen - und das nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei der Energieversorgung. Das könnte durch verkürzte Quarantänezeit vermieden werden. Allerdings beschreitet man hier einen ganz schmalen Grat, dass man nicht die Quarantäne zu kurz macht und der weiteren Ausbreitung eher Vorschub leistet.

Wie meinen Sie das?

Wir hatten eine ähnliche Situation ganz am Anfang der Pandemie, als schon viele Menschen aus der Pflege und dem medizinischen Bereich positiv getestet wurden. Und dann haben einige Krankenhäuser gesagt, wenn die weiteren Maßnahmen eingehalten werden wie Maske tragen und so weiter, dann kann man riskieren, dass die positiv getesteten, aber symptomfreien Angestellten weiter arbeiten. Das ist natürlich nicht ganz sauber gewesen, weil man auf die Art und Weise ein gewisses Risiko mit drin hatte. Aber so ähnlich wäre auch jetzt die Verkürzung der Quarantänezeit zu sehen. Wir werden nicht verhindern können, dass sich die Omikron-Variante stark ausbreitet. Wir müssen nur sehen, dass nicht auf einmal ganz viele Menschen ins Krankenhaus müssen. Aber da ja die Verläufe etwas milder sind, haben wir da glaube ich ganz gute Karten. Trotzdem sollten wir nichts riskieren, auch gerade mit Blick auf die immer noch ungeimpften Menschen. Die haben das höchste Risiko, gerade wenn sie etwas älter sind.

In vielen Nachbarländern gehen die Zahlen steil nach oben. Welche Lehren können wir daraus ziehen?

Länder wie Dänemark oder Großbritannien sind uns alle nur ein paar Tage oder Wochen voraus. Was wir da sehen, werden wir auch in Deutschland erleben. Jetzt ist es aber noch zu früh, zu sagen, dass die zumeist milden Verläufe für uns Entwarnung bedeuten. Denn die schweren, klinischen Verläufe kommen ja erst zeitversetzt. Die Infektionskurve wird eine sehr steile sein, ähnlich wie wir das auch in den USA sehen, also eher wie eine Wand. Die große Frage ist, inwieweit das das Gesundheitssystem wieder an die Kapazitätsgrenzen bringen wird. Da könnte man vorsichtig optimistisch sein, dass das vielleicht nicht ganz so schlimm ablaufen wird wie befürchtet - dafür spricht ja auch die Situation in Südafrika zum Beispiel, wo man ja schon über den Peak ist und sehr wenige Fälle nur in die Krankenhäuser mussten. Allerdings haben wir da auch eine ganz andere Bevölkerungsstruktur mit wesentlich jüngerem Altersdurchschnitt.

In einigen Bundesländern hat heute bei uns die Schule wieder angefangen. War das gut so oder hätten Sie noch eine Woche gewartet?

Nein, das ist in Ordnung. Wenn jetzt wieder die eingeübten Hygiene-Konzepte angewendet werden, ist man da eigentlich relativ sicher. Viel wichtiger ist es, dass sich die Erwachsenen drum herum ordentlich verhalten, sodass man den Eintrag des Omikron-Virus in die Schulen und Kitas möglichst gering hält. Ganz vermeiden wird sich das nicht lassen, aber wenn man sich umsichtig verhält in den nächsten Wochen, sollte das einigermaßen gut über die Bühne gehen.

Mit Timo Ulrichs sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

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