Gottesdienst für Absturz-Opfer"Lass die Liebe stärker sein"

Vor dreieinhalb Wochen stürzte der Germanwings-Flug 4U9525 ab. In Köln gehen die Hinterbliebenen einen wichtigen Schritt ihres Trauerweges gemeinsam.
Es kommt selten vor, dass der Kölner Dom für einen Gottesdienst zu klein ist. Doch an diesem Tag reichen die 1200 Sitzplätze bei Weitem nicht. Die Lufthansa hat eine eigene Halle gemietet, in der die Zeremonie für die Todesopfer der abgestürzten Germanwings-Maschine übertragen wird. Für die Presse gibt es einen externen Saal. Eine weitere Kirche nimmt Angehörige auf, abgeschirmt von den Medien. Und auf dem kurzen Stück zwischen Hauptbahnhof und Dom ist eine Videoleinwand unter freiem Himmel aufgebaut.
Köln soll der Ort sein, in dem die Trauernden zusammenkommen. Weil zusammenkommen dabei helfen kann, mit dem Schrecken zu leben. Auf den sonst so wuseligen Plätzen rund um Dom und Bahnhof stehen an diesem Tag die meisten Menschen schweigend. Auch die Touristen gehen langsamer, sind ruhiger.
Trauern ohne Beerdigung
Trauerfeier für Germanwings-OpferFür viele Menschen, die mit dem Zug ankommen, ist der Platz vor dem Bahnhof der erste Ort, um kurz innezuhalten. Neben der Leinwand liegen Blumengestecke, gestiftet von der Stadt, dem Land, der Fluggesellschaft und von Gewerkschaften. Manche Trauernde zünden eine Kerze an, andere haben Tränen in den Augen. Eine Dame aus Solingen erzählt, dass sie gerne auch noch im Dom Platz gefunden hätte. Aber pro Verstorbenem dürfen nur fünf Angehörige in die Kirche, sie gehört zum weiteren Kreis der Familie. Trotzdem sei es ihr wichtig, hier zu sein und ihren Verwandten beizustehen. Wen sie verloren hat, möchte sie nicht sagen. Aber sie sagt, dass es schwierig für sie sei, dass es keine Beerdigung gab. Die sterblichen Überreste sind noch nicht überführt. Darum ist ihr dieser Tag besonders wichtig. In der nächsten Woche, sagt sie, solle es endlich auch eine private Trauerfeier zu Hause geben.
"Jeder Tod hinterlässt tiefe Spuren", ist der erste Satz, der in der Trauerfeier fällt. Aber diese 150 Tode heben sich doch ab von dem, wie Menschen sonst sterben. Nicht nur die Todesnachricht hat die Angehörigen erschreckt. Sondern auch die nach und nach verbreiteten Nachrichten, dass der Absturz bewusst herbeigeführt wurde – davon kann man ausgehen – und dass die Insassen Minuten zuvor ihr Unglück ahnen mussten, als der Pilot versuchte, die Tür zum Cockpit aufzubrechen. Nachrichten, die nicht privat verbreitet wurden, sondern international über die Medien. Über Tage gab es in Deutschland kaum ein anderes Thema.
"Gott muss einstehen für das, was er hat geschehen lassen"
Die Trauerfeier im Kölner Dom soll den Schrecken auffangen. Er soll die Trauer nicht beenden, sondern im Gegenteil: Er soll sie möglich machen. Oder, wie es die evangelische Präses Annette Kurschus sagt: Kein Mensch kann eine Brücke schlagen über den Abgrund, der aufgerissen ist zwischen mir und dem Leben, zwischen mir und der Welt und in mir selbst. Als Christin sagt sie weiter: "Gott selbst muss einstehen für das, was geschehen ist und was er hat geschehen lassen."
Später verteilen Kurschus und der katholische Erzbischof Rainer Maria Woelki kleine Holzengel, die dazu ermutigen sollen, bei anderen Menschen nach Quellen der Stärkung und Zuversicht zu suchen. Eine junge Frau nimmt den ersten Engel entgegen. Kardinal Woelki sagt: "Ihnen als einer der betroffenen Angehörigen geben wir diesen Engel stellvertretend für alle Angehörigen der Opfer des Flugzeugunglücks aus Deutschland." Die Frau weint, ihr Mund zittert.
"Achtet die Tränen"
Dennoch tritt sie nachher nach vorne und verliest eine Fürbitte: "Ich bitte für alle Angehörigen und Freunde der Passagiere und der Crew, die ihre Lieben schmerzhaft vermissen und in Ungewissheit sind über die kommenden Schritte. Herr, ich bitte dich: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut. Gib allen Angehörigen aus Deutschland, Spanien und den anderen Nationen treue Begleiter auf ihrem weiteren Weg, die sie verstehen und ihnen ein Halt sind." Mit Mühe und unter Tränen bringt sie ihren Text zu Ende: "Lass die Liebe inmitten der Trauer stärker sein als die Verzweiflung. Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein Zuhause und passe immer auf sie auf."
Präses Kurschus geht in ihrer Ansprache auf die Trauer ein: "Nie sind wir mehr Mensch als dann, wenn wir weinen", sagt sie. "Wie gut ist es, wenn wir weinen können. Miteinander und füreinander." Und sie möchte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, Kritik an den Medien zu üben - auch wenn sie die nicht direkt benennt. "Wie würdelos ist es, ein Geschäft mit den Tränen von Menschen zu treiben", sagt sie. "Die Tränen der Trauernden gehören niemandem als ihnen selbst." Und weiter: "Achtet die Tränen. Ehrt und schützt diejenigen, die sie weinen."