Von Pulsnitz in den Dschihad Linda W. hat jetzt genug vom Krieg
24.07.2017, 11:58 Uhr
Linda W. nach ihrer Festnahme
(Foto: Facebook)
Sie ist verletzt und erschöpft, als sie in Mossul gefangen genommen wird: Linda W., die junge Deutsche, die unbedingt zum IS wollte. Inzwischen will sie nur noch heim.
Der Kontrast könnte größer kaum sein: Hier das idyllische Städtchen Pulsnitz in Sachsen, dort das vom Krieg zerstörte Mossul im Irak. Fast 4000 Kilometer trennen die beiden Orte, doch eigentlich liegen dazwischen Welten.
Die 16-jährige Linda W. machte sich im Juli 2016 von Pulsnitz aus auf die Reise in den Krieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). In der vergangenen Woche wurde das junge Mädchen gemeinsam mit anderen Frauen in Mossul gefangen genommen, inzwischen wurde sie nach Bagdad gebracht; sie wird dort von der deutschen Botschaft betreut. Ein Reporter der "Süddeutschen Zeitung", des NDR und des WDR konnte dort mit ihr sprechen.
Ihm erzählt die 16-Jährige, man habe sie bei ihrer Festnahme für eine Jesidin gehalten. Viele IS-Kämpfer hielten sich Frauen dieser kurdischen Minderheit als Sklavinnen. Doch Linda war keine dieser Sklavinnen, sie war freiwillig zum IS gegangen. "Ich bin Deutsche", sagte sie den Soldaten. Daraufhin habe sie das Kopftuch abnehmen müssen und sei fotografiert worden. Die Soldaten, die sie festnahmen, posierten regelrecht mit ihr.
Erschöpft und leer
In ausländischen Medien ist Lindas Gesicht unverpixelt zu sehen - eine erschöpfte, blasse, junge Frau, umringt von irakischen Soldaten. Linda W. ist verletzt, sie hat eine Schussverletzung am linken Oberschenkel und wurde vermutlich von einem Raketensplitter am Knie getroffen. Sie wird ärztlich versorgt. Wann sie nach Deutschland zurückkehren kann, ist noch unklar. In ersten Medienberichten war zudem von einem Baby die Rede, das Linda bei sich gehabt haben soll. Diese Berichte sind jedoch nicht bestätigt.
Nach Angaben des Verfassungsschutzes sind 20 Prozent der bislang aus Deutschland ausgereisten IS-Kämpfer Frauen, 5 Prozent sind Minderjährige. Viele haben zuvor eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie Linda. Nach der Trennung ihrer Eltern wendet sich Linda dem Islam zu. Die gute Zweierschülerin, Drittbeste in ihrer Klasse mit einer Vorliebe für Mathe, Chemie und Physik kleidet sich anders, hört plötzlich arabische Musik, verändert ihr Essverhalten. Das bemerken auch ihre Mitschüler und Lehrer. Die Hinwendung zum Islam sei registriert worden, deshalb habe es auch Gespräche mit dem Schulleiter und den Eltern gegeben, sagt die Bürgermeisterin von Pulsnitz, Barbara Lüke. "Es war jedoch überraschend, dass sich das Mädchen derart hat radikalisieren lassen."
Offenbar funktionierten die Anwerbungsstrategien, die das Terrornetzwerk speziell für junge Frauen und Mädchen entwickelt hat, bei Linda. Eine davon richtet sich an junge Menschen in einer persönlichen Krisensituation. "Sie suchen nach einem Sinn und werden in dieser Lage angesprochen", sagt der Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam, der für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz arbeitet. Andere Frauen haben romantisierte Vorstellungen davon, einen Dschihadisten zu heiraten. Manche treibe vor allem die Ideologie an. Sie wollen mithelfen, den Islamischen Staat aufzubauen. Was Linda antrieb, weiß bisher nur sie selbst.
Familie erwartet sie
Seit sie vor einem Jahr ihr Elternhaus verließ, suchte die Familie nach ihr. Angeblich hatte sie an einem Wochenende bei einer Freundin übernachten wollen, doch tatsächlich stieg Linda Anfang Juli 2016 in ein Flugzeug nach Istanbul und reiste von dort weiter ins IS-Gebiet. Einen Monat habe sie gebraucht, um bis in den Irak zu kommen. Eigentlich habe sie gar nicht nach Mossul gewollt, sie sei dorthin "verfrachtet" worden. Dort wurde sie offenbar mit einem tschetschenischen Kämpfer verheiratet, der jedoch kurz darauf im Kampf getötet wurde.
Was genau sie im IS-Gebiet tat, ist noch nicht klar. Für Frauen ist in IS-Gebieten vor allem die Rolle als Ehefrau und Mutter vorgesehen. Sie sollen Nachwuchs für den IS heranziehen, ihren Ehemännern den Rücken freihalten, Verletzte pflegen. Rückkehrerinnen berichten immer wieder, Frauen würden IS-Kämpfern "zugeteilt", missbraucht oder als "Sexsklavinnen" gehalten.
Frauen können auch Kampfaufgaben übernehmen. So gibt es eine Art weibliche Scharia-Polizei, die die Einhaltung islamischen Rechts unter Frauen kontrolliert. Nach Angaben der irakischen Sicherheitskräfte hat ein Teil der zusammen mit Linda festgenommenen Frauen für diese Truppe gearbeitet. In ersten Medienberichten wurde Linda für eine Scharfschützin gehalten.
Dem deutschen Reporter sagte Linda, sie habe genug vom Krieg, von all den Waffen, von all dem Leid. Sie werde kooperieren und bereue ihren Entschluss, sich den IS-Extremisten angeschlossen zu haben. Sie wolle zurück nach Deutschland. Dort wird sie von ihrer Familie erwartet und von den Sicherheitsbehörden, die Antworten wollen.
Quelle: ntv.de, mit dpa