Panorama

Sarah Kuttners "Mama & Sam" Love Scammer im Internet: Kann man so blöd sein?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Falsche Liebesversprechen im Internet können zum finanziellen Ruin führen - oder noch schlimmere Folgen haben.

Falsche Liebesversprechen im Internet können zum finanziellen Ruin führen - oder noch schlimmere Folgen haben.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sie geben sich als Promis oder reiche Unternehmer aus und gaukeln ihren Opfern die große Liebe vor: Love Scams sind ein Millionengeschäft. Die Autorin Sarah Kuttner hat einen solchen Betrug bei ihrer Mutter miterlebt - und kam mit Fakten nicht weiter.

Mal angenommen, Sie haben eine alleinstehende, ein wenig einsame Mutter, die plötzlich frisch verliebt ist. Die innerlich aufblüht, wie das so ist bei frisch Verliebten, und man müsste vor Neid zerfressen sein, würde man es ihr verübeln. Nur ist der neue Freund nicht der nette Herr aus der Nachbarschaft, sondern der schottische Schauspieler Sam Heughan, bekannt durch seine Hauptrolle in der US-Fantasyserie Outlander.

Irgendwann braucht dieser angebliche Sam Heughan, den Ihre Mutter von Facebook kennt und mit dem sie ausschließlich in Chatnachrichten kommuniziert, ganz dringend Geld. Ihre Mutter schickt, was er fordert, und er schickt Liebe zurück, bis zum nächsten Notfall. Und während Ihre Mutter sich an dieser Liebe festhält, fragen Sie sich vermutlich, wie um Himmels willen man so blauäugig, so blöd sein kann, auf einen Liebesbetrüger hereinzufallen.

Kuttner warnt vor Love Scamming.

Kuttner warnt vor Love Scamming.

(Foto: picture alliance / Eventpress)

Das war auch die erste Reaktion der TV-Moderatorin und Autorin Sarah Kuttner. Denn die Mutter, die in das Profilbild dieses Schauspielers verliebt war, war ihre. Im vergangenen Jahr ist sie gestorben. Kuttner hat daraufhin ein Buch geschrieben, "Mama & Sam". Mutter und Tochter tragen darin keinen Namen. So lässt Kuttner offen, was wahr ist und was Fiktion, vieles ist wohl so passiert. Ein Verarbeitungsroman, der zugleich vor der Perfidie einer immer weiter verbreiteten Betrugsmasche warnt: Love Scamming.

"Dein Herz ist ganz leer und traurig"

Perfide auch deshalb, weil der für Außenstehende unübersehbare Betrug bei den Betroffenen auf Nährboden stößt. "Dein Herz ist ganz leer und traurig, und dann kommt auf einmal dieser Love Scammer um die Ecke", sagt Kuttner im Gespräch mit ntv.de. Die auch Romance Scammer genannten Täter folgen dabei einem Muster, das sich auch in "Mama & Sam" wiederfindet: Sie geben sich als Prominente oder Menschen in angesehenen Berufen aus und kontaktieren die potenziellen Opfer über die sozialen Medien oder auf Dating-Apps.

Beißt jemand an, greifen die Täter gezielt auf Manipulationstechniken wie Love Bombing zurück, also dem Überschütten mit Liebe nach kurzer Zeit. Wenn erstmal eine emotionale Bindung zwischen Täter und Opfer hergestellt ist, beginnen die Betrüger, um Geld zu bitten, häufig mit einer Geschichte über eine akute Notlage. Sie üben Druck aus und drohen mit Kontaktabbruch oder gar Suizid. Vielen Opfern fällt es in so einer Situation schwer, Nein zu sagen.

Dass es sich dabei längst nicht mehr um ein Randphänomen handelt, zeigen Zahlen der Polizei. Allein beim Landeskriminalamt Berlin wurden im vergangenen Jahr 433 Fälle mit einem Gesamtschaden von 5,6 Millionen Euro angezeigt. Aus anderen Bundesländern gibt es ähnliche Zahlen. Und die Dunkelziffer ist wohl deutlich höher. Viele Opfer gehen nicht zur Polizei, weil sie sich zu sehr schämen.

Erste Reaktion ist entscheidend

Als die Protagonistin im Buch von der Internet-Liebe der Mutter erfährt, reagiert sie mit einer Mischung aus Unverständnis und rationaler Argumentation. Ein naheliegender, menschlicher Reflex, der sich im Nachhinein als großer Fehler herausgestellt habe, sagt Kuttner. "Man denkt, ein Beweis muss reichen. Doch das hilft nicht, sondern gibt dem Opfer noch mehr das Gefühl, dumm zu sein."

Dabei sei genau diese erste Reaktion entscheidend, so die Autorin. "Wer frisch verliebt ist, will sich mitteilen. Wenn einem dann nicht geglaubt wird, ist das der perfekte Moment für den Love Scammer, zu sagen: Die sind doch nur neidisch." Die Folge: Betroffene kapseln sich von ihrem Umfeld ab und tauchen stattdessen immer tiefer in eine Scheinwelt aus Chatnachrichten ein.

In "Mama & Sam" sind es Tausende Nachrichten, anhand derer die Protagonistin die letzten, zurückgezogenen Monate der Mutter rekonstruiert. Kutter zufolge sind es die echten Chats zwischen ihrer Mutter und dem falschen Sam Heughan. Sie zeugen von einem tiefen Liebesbedürfnis auf der einen und einer unheimlichen Ruchlosigkeit auf der anderen Seite.

Chatverlauf aus "Mama & Sam": Die Täter machen emotionalen Druck.

Chatverlauf aus "Mama & Sam": Die Täter machen emotionalen Druck.

(Foto: S. Fischer Verlage)

Immer wieder ringt die Mutter mit sich, stellt Fragen und konfrontiert ihr Gegenüber mit Ungereimtheiten. Doch dann schiebt sie ihre Zweifel wieder beiseite, lässt sich vom Gegenteil überzeugen oder von Liebesbekundungen einlullen. Jedes Mal siegt die Illusion über den Verstand.

Manipulation per Nachricht.

Manipulation per Nachricht.

(Foto: S. Fischer Verlage)

"Es ist wie mit Drogen"

Ist einmal Geld geflossen, wird aus den Opfern oftmals so viel herausgepresst, wie nur eben möglich. Die Mutter überlässt dem Betrüger ihre Ausweisdaten, grast die Geschäfte ihrer Stadt nach Apple-Wertgutscheinen ab, deren Codes sie abfotografieren soll, leiht sich Geld und nimmt Kredite auf. Mit der Zeit verliert sie nicht nur ihr gesamtes Vermögen, sie ist schließlich hoch verschuldet.

Kuttner glaubt, dass viele Opfer zwar eine Vorahnung haben, diese aber verdrängen. "Es ist wie mit Drogen: Jeder weiß, dass sie einen umbringen können, aber sie füllen auch ein Loch und können für den Moment wahnsinnig glücklich machen." Liebe als Selbstmedikation, die schmeichelnde Nachricht als süchtig machender Dopamin-Kick.

Wie also reagieren? Kuttner empfiehlt einen zunächst kontraintuitiven Weg: "Der Scammer will die Angehörigen rausdrängen, also lasst euch nicht rausdrängen. Einfach zuhören, da sein, liebevoll bleiben", sagt sie. Und ein "bisschen assi" sein müsse man auch. "Lasst euch Nachrichten zeigen, macht Screenshots, sammelt heimlich Beweise wie ein kleiner Detektiv und geht irgendwann zur Polizei."

ANZEIGE
Mama & Sam: Roman
57
24,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Polizei: "grundsätzlich misstrauisch" sein

Die Berliner Polizei gibt einen ähnlichen Ratschlag: "Bitte verzichten Sie darauf, über Geschädigte solcher Betrugsmaschen zu urteilen und bleiben Sie aufmerksam, wenn Freunde oder Bekannte ähnliche Erfahrungen schildern." Zudem rät sie, "grundsätzlich misstrauisch" bei Kontaktanfragen aus dem Internet zu sein. Dabei fällt es besonders älteren Menschen schwer, sich in einer von Fakes gefluteten Online-Welt zurechtzufinden.

Opfer solcher Taten sollten unbedingt zur Polizei gehen. Auch wenn die Aussichten auf Aufklärung gering sind. Die Täter sitzen in den allermeisten Fällen im Ausland, häufig in Westafrika. In Kuttners Buch malt sich die Protagonistin aus, wie ein Love-Scammer-Team in Ghana die Opfer bespielt. In ihrer Vorstellung verschicken sie KI-generierte Liebesbekundungen oder Photoshop-Selfies im Schichtdienst, zetteln abwechselnd Online-Streits an und versöhnen sich wieder.

"Meine Mutter hat in Anführungszeichen das Glück gehabt, in dem Glauben zu sterben, einen prominenten Boyfriend zu haben", sagt Kuttner. "Obwohl ich ganz sicher bin, dass sie auch an den Folgen des Love Scams gestorben ist, der sie körperlich und psychisch wahnsinnig gefordert hat."

Selbst wenn der Betrug auffliegt, hinterlassen Love Scammer bei ihren Opfern einen Scherbenhaufen. "Die verlieren ihre große Liebe, die verlieren all ihr Geld, die verlieren ihre Familie", so Kuttner. Insbesondere dann seien Schuldzuweisungen falsch. "Man muss da sein und vielleicht einfach sagen: 'Ich hab dich lieb'."

Quelle: ntv.de, mit dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen