Chefin überlegte KündigungMagdeburg-Attentäter fiel mit sonderbaren Mails auf

Vor einem Jahr sterben beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sechs Menschen. Der Täter, ein Arzt, war seiner Vorgesetzten zuvor durch viele Krankheitstage und sonderbare Mails aufgefallen. Sie fragte nach psychischen Auffälligkeiten - doch der zuständige ärztliche Direktor gab Entwarnung.
Die Leiterin des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt, in dem der spätere Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt als Arzt tätig war, hat sich über eine mögliche psychische Erkrankung des Mannes Gedanken gemacht. Anlass seien auffällige Mails von einer privaten Mailadresse von Taleb A. mit ausschweifenden Angaben zu seinen privaten rechtlichen Auseinandersetzungen sowie Verfolgungsideen mit Bezug auf den saudischen Geheimdienst gewesen, sagte die Juristin im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Anschlag.
Sie habe die mehrseitigen Ausführungen nur überflogen und dann mit dem ärztlichen Direktor der Klinik in Bernburg darüber geredet, ob man sich Sorgen machen müsse. Der ärztliche Direktor habe eingeschätzt, der Kollege sei psychisch belastet, aber nicht psychisch krank. Ihr sei A. auch in anderer Hinsicht bekannt gewesen: Weil er häufig krank gewesen sei, habe eine Kündigung im Raum gestanden, mangels rechtlicher Voraussetzungen sei das aber nicht umgesetzt worden.
Dass Beamte den Arzt Anfang Oktober 2024 am Arbeitsplatz aufsuchten, habe sie gewusst. Da die Polizisten aber keine Angaben zu Ursache und Hintergrund des Besuchs gemacht hätten, habe sie keine Notwendigkeit gesehen, einzuschreiten. Erst nach dem Anschlag sei ihr die sehr dünne Personalakte bekannt geworden, in der Tätigkeitsnachweise über viele Jahre ebenso fehlten wie ein vorgeschriebenes Führungszeugnis. Die Einstellungsuntersuchung sei auch erst nach Ablauf der Probezeit terminiert gewesen.
Ebenfalls erst nach dem Anschlag sei ihr eine brisante E-Mail zur Kenntnis gelangt: Im August 2024 hatte ein Psychologe gemeldet, dass A. ihm und einer Kollegin gegenüber gesagt hatte, er befinde sich in einem Krieg, dessen Ausgang entweder Sterben oder Umbringen sein werde. Davon habe sie erst im Februar 2025 erfahren. Sie sei darüber verärgert gewesen.
"Sensibler Umgang mit Auffälligkeiten unabdingbar!"
Die CDU-Obfrau im U-Ausschuss, Kerstin Godenrath, erklärte: "Dass Warnsignale zum Verhalten von Taleb A. übersehen, überhört oder bagatellisiert wurden, ist für eine Einrichtung wie den Maßregelvollzug nicht zu akzeptieren. An einer Stelle, wo straffällige Menschen mit Suchterkrankungen behandelt werden, ist ein besonders sensibler Umgang mit Auffälligkeiten nicht nur wünschenswert, sondern unabdingbar!"
Die Auswahlentscheidung habe die damalige ärztliche Direktorin des Maßregelvollzugs in Bernburg getroffen, so die Juristin. Sie sei überzeugt, dass die inzwischen verstorbene Frau die fachliche Qualifikation und persönliche Geeignetheit von A. geprüft habe. Der Mann aus Saudi-Arabien war über eine Agentur an den Job bei der landeseigenen Gesellschaft Salus gekommen. Sein Aufgabengebiet umfasste die psychiatrische Betreuung von Straftätern.
Vor einem Jahr war der damals 50-Jährige mit einem Mietwagen über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gefahren. Sechs Menschen starben, mehr als 300 wurden zum Teil schwerst verletzt. Derzeit läuft am Landgericht Magdeburg der Prozess gegen ihn.