Gäste zahlen 400 Dollar Eintritt Merkel schwelgt mit Obama in Erinnerungen - "war nicht leicht"
03.12.2024, 08:14 Uhr Artikel anhören
"Freiheit", das Buch von Angela Merkel, soll ein weltweiter Erfolg werden. Damit dies gelingt, befindet sich die Altkanzlerin auf Lesetour. Nach Terminen in Berlin und Stralsund ist sie nun in Washington bei einem alten Freund zu Gast: Mit Barack Obama verbindet die 70-Jährige viel.
Ob es die Neugierde auf Angela Merkels Memoiren war, die Zugkraft von Barack Obama oder die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, ist nicht ganz klar - der Saal in Washington jedenfalls ist am Montagabend ausverkauft, als die Altkanzlerin dort gemeinsam mit dem früheren US-Präsidenten ihr Buch "Freiheit" vorstellt. Es habe nur eine "Nanosekunde" gedauert, bis alle Eintrittskarten weg gewesen seien, sagt der Veranstalter.
"We love you", ruft jemand im Publikum, als sich der frühere US-Präsident und die Altkanzlerin unter großem Applaus in zwei Sesseln vor dunkelblauem Vorhang niederlassen, er im grauen Anzug, sie in weißem Blazer mit schwarzer Hose. Gemeint ist Obama. "Ich bin nicht Oprah Winfrey", beginnt der 63-Jährige seine Moderation. Eigentlich sei dies nicht sein Job, aber für seine "liebe Freundin" Angela, den "Star der Show", mache er eine Ausnahme.
Die 70-jährige Altkanzlerin spricht Deutsch. Obama sagt, ihr Englisch sei exzellent, aber da sie "eine sehr präzise Person" sei, werde simultan übersetzt. Acht Jahre lang bildeten der erste schwarze US-Präsident und die erste Frau im Kanzleramt zwischen Washington und Berlin ein ungleiches, aber gut funktionierendes Gespann: auf der einen Seite der glänzende Redner mit den großen Ideen, auf der anderen Seite die nüchterne Pragmatikerin mit der großen Durchsetzungskraft, im Weißen Haus ein liberaler weltoffener Politiker, in Berlin ein Hort der Stabilität.
Obama und Merkel sprechen nur vage über Trump
Als Obama 2009 sein Amt antrat, war Merkel schon da, als er 2017 abtrat, war Merkel noch immer da. "Sie hat vier US-Präsidenten, vier französische Präsidenten und fünf britische Premierminister erlebt", sagt Obama. Das Comeback von Donald Trump, der auf Obama folgte und Merkel in seiner ersten Amtszeit wie kaum ein anderer ausländischer Politiker zuvor beleidigte, wird mit keinem Wort erwähnt.
Merkel streift das Thema, als sie von Skepsis berichtet, die ihr als Frau in der Politik entgegenschlug. Es habe damals in Deutschland noch keine Erfahrung mit Frauen an der Spitze gegeben, sagt sie - und dann ans Publikum gewandt: "Leider haben Sie das auch nicht - da kann man nur auf die Zukunft hoffen."
Noch vor wenigen Wochen machte Obama intensiv Wahlkampf an der Seite von Kamala Harris, die im Falle eines Wahlsieges als erste Frau ins Weiße Haus eingezogen wäre - er ist sich mit Merkel einig, Trump keinen Raum zu geben.
Angela Merkel: "Nee, jetzt kommt meine Version der Geschichte"
Lieber gemeinsame Erinnerungen aufwärmen, etwa daran, wie Merkel 2008 dem damaligen Hoffnungsträger der Demokratischen Partei verwehrte, vor dem Brandenburger Tor eine Rede zu halten. Stattdessen sprach Obama in Berlin an der Siegessäule vor mehr als 200.000 Menschen. "Ich habe mich darüber nicht geärgert", sagt der Ex-Präsident. "Aber Du hast das gedacht und Dich noch fünf Jahre später dafür entschuldigt."
Merkel schüttelt den Kopf: "Nee, jetzt kommt meine Version der Geschichte." Sie habe an diesem besonderen Ort der deutschen Geschichte keinen Präzedenzfall schaffen wollen, "denn dann wäre morgen der russische Präsidentschaftskandidat und dann der vietnamesische Kandidat gekommen". Später, als Präsident, habe Obama dann ja eine schöne Rede vor dem Brandenburger Tor halten können. Aber niemand habe damals ihre Haltung verstanden, sagt Merkel. "Das war nicht leicht."
"Das geht gar nicht"
Obama schätzte unter anderem Merkels Humor, die beiden Politikveteranen spielen sich auch an diesem Abend die Bälle zu. 2013 war es damit zeitweilig vorbei, als der US-Geheimdienst NSA Merkels Handy abhörte. "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht", sagte die Kanzlerin damals. In ihren Memoiren schreibt sie, sie habe das Obama sehr deutlich am Telefon gesagt und dieser habe versichert, "dass er von der Maßnahme nichts gewusst habe und sie für die Zukunft gestoppt sei".
Schnee von gestern. Merkels 700-Seiten-Buch ist nun in mehr als 30 Ländern auf dem Markt, wer in Washington noch auf den letzten Drücker live dabei sein wollte, musste mehr als 400 Dollar Eintritt bezahlen. Das Buch, das Merkel mit ihrer ehemaligen Büroleiterin Beate Baumann gemeinsam schrieb, sei "sehr harte Arbeit" gewesen, "die ich komplett unterschätzt habe", sagt die Altkanzlerin. Dann ist die Show vorbei: "Danke an das Publikum", ruft sie. "It was wonderful."
Quelle: ntv.de, Oliver Junker, AFP