Panorama

Ein (vorläufig) letzter Besuch Mit Babylon in Berlin ist erst einmal Schluss

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Das Pergamonmuseum ist nun für Bau- und Sanierungsarbeiten geschlossen.

Das Pergamonmuseum ist nun für Bau- und Sanierungsarbeiten geschlossen.

(Foto: Thomas Schmoll)

Das Pergamonmuseum schließt. Ein Teil soll 2027, der mit dem Ischtar-Tor erst 2037 neu eröffnet werden. Wer Berlin kennt, weiß, dass es länger dauern wird. Daher noch einmal hineingeschaut, dachte sich unser Autor, bevor er alt und gebrechlich oder tot ist.

Der menschenleere Ticketschalter deutet darauf hin, dass es sich rumgesprochen hat: Jeder Versuch, doch noch hineinzugelangen, ist zum Scheitern verurteilt. Ausverkauft! Seit Wochen. Glück für diejenigen, die noch eine Eintrittskarte ergattern konnten. Leute aus ganz Deutschland und anderen Flecken der Welt strömten über viele Monate nach Berlin, um ein (vorläufig) letztes Mal die grandiosen Objekte des Pergamonmuseums zu bestaunen, bevor es für mehrere Jahre schließt, um gründlich erneuert zu werden.

Vieles ist schon eingepackt.

Vieles ist schon eingepackt.

(Foto: Thomas Schmoll)

Ab 2027 soll der Gebäudeflügel mit dem Pergamonaltar wieder bewundert werden können. Wer den anderen Teil mit bedeutenden Ausstellungsstücken wie dem Ischtar-Tor wieder besuchen möchte, muss noch länger warten: bis 2037. Kennt man die Hauptstadt der Deutschen, weiß man, dass sich Bau- und Sanierungsarbeiten bisweilen verdammt lange hinziehen können und geplante Eröffnungstermine nichts weiter als Wahrscheinlichkeitsrechnungen sind. Der Abschnitt mit dem Pergamonaltar, wo seit 2013 diverse Gewerke am Schaffen sind, liegt schon zwei Jahre über der angesetzten Zeit.

Also machte sich der Autor dieses Berichts an diesem Wochenende auf, noch einen Blick - und ein paar mehr - auf die Highlights des Museums zu werfen, das er zuletzt 2005 betreten hatte. Denn ob er die vollständige Wiedereröffnung noch erlebt, wissen nur die Götter. Vielleicht die mesopotamische Göttin, die heute niemand mehr anbetet, die aber dem berühmten Tor der einstigen Metropole Babylon vor mehr als 2500 Jahren den Namen gab: Ischtar, auch Ištar geschrieben. Ihr Tätigkeitsbereich wirkt merkwürdig widerstreitend. Er dreht sich um Geburt und Tod. Sie wurde dafür angebetet, dass es mit dem Sex klappt - und mit dem Siegen in Kriegen, der Opfer fordert. Für Letztere muss ein Volk Soldaten zeugen. So ergibt es wieder Sinn.

Das Ischtar-Tor wird bleiben

Die berühmten Löwen kennt die ganze Welt.

Die berühmten Löwen kennt die ganze Welt.

(Foto: Thomas Schmoll)

Wer auf das Portal zugeht, schreitet an den weltberühmten Löwen entlang, die einem brüllend entgegenkommen, damit man weiß, mit wem man es hier zu tun hat und es die richtige Entscheidung ist, Stadt und Kriegsgöttin in Frieden zu lassen. Sie waren Bestandteil der Gebäudemauern an einer etwa 250 Meter langen Prozessionsstraße hin zum Ischtar-Tor, das unter der Herrschaft von König Nebukadnezar II., der 605 bis 562 vor Christus lebte, errichtet worden war.

An seinem ursprünglichen Platz war es deutlich größer als die Berliner Rekonstruktion aus originalen und nachgeahmten Teilen. Trotzdem bekommt man eine Vorstellung von der Ästhetik, dem handwerklichen Geschick und der wirkmächtigen Symbolik der einstigen Hochkultur, deren herausragende Hinterlassenschaften ab Ende des 19. Jahrhunderts von deutschen Archäologie-Pionieren systematisch ausgegraben worden sind. Und Glück für die Bundesrepublik Deutschland, dass die Königlichen Museen zu Berlin, wie sie seinerzeit hießen, einen Vertrag mit dem Osmanischen Reich, das es auch schon nicht mehr gibt, abgeschlossen hatte, der die Ausstellung nicht nur des Ischtar-Tores rechtlich in Zukunft sichert.

Schreitet man hindurch, erwartet den Besucher ein weiterer Glanzpunkt der Antikensammlung: das bestens erhaltene Markttor von Milet aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, erbaut von den Römern, die mal ein Reich hatten, das ebenfalls nicht mehr existiert. Wir merken: Imperien haben keine Ewigkeitsgarantie. Alles ist vergänglich. Wer will, kann sich also damit trösten, dass die Jahre, in denen das Museum schließt, ein Hauch menschlichen Daseins gegen die Zeit sind, in der das alte Rom und das noch ältere Babylon, einst am Euphrat im heutigen Irak - weniger als 100 Kilometer südlich von Bagdad - gelegen, viele Jahrhunderte auf ihre Wiederentdeckung warteten.

Ein Stück Heimat, das fehlt

Stefan Härtel hat die Artefakte unzähligen Touristen erklärt.

Stefan Härtel hat die Artefakte unzähligen Touristen erklärt.

(Foto: Thomas Schmoll)

Für Stefan Härtel ist das allerdings keine Aufmunterung an diesem Wochenende des Abschieds. Der Altertumsspezialist vom Institut für Iranistik der Freien Universität Berlin führt eine Gruppe durch die Säle. Er redet mit großer Leidenschaft über die Objekte, erklärt die Bedeutung der Löwen, der Sex- und Kriegsgöttin und den fabelhaften Wesen auf dem Ischtar-Tor.

Eins hat einen zungenbrecherischen Namen, der Härtel locker über die Lippen geht, als hieße es Horst oder Inge. Das Geschöpf schimpft sich Muschchuschschu. Wegen seines Skorpionstachels am Schwanzende eignete sich das Mischwesen bestens als Torwächter. Der Muschchuschschu war in der Lage - oder ist es nach wie vor, wenn man dran glaubt -, einen Feind oder eine Feindin mit tödlichem Gift zu bespritzen.

Es macht Spaß, Härtel zuzuhören, weil man jederzeit merkt, dass er selbst Spaß an der Wissensvermittlung hat. Leidenschaft nennt man das. Am Ende seiner Führung erklärt er, was es mit der um die 700 Jahre alten Holzkuppel aus der Alhambra in Granada auf sich hat und wie sie nach Berlin kam. Erst leuchten seine Augen, dann werden sie trübe. Der Althistoriker ist den Tränen nahe, als er seinem Publikum mitteilt, dass das hier gerade seine letzte Führung nach zwölf Jahren war.

"Ich kenne das Museum seit meiner Jugend, es hat einen großen Einfluss auf meine Bildung, mein Interesse und meine Berufswahl gehabt. Es wird mir fehlen, es ist ein Stück Heimat für mich", sagt er unter Seufzern und sonstigen Lauten des Bedauerns aus seiner Zuhörerschaft. Er erklärt, warum die Sanierung so lange dauert, dass das 1930 vollendete Museum buchstäblich auf Sand gebaut wurde und ein neues Fundament braucht, Objekte wie das Ischtar-Tor und das Markttor von Milet nicht ausgebaut werden können, da sie Teil der Architektur sind.

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2037! Eine lange Zeit. "Das erleben Sie noch", ruft eine Frau, die den Wissenschaftler trösten will. Der schaut ein wenig ungläubig. Seine Mimik macht den Eindruck, als wolle er nicht sein Vermögen darauf verwetten, dass er es wirklich erleben wird.

Gleich muss er Abschied nehmen von seinem Stück Heimat. Härtel ist kein Vertriebener, sondern einer, der freiwillig geht. "Die Sanierung muss sein", weiß er. Nach der Führung zeigt er sich im Gespräch mit ntv.de einigermaßen gefasst: "Ich habe mich vor der letzten Führung gefürchtet, als ich heute hergekommen bin. Jetzt spüre ich gerade gar nichts. Aber ich fürchte, sobald ich hier rausgehe, wird es ein anderes Gefühl sein." Immerhin fällt er nur in ein emotionales, aber nicht in ein finanzielles Loch. "Ich habe ja meinen Uni-Job."

Quelle: ntv.de

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