Panorama

O'zapft is nur im kleinen KreisMünchner Wirte laden zum Oktoberfest light

19.09.2020, 06:12 Uhr
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Joggen, Fahrradfahren und Gassigehen statt Party und Festzelt: die Theresienwiese im September 2020. (Foto: imago images/Overstreet)

Auf der Theresienwiese fließt das Bier sonst um diese Jahreszeit in Massen. Wegen des Coronavirus aber herrscht Alkoholverbot. Ganz wollen die Münchner trotzdem nicht auf ihr geliebtes Volksfest verzichten: Viele Wiesn-Wirte laden in die heimische Stube ein - auch wenn die Infektionszahlen steigen.

Günter Werner hat seinen Hut zum Hutmacher gebracht - damit er festlich Fasanenfedern und frischen Hopfen darauf drapiert. Wie jedes Jahr für den Wiesn-Start. Seit 60 Jahren hat der 77-Jährige aus Pullach bei München nach eigenen Worten keinen Tag auf dem Oktoberfest ausgelassen. Dieses Jahr ist alles anders. "Seinen" Tisch 180 im Schottenhamel-Zelt gibt es nicht.

Nachdem die Wiesn wegen des Coronavirus abgesagt wurde, wird Werner an diesem Samstagmittag - dem ursprünglich geplanten Feststart - bei Christian Schottenhamel am Nockherberg persönlich feiern. "Nach 60 Jahren dürfen wir unseren Wirt nicht allein lassen", sagt Werner. Wiesn- und Innenstadtwirte wollen mit ihrer "Wirtshaus-Wiesn" für vorsichtige Oktoberfeststimmung sorgen.

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Aus der Not eine Tugend machen: Viele Wirte laden unter dem Motto "Koa Wiesn" zum Anzapfen ein. (Foto: imago images/Lindenthaler)

Vielerorts wird traditionsgerecht um 12 Uhr ein Fass angezapft. Während sich der dafür normalerweise zuständige amtierende Oberbürgermeister Dieter Reiter enthält, will sein Vorgänger und SPD-Parteifreund Christian Ude im Bahnhofsviertel anzapfen - und Ex-Wiesn-Chef Josef Schmid im Augustiner am Platzl. Bis 4. Oktober soll es in gut 50 Wirtshäusern Hendl, Haxn und Wiesn-Bier geben.

Alkoholverbot auf der Theresienwiese

Besser als "mit einem Kasten Bier auf der Theresienwiese" zu sitzen, wie Werner sagt - denn das war seine erste Idee. Weil er damit nicht allein war, hat die Stadt für diesen Samstag auf der Theresienwiese ein Alkoholverbot verhängt - um "private Ersatzpartys zum ursprünglich geplanten Wiesn-Start mit hohem Infektionsrisiko zu unterbinden."

"Geht in das Wirtshaus Eurer Wahl, egal ob zu Hause oder in München, geht nicht auf die Wiesn, feiert im Wirtshaus, das ist einfach besser", appellierte der Münchner Wirtschaftsreferent und städtische Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner im Bayerischen Rundfunk. Feierwillige hätten sich bereits auf der Theresienwiese verabredet. Wer beim Konsum oder Verkauf von Alkohol erwischt werde, müsse mit einem Bußgeld rechnen.

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Die Theresienwiese 2020 und 2019 im Vergleich: Menschenmassen sind dieses Jahr nicht erwünscht. (Foto: imago images/Sven Simon)

Wiesn-Bier fließt indes schon seit Wochen - meistens "dahoam": Die Brauereien haben viele Millionen Liter gebraut - das Bier fand teils besseren Absatz als sonst. Passend gibt es den originalen Wiesn-Maßkrug - als "Koa Wiesn-Krug".

Klimaschutz statt Festzelte

Ebenfalls seit Wochen drehen auf verschiedenen Plätzen Karussells: Ein Riesenrad am Königsplatz, ein 90 Meter hohes Kettenkarussell am Olympiagelände, beim "Trachtival" am Ostbahnhof die Kult-Achterbahn "Wilde Maus". Es gibt Schießbuden, Trachtenstände, Zuckerwatte und Lebkuchenherzen - "Sommer in der Stadt" heißt das Alternativ-Programm.

Auf der Theresienwiese wollen anstatt der Wiesn-Wirte unter anderem Klimaschützer einziehen - in Tracht, mit Windrädern, rollenden Gärten, regionalen Lebensmitteln - und alkoholfreiem Bier. Man wolle zeigen, was Bayern noch sei. "Auch kleinbäuerliche Landwirtschaft ist Tradition - und trägt zum Klimaschutz bei", sagt eine Organisatorin.

Steigende Infektionszahlen

Nervosität herrscht. Die Sieben-Tagen-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag am Freitag für die Landeshauptstadt laut Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) über dem kritischen Wert von 50.

Angesichts steigender Zahlen schauen die Wirte strikt auf die Vorgaben. "Wir sind ausreserviert - früher hätte ich dann 600 Leute im Haus gehabt, heute sind es vielleicht 300 - wir achten auf die Abstände, drinnen und draußen", sagt der Sprecher der Innenstadtwirte und Chef des Augustiner Klosterwirt, Gregor Lemke. Für die "Wirtshaus-Wiesn" gelten wie für alle gastronomischen Betriebe die Regelungen der Staatsregierung zum Infektionsschutz, unterstrich OB Reiter - "unabhängig davon, ob Wiesn-Bier oder Wiesn-Schmankerl serviert werden".

Als Vorsichtsmaßnahme gibt es Lemke zufolge dieses Jahr auch nur Livemusik mit Akkordeon und Gitarre, keine Blasmusik - zum Schutz vor Aerosolen. Nicht nur ihm, auch am Nockherberg und bei Wiesnwirte-Sprecher Peter Inselkammer im Ayinger am Platzl gibt es keine Plätze mehr. "Es ist eine rege Nachfrage da", sagt Inselkammer. Viele Stammgäste haben reserviert.

"Dohockadedodeoiweidohocka"

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Für Sammler gibt es auch dieses Jahr einen Wiesn-Krug. (Foto: imago images/Ralph Peters)

Das 30. Wiesn-Jahr wäre es etwa für Armin Jumel geworden. Der Friseur wird statt auf der Theresienwiese am Nockherberg sein. "Wir freuen uns und sind dabei, wir wollen dem Wiesn-Feeling so nah wie möglich kommen." Der 50-Jährige hat im Schottenhamel-Festzelt sonst den Tisch Nummer 089 - die Münchner Vorwahl. Er hat ihn von seinem Vater "geerbt", der ihn vor Jahrzehnten bekommen hatte. 1990 starb der Vater, ausgerechnet auf dem Weg zur Wiesn. Seitdem sei er fast jeden Tag da gewesen - dem Vater zu Ehren, sagt Jumel.

Auf seinem Reservierungsschild steht "Dohockadedodeoiweidohocka": "Hier hocken die da, die immer da hocken." Das wird jetzt am Nockherberg stehen - auch wenn es nicht ganz stimmt. Dieses Jahr wird er wohl nicht jeden Tag kommen.

Fast Tausend Tage und damit mehr als zweieinhalb Jahre hat Günter Werner am Tisch 180 im Schottenhamel-Zelt verbracht. Ende der 1980er Jahre bekam er dort sogar einen eigenen Telefonanschluss. Auch er wird dieses Jahr ein paar Tage auslassen. Nur Mittwoch bis Samstag will er am Nockherberg sein. Dabei wird ihm erspart bleiben, was er nie mochte: Auf den Bänken feiernde Menschen, aus deren Krügen Bier auf die Sitzenden schwappt. Er will eine ruhige Veranstaltung - "kein Remmidemmi".

Quelle: ntv.de, Sabine Dobel, dpa

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