Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Neues aus dem Irrenhaus Deutschland

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Weniger karnevalsaffine Menschen könnten denken, dass es darum geht. Aber gemeint ist natürlich die Politik.

Weniger karnevalsaffine Menschen könnten denken, dass es darum geht. Aber gemeint ist natürlich die Politik.

(Foto: dpa)

Bei uns leben 84 Millionen Hobbypsychologen. Pathologisierung ist irre angesagt. Jeder verdächtigt aus seiner Irrsinnsperspektive den anderen, dem Wahnsinn verfallen zu sein. Auch unserem Kolumnisten geht es so. Was für ihn die Frage aufwirft: Macht Wohlstand irre?

Sicher haben Sie es schon festgestellt: Die Pathologisierung rast genauso durchs Land wie der Wahnsinn. Jeder fühlt sich berufen, eine Mehrheit festzustellen, die noch (!) gerade denken kann und noch (!) alle Tassen im Schrank hat. Ferndiagnosen sind zum Volkssport geworden im Land der 84 Millionen Hobbypsychologen. Die Ostdeutschen sind alle verrückt, weil sie die Alternative für Durchgeknallte wählen, die wiederum einem ganzen Land Debilität attestiert und es "normal" machen will. Die Grünen sind total bekloppt, Brandmauer-Merz verrückt, Scholz hat nicht mehr alle Latten am Zaun, Esken fehlt sogar der gesamte Zaun, ganz zu schweigen von linken und rechten Spinnern, die nicht mal merken, dass ihnen Tassen im Schrank fehlen. Kurzum: Deutschland dreht durch. (Wie, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, auch der Rest der Welt.)

Und wissen Sie was? Es stimmt. Und wissen Sie noch was? Ich mache fleißig mit. Auch ich drehe langsam aber unsicher durch und pathologisiere ununterbrochen, denke, Deutschland gehört auf die Couch, habe bestimmt fünf Milliarden Whatsapps in den vergangenen drei, vier Jahren geschrieben, in denen stand: "Die dreht jetzt auch durch." Oder: "Der dreht endgültig durch." Und jedes Mal hatte ich recht. Jedenfalls in meiner Welt des Wahnsinns, die leider viel zu oft mit der Irrsinnswelt der anderen konfrontiert wird. Meine Kolumne lesen Durchgeknallte, die in der BRD GmbH wohnen und bei mir einen Dachschaden vermuten: "Sie sollten sich auf Ihren Geisteszustand untersuchen lassen", teilte man mir via Mail mit.

Jeder verdächtigt aus seiner Irrsinnsperspektive den anderen, dem Wahnsinn verfallen zu sein. Nehmen wir die junge Frau, die in der ARD-Wahlarena erklärte, dass "viele Politiker innen" und "viele Expert innen" - schließlich lebt auch sie in einer, nämlich ihrer, kleinen verrückten Binnenwelt mit deren eigener inneren Wahrheit, in der das Außen möglichst ignoriert wird - befunden hätten, dass "der Fokus nicht auf dem Herkunftshintergrund des Täters liegt", sondern der Mordende "psychisch krank war oder ist". Die junge Frau kann googeln, wie ich bald erfuhr. "Meine Recherchen haben ergeben, dass die allergrößte Mehrzahl der Attentäter innen der letzten Jahre auch psychische Krankheiten in ihrer Lebensspanne hatten."

Übersetzt heißt das: Islamistisch motivierte "Mörder innen" - übrigens alles Männer - in welcher Stadt auch immer sind allesamt wahnsinnig. Das glaube ich glatt. Denn Menschen, die anderen Messer in den Hals stechen in der Hoffnung, in den Himmel zu kommen und von 72 Jungfrauen beglückt zu werden, betrachte ich in meiner kleinen Welt des Wahnsinns als irre. Die junge Frau wollte von einem der "Kanzlerkandidat innen" wissen, wieso er glaubt, dass die von ihm geforderte "strenge Einreisepolitik" ein "Problem lösen soll, was ganz anderer Natur ist, dass psychische Krankheiten nicht ausreichend behandelt werden, insbesondere bei Menschen", die "teilweise erst anderthalb bis drei Jahre" nach ihrer "Ankunft in Deutschland überhaupt Zugang zu psychischer Versorgung haben". Wieso denke er, Terror zu verhindern, indem wir "einfach die Grenzen dichtmachen"?

BEIFALL. Starker Beifall für das, was ich in meiner Wahnsinnswelt als Irrsinn wahrnahm. Ich dachte: Da sitzen aber viele Irre im Publikum, die die ARD mal wieder nach ihren ganz eigenen, verrückten Methoden ausgesucht hat, um Ausgewogenheit zu gewährleisten. Aber die beklatschten Klatschenden leben ja nun mal in ihrer eigenen Wahnsinnswelt. Und wenn sie das hier vielleicht lesen, obwohl es nicht in ihre kleine Irrsinnswelt passt, die sich kolossal von meiner unterscheidet, denken sie: Der ist irre. Dem kann und will ich nicht widersprechen.

Kein Verständnis mehr füreinander

Das Fazit der jungen Frau ging jedenfalls so: Morde verhindern, indem "Menschen, die bereits hier sind, adäquat psychologische Hilfe an die Seite bekommen". Der Kanzlerkandidat sagte: "Wir können doch nicht für Hunderttausende Menschen, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, psychische, psychiatrische Hilfe zur Verfügung stellen. Die Leute müssen das Land verlassen." Die junge Frau erwiderte: "Das ist aber nicht der Grund für solche Attentate." Da trafen sich zwei Menschen aus zwei Irrsinnswelten, die vermutlich beide gedacht haben: Ist die/der irre!

Nur ein Beispiel. Aber es erklärt gut, warum das Verständnis füreinander verloren geht, so viele Menschen durchdrehen und die Alternative für Durchgeknallte wählen. Ein Verrückter fährt in eine Menschenmenge und wir irren Deutschen sollen mindestens mitverantwortlich sein, weil wir dem armen Hascherl nicht genügend psychologische Betreuung zur Seite gestellt haben - wie den übrigen potenziellen Attentätern, die unter uns leben. Schon jetzt warten deutsche Staatsbürger mit und ohne Migrationshintergrund monatelang auf einen Therapieplatz, manchmal sogar Wochen auf ein Erstgespräch beim Psychologen. Die psychiatrischen Kliniken sind voll. Dort landen Leute, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr können, oft auch jene mit Verhaltensauffälligkeiten, die die Polizei nicht für kurze Zeit in eine Zelle stecken kann und trotzdem loswerden muss, weil sie sehr viel zu tun hat.

Und eine junge Frau, deren tadelloses Gebiss von wohlhabender Herkunft zeugte, möchte Hunderttausende Menschen durch Psycholog innen und Psychiater innen betreut sehen, damit die Irrsten unter ihnen nicht Bewohner des Landes, das sie aufgenommen hat und bisweilen auch ernährt, mit Messern oder Autos den Körper ramponiert. Was die Frage aufwirft: Macht Wohlstand irre? Ich glaube: Ja. Uns Deutschen geht es einfach immer noch zu gut. Aber auch das wird sich bald ändern. Denn die Welt wird ja gerade von Irren übernommen, die eine ganz eigene, komplett verrückte Agenda haben.

Vergleiche hinken

Was tun? Aufrüsten? Nee. Nicht in der Welt der dekadenten Durchgeknallten, die es links wie rechts gibt. Der Chef einer Partei mit irren Ansichten, der sicher ist, dass man "Friedensverhandlungen nicht durch Waffenlieferungen herbeiführen kann" und Russland und Putin so gerne hat, dass er auch nicht mehr in Rüstung stecken will, sagte neulich im TV: "Die europäischen Nato-Staaten geben 430 Milliarden im Jahr für Verteidigung aus, Russland schon kaufkraftbereinigt nur 300 Milliarden." Die Währung nannte er nicht. Wozu auch? Ich denke da: ein Staat, viele Staaten. Aber in der Welt des Wahnsinns, in der der Parteivorsitzende lebt und die mit meiner Welt des Wahnsinns kollidiert, wird das nicht ins Verhältnis gesetzt. Da zählt "kaufkraftbereinigt" und dass die Nato-Staaten eigentlich viel weniger friedliebend sind als Russland, sonst würden sie nicht mehr Geld für Militär ausgeben.

Der Parteichef würde sogar im Parlament mit der Alternative für Durchgeknallte gegen das Sondervermögen der Bundeswehr, also für Putins Interessen stimmen. "Es gibt einen Riesenunterschied, ob ich mit der AfD für etwas stimme, so wie Friedrich Merz das gemacht hat", sagte er. "Oder ob ich etwas ablehne und die AfD lehnt es auch ab. Das sind zwei Riesendinge." Zumindest in der Welt des Wahnsinns ist das wohl so. Oder auch nicht. Das hängt davon ab, in welcher man lebt.

Quelle: ntv.de

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