Panorama

Timo Ulrichs bei ntv"Nochmal die Zähne zusammenbeißen"

12.07.2021, 15:10 Uhr
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In manchen Ausgehvierteln wie hier in Berlin-Friedrichshain ist schon wieder ganz schön was los. (Foto: dpa)

Die Situation heute ist nicht vergleichbar mit der Lage vor der zweiten und dritten Corona-Welle, sagt Epidemiologe Ulrichs im ntv-Interview. Dennoch seien große Zusammenkünfte wie bei den EM-Spielen "brandgefährlich" für die Kontakte der Party-Freudigen. Auch mit Blick auf den Schul-Herbst empfiehlt er Vorsicht.

Die Situation heute ist nicht vergleichbar mit der Lage vor der zweiten und dritten Corona-Welle, sagt Epidemiologe Ulrichs im ntv-Interview. Dennoch seien große Zusammenkünfte wie bei den EM-Spielen "brandgefährlich" für die Kontakte der Party-Freudigen. Auch mit Blick auf den Schul-Herbst empfiehlt er Vorsicht.

ntv: Der Inzidenzwert klettert, so eine Trendwende kennen wir ja schon von vor der dritten Welle im Frühjahr. Bleibt uns der Sommer jetzt noch als Verschnaufpause oder wird die Delta-Variante eine steile Kurve nach oben zeichnen?

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Der Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin. (Foto: ntv)

Timo Ulrichs: Wahrscheinlich wird es noch eine Weile so weitergehen, dass wir noch relativ niedrige Zahlen haben. Aber der Trend zeigt in der Tat jetzt so langsam wieder einen Anstieg. Und das könnte andeuten, dass wir Richtung Frühherbst wieder einen steileren Anstieg sehen werden. Aber das ist jetzt etwas, was wir nicht so ganz vergleichen können mit dem Anstieg in die zweite Welle hinein im Herbst letzten Jahres, denn da hatten wir noch gar keine Impfungen. Und bei der dritten Welle war es ja so, dass wir viel weiter oben in die dritte Welle hereingegangen sind. Das heißt, wir haben noch ein bisschen Luft und wenn wir einigermaßen die Abstands- und Hygieneregeln beachten, dann sollte das hoffentlich relativ lange noch so weitergehen.

Wie viel Zeit wird uns da noch bleiben, damit wir mit dem Impfen noch vor die vierte Welle kommen?

Es handelt sich um einen Wettlauf. Wir sollten schon sehen, dass wir weiter schnell impfen. Denn Richtung September, Oktober ist zu befürchten, dass wieder die Neuinfiziertenzahlen schneller nach oben gehen. Dann laufen wir wieder in die kühlere Jahreszeit hinein und haben mehr Kontakte in Innenräumen. Alles zusammengenommen kann dann wieder einen Ausbruch bedeuten. Es hängt auch ein bisschen davon ab, wie die Dynamik in den anderen Ländern ist, aus denen viele deutsche Urlauberinnen und Urlauber zurückkommen.

Brauchen wir angesichts der niedrigen Inzidenzen auch andere Indikatoren, um Entscheidungen zu treffen? Und wie könnten die aussehen?

Nach wie vor sind die Neuinfiziertenzahlen ein Frühparameter. Hier sehen wir schon die Trendwende, die sich dann in den anderen Zahlen niederschlägt: Krankenhauseinweisungen, Intensivbettenbelegung oder auch Todesfälle. Da sehen wir das erst zeitversetzt und in diesem Fall auch vielleicht gar nicht so ausgeprägt, weil eben sehr viele Altersgruppen schon geimpft sind. Somit werden sich vielleicht diese schlimmen Auswirkungen mit schweren Erkrankungen und Todesfällen gar nicht mehr so sehr zeigen. Aber um hier die Dynamik gut abschätzen zu können, sind die Neuinfiziertenzahlen nach wie vor ein sehr guter Parameter. Noch früher ginge es nur, wenn man die Abwässer von Großstädten untersucht. Da tauchen die Coronavirus-Antigene noch etwas früher auf als die Veränderungen der Neuinfiziertenzahlen in den Statistiken.

In Karlsruhe gab es jetzt einen Ausbruch nach einer Partynacht in einer Diskothek. Da tanzen die Menschen, in den Stadien feiern sie auch. Reden wir zu wenig über die Gefahren von solchen Partys?

Viele Menschen denken, die Pandemie sei schon so gut wie vorbei. Aber das ist leider noch nicht der Fall und auch diese ganzen Bilder, die wir jetzt gesehen haben von der Europameisterschaft, das ist alles brandgefährlich. Über diese vielen Zusammenkünfte kann tatsächlich auch ein Massenausbruch entstehen. Und so etwas kann auch passieren, wenn in Diskotheken viele Menschen, gerade in Innenräumen, zusammenkommen und längere Zeit zusammen sind. Es sei denn, da wird gut getestet oder die Menschen sind alle geimpft. Das ist ja leider noch nicht der Fall, gerade unter den Jüngeren, sodass man da also wirklich sehr vorsichtig sein sollte.

Das deutsche Impftempo

Es landen relativ wenig junge Leute auf der Intensivstation, trotzdem können sie ja zum Infektionsgeschehen beitragen und das Virus an Schwächere weitergeben. Ist das nicht genau das Problem zurzeit?

Richtig, das ist genau das, was wir auch schon am Anfang der Pandemie beobachtet und diskutiert haben, dass jüngere Menschen Treiber der Virusausbreitung sein können, wegen der viel höheren Kontaktzahlen. Das alles ist in der Tat für die jungen Menschen gar nicht so sehr gefährlich, aber eben für die Kontakte. Vor allen Dingen für Menschen aus Risikogruppen, die etwa aus medizinischen Gründen noch nicht geimpft werden konnten. Da gibt es nach wie vor Risiken. Deswegen sollten wir jetzt nochmal die Zähne zusammenbeißen und diese Zusammenkünfte möglichst sein lassen. Und wenn überhaupt, dann nur mit großen Abständen und guten Testungen.

Zu den Ungeimpften gehören viele Kinder, die noch keine Impfung erhalten können. Armin Laschet sagt, dass an der Maskenpflicht an Schulen erstmal festgehalten werden soll, zumindest zu Schulbeginn. Ist das sinnvoll?

Das ein schon ein sehr vernünftiger Vorschlag, dass wir versuchen, Schule und Kita so sicher wie möglich zu gestalten. Und da die Kinder, jedenfalls bis zwölf Jahre, noch nicht geimpft werden können, sollte man um sie herum möglichst alles sicher machen. Alle Erwachsenen, die mit den Kindern zu tun haben, also die Lehrer und Lehrerinnen oder Kitaerzieher, sollten gut geimpft sein. Auch die Eltern und alle, die mit den Kindern in Kontakt sind. Sodass der Schulbeginn, der ja gestaffelt abläuft über die Bundesländer, sicher ist und wir nicht nochmal in die Verlegenheit kommen, die Schulen schließen zu müssen.

Mit Timo Ulrichs sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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