Panorama

Abgeriegelte Weihnachtsmärkte"Poller werden Terroristen nicht aufhalten"

17.12.2025, 18:48 Uhr
00:00 / 07:51
Poller-sichern-einen-Eingang-zum-Nuernberger-Christkindlesmarkt-Bayerns-Innenminister-Herrmann-CSU-aeusserte-sich-am-Sonntag-in-Nuernberg-zur-Festnahme-mehrerer-Maenner-in-Niederbayern-die-mit-einem-Fahrzeug-einen-Anschlag-auf-einen-Weihnachtsmarkt-geplant-haben-sollen
Poller sichern einen Eingang zum Nürnberger Christkindlesmarkt. (Foto: picture alliance/dpa)

Poller an den Eingängen und eine erhöhte Polizeipräsenz gehören auf Weihnachtsmärkten inzwischen zum gewohnten Bild. Laut dem Vize-Vorsitzenden des Bundesverbands Veranstaltungssicherheit helfen solche Maßnahmen nur bedingt gegen terroristische Bedrohungen. Dennoch seien die Märkte sehr sicher.

ntv.de: Zur Weihnachtsmarktsaison steigt die Sorge vor Anschlägen, zuletzt gab es mehrere Festnahmen von Terrorverdächtigen. Wie sicher sind Weihnachtsmärkte?

Stephan Trogus: Die Sicherheit auf deutschen Weihnachtsmärkten ist generell sehr gut - mit Blick auf klassische Risiken wie das Brandrisiko und auch hinsichtlich des Terrorrisikos. Die Polizei ist deutlich präsenter und auch private Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Das ist sinnvoll und hilft präventiv bei vielen Risiken, beispielsweise bei Taschendiebstählen. Es gab eine ganze Weile lang zunehmende Quoten, aufgrund von spezialisierten, oft internationalen Banden. Auch im Bereich des Crowdmanagements gibt es seit dem Loveparade-Unglück von Duisburg viele Verbesserungen.

Zentraler Bestandteil der Sicherheitskonzepte sind Zufahrtssperren, einige Weihnachtsmärkte erscheinen dadurch fast hermetisch abgeriegelt. Wie sinnvoll ist das?

Bei solchen Maßnahmen im Bereich der Zufahrtssicherung, die insbesondere nach den Anschlägen auf dem Berliner Breitscheidplatz und in Magdeburg umgesetzt werden, bin ich zwiegespalten. Auf der einen Seite finde ich es sinnvoll, dass man sich generell Gedanken darüber macht, wie Fahrzeuge von so einer Veranstaltung ferngehalten werden können. Damit meine ich gar nicht unbedingt Attentäter, sondern auch Fahrzeuge von Menschen, die einen medizinischen Notfall am Steuer erleiden oder schlicht die Beschilderung ignorieren. Dagegen können Sperren zielführend sein. Einen terroristischen Anschlag können sie aber nicht verhindern. Wenn Terroristen einen Weihnachtsmarkt als Ziel benutzen wollen, werden Poller sie nicht aufhalten.

Warum nicht?

Poller verhindern zwar die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Anschlags mit Fahrzeugen unmittelbar auf den Weihnachtsmarkt. Aber ein Angreifer kann auch einfach in eine Menschenmenge außerhalb des geschützten Bereichs fahren, an den Ein- und Ausgängen zum Beispiel. Und es ist ja nicht so, dass Terroristen ausschließlich Fahrzeuge benutzen. Ein Angriff mit einem Messer oder einer Schusswaffe ist genauso niedrigschwellig und lässt sich nicht verhindern. Das haben wir am Wochenende leider wieder bei dem Anschlag in Sydney gesehen. Eine absolute Sicherheit wird es nicht geben.

Ist die Sorge vor einem Anschlag also berechtigt?

Die Gefahr durch Terrorismus und Anschläge darf natürlich nicht ignoriert werden. Zugleich muss man aber immer das Verhältnis wahren. Das Risiko eines Einzelnen, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, ist um ein Vielfaches höher als das Risiko, in Deutschland Opfer eines Attentats zu werden. Die Wahrnehmung ist nicht rational, sondern da spielen Emotionen eine große Rolle.

Verstärken sichtbare Schutzmaßnahmen mitunter auch die Angst?

Das ist durchaus möglich. Wir kennen das von Musikfestivals. In dem Moment, in dem stark bewaffnete Polizeipräsenz sichtbar wird, fördert das nicht das Sicherheitsgefühl, sondern das Unsicherheitsgefühl. Bei Weihnachtsmärkten ist mein Eindruck aber, dass es bei den meisten Menschen mittlerweile die korrekte Wahrnehmung gibt, dass ein absoluter Schutz nicht möglich ist. Ich beobachte auf Weihnachtsmärkten oft, dass die Poller als Tische benutzt werden. Das heißt, den Leuten ist zwar bewusst, dass das eine Maßnahme ist, die sie vor Fahrzeugen schützen soll. Gleichzeitig stellen sie darauf ihren Glühwein ab und begeben sich praktisch genau an den Punkt, an dem das Fahrzeug aufgehalten werden soll. Da scheint Angst keine Rolle zu spielen.

Manche Menschen sehen die Sicherheitsvorkehrungen als Indiz dafür, dass etwas aus den Fugen geraten ist.

Es stimmt, die Anschlagsgefahr ist größer als vor einigen Jahren. Da müssen wir uns nichts vormachen. Vor 20 Jahren gab es solche Sicherheitsvorkehrungen nicht. Ganz neu sind diese Themen aber auch nicht, denken Sie etwa an den RAF-Terrorismus. Und auch Amokfahrten gab es vor Jahrzehnten schon. Bei einer gestiegenen Gefahr für islamistischen Terrorismus geraten Massenveranstaltungen in den Fokus, weil sie die Möglichkeit bieten, mit einem vergleichsweise kleinen Aufwand eine hohe Medienpräsenz zu bekommen und Angst zu verbreiten. Darum geht es ja meistens.

Wer ist denn für die Sicherheit von Großveranstaltungen verantwortlich, der Veranstalter oder die Behörden?

Da muss man unterscheiden. Veranstalter, das können neben privatwirtschaftlichen Akteuren auch etwa Kommunen sein, müssen den Schutz vor Gefährdungen gewährleisten, die direkt von der jeweiligen Veranstaltung ausgehen. Das ist etwa das Brand- oder Explosionsrisiko sowie bis zu einem gewissen Punkt auch mögliche Engstellen. Die Zuständigkeit des Schutzes vor terroristischen Taten kann hingegen niemals bei einem Veranstalter liegen. Der hat weder die hoheitliche Aufgabe des Terrorschutzes, noch hat er den Zugang zu Informationen, die er braucht, um das bewerten zu können. Die Zuständigkeit für Terrorismusabwehr wird immer bei Behörden liegen, insbesondere bei den Bundes- und Landespolizeibehörden.

Und wie läuft da aus Ihrer Erfahrung die Zusammenarbeit?

Die ist oft geprägt durch eine hohe Unsicherheit seitens der Genehmigungsbehörden. Gerade Großveranstaltungen im Freien sind in Deutschland ein sehr ungeregeltes Rechtsgebiet. Statt mit konkreten Vorgaben wird da oftmals mit vielen kleinen Handreichungen gearbeitet. Da gibt es Behörden, die sagen, sie möchten auf gar keinen Fall in irgendeine Verantwortung gezogen werden. Mit denen wird es dann oft sehr schwierig, eine Veranstaltung umzusetzen. Und dann gibt es aufgeschlossene Behördenvertreter, die eine gemeinsame Risikoeinschätzung vornehmen und zusammenarbeiten wollen. Im Allgemeinen wird die Zusammenarbeit zwischen Veranstalter und Behörden nach meinem Eindruck aber besser.

Welche technischen Möglichkeiten gäbe es denn, um die Sicherheit auf Veranstaltungen zu verbessern?

Theoretisch gibt es einige. Ich bin oft mit Kollegen aus anderen Ländern in Kontakt, aktuell in den USA und den Niederlanden. Dort sind Kamera-Beobachtungssysteme und KI-basierte Auswertungen schon ein ganz großes Ding, beispielsweise um Personenströme zu analysieren, aber auch um ungewöhnliches Personenverhalten in einer Menge schneller zu identifizieren. In Deutschland sind wir leider aufgrund der sehr engen Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung nicht in der Lage, solche Hilfsmittel einzusetzen. Da gibt es zwar erste Modellprojekte, aber wir sind noch sehr weit weg davon, dass ich als Privatveranstalter sowas nutzen darf.

Das heißt, eine KI-Überwachung ist grundsätzlich nicht möglich?

Derzeit nur mit sehr großen Hürden und in der Praxis reell nicht. Wir sind froh, wenn wir eine DSGVO-konforme Live-Kamera-Überwachung auf öffentlichen Veranstaltungen erlaubt bekommen. Also eine reine Beobachtung, ohne Auswertung und ohne Aufzeichnung. Da muss dann immer ein Mensch vor dem Bildschirm sitzen und alles beobachten. Ab einer gewissen Veranstaltungsgröße ist das nahezu unmöglich. Deutlich schöner wäre es, wenn man die Technologien, die es mittlerweile gibt, auch einsetzen könnte.

Mit Stephan Trogus sprach Marc Dimpfel

Quelle: ntv.de

PolizeiWeihnachtsmärkteSicherheitspolitikTerrorismusSicherheit