Feuerhölle im Einkaufszentrum Putin eilt nach Kemerowo
27.03.2018, 07:25 Uhr
"Was sich hier bei uns ereignet, sind keine Kampfhandlungen": Das Unglück von Kemerowo erschüttert die russische Öffentlichkeit.
(Foto: picture alliance / Uncredited/AP)
Die Feuerkatastrophe von Kemerowo stürzt Russland in tiefe Trauer: Präsident Putin erhebt bei einem eilig angesetzten Besuch am Unglücksort schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen. Bei 40 der insgesamt 64 Todesopfer soll es sich um Kinder handeln.
Am Tag zwei nach der Brandkatastrophe in der sibirischen Bergbau- und Industriestadt Kemerowo mit über 60 Toten hat Russlands Präsident Wladimir Putin scharfe Kritik an Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen geübt. "Was sich hier bei uns ereignet, sind keine Kampfhandlungen, keine plötzlichen Methangasexplosionen in einem Schacht", sagte Putin bei einem nicht angekündigten Kurzbesuch am Unglücksort.
"Menschen kamen hierher (ins Einkaufszentrum), um zu entspannen, Kinder. Wir reden über Demografie und verlieren so viele Menschen, und weshalb? Aus verbrecherischer Nachlässigkeit und Schlamperei", sagte Putin mit Blick auf erste Spekulationen zu den möglichen Ursachen der Katastrophe. Nach bisherigem Stand der Ermittlungen soll ein Wachmann aus noch unbekannten Gründen den Feueralarm abgeschaltet haben, dazu sollen viele Notausgänge versperrt gewesen sein.
Putin war am Morgen überraschend in die sibirische Stadt gekommen und hatte an einer Mauer des ausgebrannten Einkaufszentrums "Winterkirsche" einen Strauß Rosen zum Gedenken an die Todesopfer abgelegt. Dort hatten zuvor Bewohner der Stadt bereits Blumen, Kerzen und Spielsachen abgelegt, ebenso wie Fotos der Opfer.
Bei der Brandkatastrophe in dem Einkaufszentrum starben insgesamt 64 Menschen, unter ihnen möglicherweise rund 40 Kinder, wie die Agentur Interfax unter Berufung auf Behördenkreise berichtete. Offizielle Angaben zur Gesamtzahl der Opfer liegen noch nicht vor. Zu Wochenbeginn wurden noch 15 Verletzte im Krankenhaus stationär behandelt, unter ihnen ein Elfjähriger, dessen Gesundheitszustand als "schwierig" beschrieben wurde.
Der grausame Feuertod vieler Kinder in Kemerowo wühlt die russische Öffentlichkeit auf: Vor dem Rathaus in Kemerowo versammelten sich Dutzende Menschen zu einer spontanen Protestkundgebung, um von den Behörden Aufklärung über die Brandursache zu fordern. Auf Anordnung von Gouverneur Aman Tulejew gilt in der sibirischen Region im Kusbass ab Dienstag eine dreitägige Trauer - zum Gedenken an die Todesopfer des Großbrandes. Auch die Hafenstadt Wladiwostok im Fernen Osten Russlands verkündete aus Solidarität mit den Opfern eine dreitägige Trauer.
Identität vieler Opfer noch unklar
Viele der offenbar minderjährigen Todesopfer konnten nach Angaben von Zivilschutzleiter Wladimir Putschkow noch nicht identifiziert werden. Als sicher gilt bislang nur, dass eine komplette Schulklasse aus der Provinz zum Zeitpunkt des Brandes in einem der Kinosäle im Inneren des ausgebrannten Gebäudes war. Wie viele von ihnen überlebt haben, ist noch unklar.

Ort der Anteilnahme: Vor den Mauern des ausgebrannten Einkaufszentrums legen Trauernde Blumen und Kuscheltiere ab.
(Foto: picture alliance / Sergei Gavril)
Das Feuer war am frühen Sonntagabend im vierten Stock des Einkaufszentrums ausgebrochen. Es erfasste innerhalb kurzer Zeit eine Fläche von rund 1600 Quadratmetern. Das Shopping-Center "Simnjaja Wischnja" (Winterkirsche), das wegen seines Kinos und des Tiergeheges besonders bei Familien beliebt ist, war 2013 in der Industriestadt rund 3000 Kilometer östlich von Moskau eröffnet worden.
Während des Großfeuers kam es im Stadtzentrum von Kemerowo zu dramatischen Szenen: Verzweifelte Angehörige suchten hilflos nach ihren Kindern und mussten ohnmächtig mitansehen, wie das Gebäude eingehüllt in eine dichte Qualmwolke niederbrannte. Die Löscharbeiten zogen sich über mehrere Stunden bis tief in die Nacht hin.
Feueralarm deaktiviert?
Bei der Suche nach der Brandursache kamen schnell Gerüchte über mangelhaften Brandschutz auf. Die Ermittler bestätigten, dass ein Wachmann den Alarm ausschaltete, nachdem er ein Signal über das Feuer im Gebäude erhalten hatte.
Warum er das tat, war zunächst nicht bekannt. Zudem sollen die Eingangstüren des Kinos verschlossen gewesen sein. Mitarbeiter des Einkaufszentrums hätten kaum Maßnahmen zur Rettung ergriffen und die Notausgänge blockiert. Als die Türen aufgingen, seien die Korridore bereits voller Rauch gewesen.
Die Brandursache liegt noch vollkommen im Dunkeln. Ersten Vermutungen zufolge könnte ein defektes Kabel den Brand ausgelöst haben. Die Ermittler folgten jedoch auch einem Hinweis, wonach einige Teenager mit einem Feuerzeug gespielt und Sitzmöbel in Brand gesteckt haben sollen. Die Ermittler riefen Eltern auf, ihre Kinder zu fragen, ob sie möglicherweise in den Spielecken des Zentrums Ungewöhnliches bemerkt hätten.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa