Sprengung am 7. Mai Rahmede-Talbrücke: Maroder Koloss wird zu Souvenirs
14.04.2023, 17:25 Uhr Artikel anhören
70 Meter hoch, gut 450 Meter lang und am Ende von 150 Kilogramm Sprengstoff zu Fall gebracht: Die Rahmede-Talbrücke in Nordrhein-Westfalen.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Am 7. Mai ist es endlich so weit, dann wird die Rahmede-Talbrücke in Lüdenscheid gesprengt. Damit endet nach mehr als 60 Jahren die Zeit eines Giganten, der zuletzt vor allem durch seine Sperrung von sich reden machte. Aber ganz geht die Brücke doch nicht verloren.
Der Countdown läuft für den 17.000 Tonnen schweren Koloss aus Beton und Stahl. Am 7. Mai soll die Rahmede-Talbrücke an der Autobahn 45 in Nordrhein-Westfalen präzise zu Fall gebracht werden. Noch ragt sie in Lüdenscheid bis zu 70 Meter hoch auf über einer der aktuell wohl bekanntesten Baustellen Deutschlands.
Das gewünschte Szenario für die spektakuläre Sprengung: 150 Kilogramm Sprengstoff bringen die Brückenpfeiler zum Einsturz, dann sinkt das 450 Meter lange Bauwerk in ein gewaltiges Fallbett - so schildert es Sprengmeister Michael Schneider in dem nahezu alpin wirkenden Areal.
Die marode Brücke ist seit Ende 2021 voll gesperrt. Für die umliegende Region hat das seitdem drastische Folgen, denn die zentrale Nord-Süd-Achse zwischen Frankfurt und Dortmund ist nun seit gut 16 Monaten unterbrochen.
Lüdenscheid und die wirtschaftlich bedeutende Region sind von Stauchaos, stockendem Lieferverkehr, Fachkräfte-Abwanderung und Umsatzeinbußen schwer getroffen. Zu Tausenden donnern täglich Laster durch die Stadt, sorgen laut Bürgerinitiative A45 für permanente Lärm- und Abgasbelastung sowie massive Schlafstörungen bei Anwohnern an den Umleitungsstrecken.
Brücke hat für Wissing Priorität
Für einen schnellen Neubau sei die anstehende Sprengung ein Meilenstein, betont Michael Puschel vom Bundesverkehrsministerium. Verkehrsminister Volker Wissing habe das Projekt ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt. Wenn im Sommer entschieden sei, welches Unternehmen den Zuschlag für den Neubau erhalte, könne man auch einen belastbaren Zeitplan für alles Weitere nennen. Wissing hatte zuerst eine Sprengung für 2022 zugesagt, dann wurde verschoben. Diese Verzögerung müsse die Ausnahme bleiben, um die Menschen schneller zu entlasten, sagt das von Grünen-Politiker Oliver Krischer geführte NRW-Verkehrsministerium.
Die Vorbereitungen unter der Rahmede-Talbrücke sind seit Monaten im Gang. Schwere Baumaschinen schaffen tonnenweise Erdreich für ein Fallbett aus gut 100.000 Kubikmetern Erde heran. Die Brückenpfeiler müssen so mit Sprengstoff versehen werden, dass sie "haargenau" gerade herunterkommen, beschreibt es Sprengmeister Schneider von der Firma Liesegang. Er hat schon viele Sprengabbrüche geleitet - aber wegen der Bebauung direkt unterhalb der Brücke sei dieser Auftrag extrem herausfordernd, meint er.
Nicht nur die Rahmede-Brücke aus den 1960er Jahren muss dringend erneuert werden, auch die nächsten Problemfälle im Straßenbereich warten schon auf eine Sanierung. "Die A45 als Ganzes ist eines der wichtigsten Erhaltungs- und Sanierungsprojekte der deutschen Straßen-Infrastruktur", berichtet das Verkehrsministerium in Düsseldorf. Aber wenn der Bund nicht insgesamt mehr Personal und Geld in den Erhalt der Brückeninfrastruktur stecke, seien neue folgenschwere Sperrungen zu erwarten. "Allein in NRW sind etwa 873 Autobahn-Brücken sanierungsreif und müssten in den nächsten zehn Jahre erhalten werden."
60 Talbrücken auf A45 baufällig
Bundesweit müssen sogar 4500 Brücken künftig saniert werden, berichtet Michael Puschel vom Bundesverkehrsministerium. Hohes Tempo über beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren seien wichtig. Der Rahmede-Neubau sei derzeit eines der Top-Projekte bundesweit, unterstreicht der Chef der Autobahn GmbH des Bundes, Stephan Krenz. An der A45 als der "Königin der Autobahnen" gelte es, 60 Talbrücken zu erneuern. Viel sei schon geschehen: 7 Brücken seien bereits neu fertiggestellt, 15 in der Bauphase, 24 habe man verstärkt. Und gut zwei Kilometer von Rahmede entfernt werde Ende Mai eine Sprengung an der Talbrücke Sterbecke erfolgen, kündigt Krenz an.
Drei Tage bevor in Lüdenscheid das Sprengsignal ertönt, wird im nordrhein-westfälischen Landtag ein Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Debakels rund um die verpasste rechtzeitige Sanierung der Brücke an den Start gehen. Die Opposition will auch die Rolle des früheren NRW-Verkehrsministers Hendrik Wüst unter die Lupe nehmen, der von 2017 bis Oktober 2021 im Amt war, bevor er Ministerpräsident wurde. Wüst hatte persönliche Versäumnisse aus seiner Amtszeit vor einigen Wochen verneint. Bei der Arbeit im U-Ausschuss sei auch zu klären, warum ein vor Jahren bereits beschlossener Neubau doch verschoben wurde und wer politisch verantwortlich sei, erläutert der Lüdenscheider SPD-Landtagsabgeordnete Gordan Dudas. "Denn wäre es bei der ursprünglichen Planung geblieben, gäbe es längst eine neue Brücke." In der aktuellen Katastrophe müsse die schwarz-grüne Landesregierung mehr Verantwortung übernehmen, der Region mehr helfen.
Ein bisschen unsterblich darf die Rahmede-Brücke auch nach ihrem Abbruch bleiben: Von ihren gewaltigen Massen sollen 90 Prozent recycelt werden. Und ein kleiner Teil wird in Steinchen-Form als Souvenir verkauft, wie Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer sagt. Der Erlös soll an einen "guten Zweck" gehen.
Quelle: ntv.de, Yuriko Wahl-Immel, dpa