Ein bisschen heile Welt Romantik und Fantasie boomen in üblen Zeiten


Vor allem junge Frauen begeistern sich für Romantasy.
(Foto: IMAGO/Hannelore Förster)
Der Buchmarkt hat es gerade nicht leicht. Und doch verkaufen sich Romane, die auf Liebe und Sex in Verbindung mit dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse in fiktiven Königreichen setzen. Die Literaturkritik zerreißt sie, während vor allem junge Frauen sie lesen und lieben.
Unmittelbar nach der Leipziger Buchmesse begab sich die Crème de la Crème der deutschen Literaturkritik in die Niederungen der Belletristik. In der SWR-Sendung "Lesenswert" befasste sie sich einige Minuten mit dem Phänomen, das unter der Rubrik "Romantasy" - eine Wortschöpfung aus Romance und Fantasy - läuft. In den Büchern, die vor allem von jungen Frauen gelesen werden, geht es in erfundenen Königreichen um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, um Macht, Intrigen, Rache, aber eben auch um Liebe, Romantik, Sex, Abenteuer, Magie. Die Romane sind sehr konventionell, oft nach Schema F geschrieben, weshalb das Feuilleton sie möglichst komplett ignoriert.
Denis Scheck, der Gastgeber von "Lesenswert", nannte Romantasy "Hirnpest in Buchform" und klagte über die "neue Begeisterung am Schundroman". Seine Kollegin Insa Wilke sagte: "Man kann sich da ein bisschen zurücklehnen, eine Welle, die vorbeigehen wird." Sie stimmte allerdings auch Ijoma Mangold, Literaturkritiker der "Zeit", zu, als der eine pauschale Abwertung des Genres ablehnte und feststellte, "dass das Lesen und das Buch in seiner Haptik als Lebensform von den jungen Leuten wiederentdeckt wird". Scheck blieb hart: "Das Grauen hat einen neuen Namen: Romantasy."
Das vernichtende Urteil tut dem Erfolg der Bücher keinen Abbruch, es erreicht die Fans ohnehin nicht - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die informieren sich nur über soziale Medien. Die Romane werden hunderttausendfach gekauft, schaffen es immer wieder auf die "Spiegel"-Bestsellerliste. Ohne sie würde es dem Buchmarkt schlecht gehen, Pessimisten würden sagen: noch schlechter. Kleinere und große Verlage, die früh auf den Trend setzten, der vor zwei Jahrzehnten mit der Twilight-Saga der amerikanischen Schriftstellerin Stephenie Meyer begann, machen glänzende Geschäfte. Andere ziehen nach oder weiten die Rubrik aus.
Verachtung ist unangemessen
Droemer Knaur hat gerade das US-Label Bramble nach Deutschland geholt, das so für seine Bücher wirbt: "Jeder hat eine gute Liebesgeschichte verdient." Der Lyx-Verlag, der zu Lübbe gehört und sich auf die Zielgruppe der jungen Erwachsenen, im Fachjargon "New Adult" genannt, konzentriert, ist im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/2025 um sagenhafte 72 Prozent gewachsen - und das nach erheblichen Steigerungsraten beim Umsatz schon zuvor. Lyx richtet inzwischen sogar ein Festival aus, das im August Tausende junge Leute besuchten. So nah dran an ihren Kunden oder vielmehr Kundinnen waren Verlage wohl nie. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass die Leserschaft das Buch auch im künftigen Leben nicht missen möchte.
"Wer in unserer Branche immer noch Romantasy verachtet, hat nichts begriffen", sagte eine Vertreterin eines großen Verlagshauses ntv.de auf der Frankfurter Buchmesse, die noch bis Sonntag geht. Auch die Messe selbst hat reagiert. Oder besser: musste reagieren. Denn im Vorjahr platzte die Halle mit den deutschsprachigen Verlagen aus allen Nähten wegen des Besucherandrangs. Fans standen stundenlang in Warteschlangen, um ein Autogramm einer Autorin zu bekommen oder ein Buch mit einem limitierten Farbschnitt zu kaufen.
In diesem Jahr haben die Aussteller, die mit Romance, Fantasy oder dem Mix aus beidem ihr Geld verdienen, Halle eins für sich allein. Frank Krings, PR-Manager der Buchmesse, bezeichnete das "als Wertschätzung dieses Genres". Astrid Behrendt, Gründerin und Chefin des erfolgreichen Drachenmond-Verlags, der auf Fantasy spezialisiert ist, sagte ntv.de: "Ich finde es super. Die Fans fanden uns schon vorher. Aber nun gibt es genug Platz, sodass sich die Leute in Ruhe und ohne Gedränge umschauen können."
Bedürfnis nach heiler Welt
Doch warum sind die Bücher eigentlich so erfolgreich? Behrendt erklärt sich den Boom so: "Je schwieriger die Lage in der Welt wird, desto mehr steigt das Bedürfnis, einfach mal alles zu vergessen, abzutauchen und in der Fiktion zu verschwinden. Eine spannende Geschichte, eine schöne Optik ist Balsam für die Seele." Tatsächlich spielen Farben und Gestaltung eine besondere Rolle in dem Genre. Sie bilden einen Kontrast zur uniformen digitalen Welt, in der man - bis auf das Smartphone oder das Laptop - nichts anfassen kann.
Eine durchgehende Besonderheit der Romane ist: Frauen sind die Heldinnen. Anders als etwa in Tolkiens "Herr der Ringe", wo fast nur Männer und männliche Wesen zentrale Figuren sind, spielen sie die Hauptrolle. Das dürfte der Grund sein, warum die überwiegende Mehrheit, die die Bücher kauft und die Messen oder Festivals besucht, Frauen sind, meist zwischen 18 und 25.
Dabei bilden Romantasy-Werke einen merkwürdigen Kontrast: Einerseits zeigen sie, dass Frauen alles - auch Krieg - können und sehr erfolgreich dabei sind. Andererseits sind sie eingebettet in ein veraltetes bis reaktionäres Weltbild von Militarismus und absoluter Herrschaft.
"Hier schreiben Frauen für Frauen über starke Frauen", meint Ralf T. Vogel, Honorarprofessor für Psychotherapie und Psychoanalyse an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. "Die Erzählungen schlängeln sich entlang einer Kompromisslinie zwischen dem Wunsch nach einer Welt mit starken und im Fokus stehenden Frauen einerseits und dem Verhaftet-Bleiben in altvertrauten Herrschaftsverhältnissen andererseits", schrieb er in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Magazins "Psychologie Heute". Seiner Meinung nach kann die Flucht in fantastische Parallelwelten hilfreich sein bei der Abwehr und Bewältigung der Krisenerscheinungen unserer Zeit. Die Inhalte vermitteln, "dass auch schwierige Situationen gemeistert werden können".
Wissen, wie Leserinnen ticken
Susanne Stark, als Programmleiterin zuständig für New Adult bei dtv, sagte im "Börsenblatt", dem Verbandsmagazin des Buchhandels: "Selbst bei den Autorinnen, die stärker auf Klischees rekurrieren, wird den Leserinnen eine ehrliche Gefühlswelt und Emotionalität vermittelt. Leserinnen wollen von der Geschichte berührt werden und sind darin auch anspruchsvoll." Dass das immer wieder gelingt, liegt wahrscheinlich auch an der engen Verbindung erfolgreicher Autorinnen, tatsächlich nur Frauen, mit ihren Fans. Sie wissen, wie die ticken, wovon sie träumen und was sie wollen - und setzen das dann in Büchern zielgerichtet ein, um ihr Publikum abzuholen.
Die Autorin Ruby Braun, die ihre Bücher im Ullstein-Verlag Forever veröffentlicht, erklärte in einem Podcast mit dem "Diffus"-Magazin ihren Ansatz, auch "über sehr schmerzhafte Aspekte des Lebens" zu schreiben und zugleich ein Gefühl "von Heilung, Wiedergutmachung und auch Hoffnung, Liebe und Freundschaft" zu erzeugen. Deshalb setzt sie auf Figuren, die nicht nur gut oder böse sind, sondern auch einmal mit sich hadern und ihr Handeln bereuen, damit die Leserschaft "immer merkt: Die ringen sehr doll darum, am Ende doch ein gutes Herz zu bewahren".
Quelle: ntv.de