"Gehirn will keine Veränderung" So gelingen Neujahrsvorsätze auch ohne Druck


(Foto: IMAGO/Christian Ohde)
Der Jahreswechsel gilt als guter Zeitpunkt, um endlich mehr Sport zu treiben oder weniger zu trinken. Doch viele Vorhaben überleben nicht mal den Januar. Psychologe und Stress-Coach Jacob Drachenberg nennt vier Tipps, die zum Erfolg beitragen - auch mit wenig Selbstdisziplin.
Die Weihnachtszeit ist für viele nicht nur eine Zeit der Besinnlichkeit, sondern vor allem des Übermaßes. Nach üppigen Festmahlen und zu viel Alkohol streben viele eine Veränderung an. Silvester kommt da gerade recht. "New Year, new me", also "Neues Jahr, neues Ich", heißt es dann. Laut einer Umfrage von Statista will die Hälfte der Deutschen im kommenden Jahr mehr Geld sparen. Fast genauso oft heißen die Vorsätze: mehr Sport treiben und sich gesünder ernähren. Und auch die Dauerbrenner schaffen es wieder auf die Liste für 2024: mehr Zeit mit der Familie, dafür weniger Stress bei der Arbeit. Aber wer sich dies schon mal vorgenommen hat, weiß, wie schnell Vorsätze fallen gelassen werden.
"Das würde letztendlich bedeuten, dass man scheitert. Scheitern ist schambesetzt. Um das zu vermeiden, nehmen sich viele Menschen gleich gar nichts vor", erklärt Jacob Drachenberg, Psychologe, Stress-Coach und Podcaster. Das Allerwichtigste sei es dann, die genaue Motivation hinter dem Vorhaben zu kennen und das positive Resultat im Blick zu haben. "Für eine Verhaltensänderung muss ich mich fragen, warum ich das Ziel erreichen will. Nur wenn das Warum stark genug ist, schaffen wir es, unbequeme Veränderungen zu starten und alte Gewohnheiten abzulegen." Wer etwa mehr Sport treiben will, um fitter zu sein und sich wohler zu fühlen oder dadurch Rückenschmerzen vorzubeugen, sollte sich diese Gründe aufschreiben und verinnerlichen. Ist der Grund nicht stark genug, sei es laut dem Psychologen besser, am Status quo festzuhalten, anstatt sich selbst durch unerreichte Ziele abzuwerten.
Drachenberg empfiehlt als nächsten Schritt, den Vorsatz so genau wie möglich zu beschreiben: "Ich sollte mir nicht nur weniger Stress wünschen, sondern klare Strategien für mehr Stressabbau und Entspannung definieren und in den Kalender eintragen, etwa Waldspaziergang, Telefonat mit der besten Freundin oder in Ruhe kochen. Was nicht im Kalender steht, fällt hinten runter." Drachenberg rät, proaktiv mehr von den Sachen zu tun, die Kraft geben.
Veränderung ist anstrengend
Eine Verhaltensänderung muss nicht immer Verzicht oder Leid beinhalten. Wer sich Vorsätzen positiv annähern will, kann auch regelmäßig mit der Familie oder Freunden telefonieren. Wer aber eine unbequeme Veränderung ansteuert, wie etwa abnehmen, der müsse laut Drachenberg seine Vorsätze genau prüfen. "Unser Gehirn will keine Veränderung, da das sehr anstrengend ist. Das Belohnungszentrum denkt eher kurzfristig und fordert weiterhin die starken Glücksgefühle, die wir von Alkohol, Schokolade oder Social Media bekommen", sagt er. Ein flaues Gefühl bei dem Vorhaben sei deshalb normal, aber überfordert sollte man sich nicht fühlen. Wer weniger trinken will, aber an dem Resultat zweifelt, kann das Ziel runterbrechen und nicht mehr allein trinken oder nur noch am Wochenende.
Im dritten Schritt wird der Zeithorizont festgelegt. Wer etwa bereits im Vorhinein glaubt, dass selbst der Januar sehr schwer werden wird, setzt das Ziel kleiner an, um überhaupt den Prozess zu starten. Drachenberg selbst arbeitet mit der Vier-Minuten-Regel. "Vier Minuten am Tag hat jeder. Ich habe etwa damit begonnen, jeden Tag vier Minuten zu meditieren. Und sollte man es doch einmal nicht schaffen, dann kann man das am nächsten Tag nachholen und acht Minuten daraus machen", sagt der Stresscoach.
Um das Erfolgsgefühl zu stärken, empfiehlt er, jeden Tag die bewältigte Aufgabe abzuhaken, etwa auf Karteikarten oder Excel-Tabellen. Ziele im Januar sollte man mit dem Dezember messen. "Selbst wenn ich es im Januar nicht geschafft habe, viermal Sport zu machen, sondern nur dreimal, dann war das immerhin schon öfter als im Dezember. Darauf kann man aufbauen und im Februar einen Schritt weitergehen." Wird der Vorsatz dennoch einige Male nicht umgesetzt, hilft es, das Schwarz-Weiß-Denken zu beenden und sich vor Augen zu führen, dass eins immer größer als null ist. Der Prozess muss nicht sofort abgebrochen werden, er kann jeden Tag neu starten.
Vorbeugen ist besser als versagen
Aber allein große Motivation reicht manchmal nicht, um sein Vorhaben wirklich umzusetzen. Viele fragen sich, warum sie etwas nicht erreichen, wo sie doch so sehr dafür brennen. "Das könnte dann an Störfaktoren liegen, die man nicht im Blick hat", erklärt Drachenberg. Im vierten Schritt geht es deshalb darum, Hindernisse ausfindig zu machen und schließlich zu eliminieren. Häufige Störfaktoren sind fehlende Zeit oder die Arbeit.
Für Routinen bewährt es sich, einen festen Tageszeitpunkt festzulegen, beispielsweise immer nach dem Aufstehen oder vor dem Zubettgehen. Verfolgt man einen "Dry January", also einen alkoholfreien Januar, sollte man den Monat auf mögliche Fallstricke prüfen. Dies sind etwa Geburtstage oder soziale Treffen. Um dem sozialen Druck zu entkommen, kann man sich alkoholfreies Bier mitbringen und damit anstoßen. Auch eine Antwort, die man sich im Vorfeld zurechtgelegt hat, hilft in Risikosituationen standhaft zu bleiben.
Wer einen Fehlschlag unbedingt vermeiden will, kann auch Mitstreiter suchen. Durch den sozialen Druck lässt sich die Disziplin aufrechterhalten. "Wenn dann jemand sein Ziel nicht schafft, wird er sanktioniert, am besten durch Spenden an gemeinnützige Vereine", sagt Drachenberg. Denn sobald es einen Nachteil als Konsequenz des Nicht-Handelns gebe, erhöhe sich die Motivation. "Ein noch stärkerer Beweggrund kann sein, wenn die Spende an jemanden geht, den man selbst hasst. Also zum Beispiel, wenn ein Grünen-Wähler an die FDP spenden muss."
Der Psychologe hat mit seinen Vorsätzen bereits im November begonnen, denn wichtige Veränderungen haben für ihn Priorität. Ist der erste Januar bereits vorbei, empfiehlt er, trotzdem zu starten - und nicht auf den nächsten Monat oder das nächste Jahr zu warten.
Quelle: ntv.de