Panorama

Ex-Drogendealer im Visier Steckt die Mocro-Mafia hinter einem Sprengstoffangriff bei Bonn?

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"Samuel Dieb" - so lautet die Botschaft der bislang unbekannten Täter.

"Samuel Dieb" - so lautet die Botschaft der bislang unbekannten Täter.

(Foto: dpa)

Im Kreis Wachtberg lassen Unbekannte einen Sprengsatz vor einem Wohnhaus hochgehen. Der Anschlag gilt wohl Samuel S., der sich allerdings in Australien aufhält. Gegenüber "Stern" und RTL/ntv spricht er von einer Karriere als Drogenschmuggler für die Mocro-Mafia. Doch die Ermittler haben Zweifel.

Es ist noch dunkel am frühen Sonntagmorgen des 22. September, als der kleine Ort Wachtberg-Adendorf in der Nähe von Bonn von einer Explosion erschüttert wird. Ein Sprengsatz detoniert gegen 4:30 Uhr am Hauseingang der Familie S. Die Eingangstür wird zerstört. Die Druckwelle dringt in den Flur und wirft die Türen in mehreren Etagen aus den Angeln. Bei dem Sprengsatz handelt es sich um einen Böller, laut Informationen von "Stern" und RTL/ntv enthält er eine Sprengstoffmenge im dreistelligen Grammbereich.

Spuren im Hausflur zeugen noch immer von der Kraft der Explosion. Fast erwischt es das geliebte Haustier der Familie. Die Jack-Russell-Hündin schläft für gewöhnlich in der Nähe der Eingangstür im Erdgeschoss in ihrem Körbchen. Doch der Anschlag gilt nicht dem Hund und auch nicht den beiden Bewohnern, einem Familienvater und seinem Sohn. Ziel des Sprengstoffangriffs ist das zweite Kind des Vaters, der ältere Sohn Samuel. Er hat den Ärger einer kriminellen Bande auf sich gezogen. Damit das auch unmissverständlich klar wird, sprühen die bislang unbekannten Täter mit Farbe die Worte "Samuel Dieb" neben die Eingangstür.

Zielperson war bekannt als Drogendealer

Der Vorfall reiht sich ein in eine Serie von Sprengstoffanschlägen, die in den vergangenen Monaten in Köln und Nordrhein-Westfalen verübt wurden. Erst drei Tage vor der Explosion in Wachtberg hatte der Kölner Polizei-Chef von "beispiellosen Fällen der Schwer- und Gewaltkriminalität" gesprochen - und einen Verdacht bestätigt, den viele Beobachter hatten: "Die Verbindungen der Taten zur organisierten Kriminalität in den Niederlanden liegen auf der Hand." Das gilt offenbar auch für die Explosion in Wachtberg.

Samuel S. kennen einige in der Region noch aus Schulzeiten. Im Bonner Stadtteil Bad-Godesberg und in seiner Heimat im Kreis Wachtberg hat sich der 23-Jährige damals mit Freunden einen Namen gemacht: als Cannabis-Dealer. Wer nach der Schule "etwas brauchte", wurde bei Samuel fündig, so erinnert sich ein ehemaliger Bekannter.

Mittlerweile lebt Samuel S. nicht mehr in Deutschland. "Stern" und RTL erreichen ihn für ein Gespräch per Videotelefonat. S. hält sich seit rund drei Jahren in Australien auf, laut eigenen Angaben mit einem Visum für Geschäftsleute. Am Telefon erklärt S. detailliert, wie er in das Geschäft mit Drogen hineingeraten sei und wie er laut eigenen Angaben Kontakte zur berüchtigten Mocro-Mafia in den Niederlanden aufgebaut hat.

Kokainschmuggel über die Grenze

Angefangen habe seine Karriere als Drogendealer im Alter von 14 Jahren durch den Kontakt zu marokkanischen Mitschülern, erklärt S. Mit ihnen sei er gemeinsam in den Drogenhandel eingestiegen. "Wir haben jeden Tag Joints geraucht, Gras und andere Drogen verkauft", behauptet S. Der Reiz des Verbotenen und der finanzielle Profit hätten ihn dann weiter in das Milieu hineingezogen. Bereits im Alter von 17 Jahren habe er große Mengen an Kokain aus den Niederlanden nach Deutschland geschmuggelt und in der Region rund um Bonn verkauft - nach seinen Angaben für eine Gruppe, die der Mocro-Mafia zugerechnet wird.

Hinter dem umstrittenen Begriff verbirgt sich ein undurchsichtiges Geflecht von niederländischen Drogenbanden, die schon lange nicht mehr nur aus Kriminellen mit marokkanischen Wurzeln bestehen. Die Banden zählen zu den wichtigsten Akteuren im europäischen Kokainschmuggel und fallen immer wieder mit Gewaltexzessen auf. In den Niederlanden gelten Sprengstoffanschläge schon lange als übliche Maßnahme in Milieukonflikten.

Samuel S. sagt, er sei für den Drogenschmuggel regelmäßig in die niederländische Grenzstadt Kerkrade gefahren. Dort habe er das Kokain "auf verlassenen Parkplätzen" in Empfang genommen. Durch spezielle "Korridore" habe er das Kokain dann mit dem Auto nach Deutschland transportiert. Mit "Korridoren" meint Samuel S. Grenzübergänge, an denen Grenzbeamte angeblich von der Mocro-Mafia bestochen wurden. "Es ist krass, so als wärst du ein Diplomat", beschreibt S. die Fahrt durch diese Korridore im Gespräch mit "Stern" und RTL. Unabhängig bestätigen lassen sich seine Angaben nicht.

5000 Euro pro Kilo Kokain

Etwa drei Jahre lang habe er für die Drogenbande gearbeitet und dabei nach eigenen Angaben ordentlich verdient. Pro Kilo Kokain, das er über die Grenze geschmuggelt hat, habe er rund 5000 Euro erhalten. Im Alter von 20, also vor etwa drei Jahren, habe er seine Kontakte zum organisierten Verbrechen dann plötzlich abgebrochen, nachdem er an der Grenze fast bei einer zufälligen Kontrolle erwischt worden sei. Außerdem habe ihm die Mocro-Mafia immer kürzere Fristen gesetzt, in denen er die Drogen in Deutschland verkaufen musste. Der steigende Druck und das zunehmende Risiko wurden Samuel S. zu groß.

Sein Ausstieg aus den Drogengeschäften sei der Auslöser für den Streit mit der Bande. Mit dem Anschlag auf das Haus seines Vaters wolle man ihn einschüchtern, vermutet S. Die Mocro-Mafia wolle ihn dazu zwingen, wieder für sie zu arbeiten, glaubt er. Seine Erklärung dafür, dass der Streit nun eskaliert ist, erscheint mindestens fragwürdig: "Bei mir läuft es finanziell richtig gut in Australien", behauptet S. Seine ehemaligen Partner seien neidisch. Er habe in Australien fünf Unternehmen erfolgreich gegründet, darunter eine Bekleidungsmarke und ein Musiklabel.

Im Handelsregister des Landes findet sich unter seinem Namen jedoch nur einzige Firma. Das Unternehmen besitzt zwar eine Website, auf der die Logos einer Modemarke und eines Musiklabels abgebildet sind. Links zu einem Onlineshop oder ein Impressum mit Details der Firma gibt es nicht. Auch anklicken lässt sich auf der Seite nichts.

Drohnachrichten auf Snapchat

Gegenüber "Stern" und RTL legt Samuel S. Nachrichten aus dem sozialen Netzwerk Snapchat vor. Darin droht ihm ein Nutzer mit dem Pseudonym "Jack" einige Tage vor dem Sprengstoffanschlag mit den Worten "I gonna fuck your dad soon" (engl.: "Ich werde bald deinen Vater ficken").

Abseits dieser Drohnachrichten kann S. jedoch keine handfesten Belege für seine Erzählungen aus der Welt des Drogenschmuggels liefern. In Ermittlerkreisen ist man deshalb vorsichtig. Ist Samuel S. wirklich ein entscheidender Komplize für die Mocro-Mafia in Deutschland gewesen? "Stern" und RTL erfuhren, dass die zuständigen Beamten daran zweifeln.

Allerdings wird vermutet, dass der Sprengstoffangriff die Folge eines Streits wegen offener Schulden von Samuel S. aus einem Drogengeschäft sein könnte. Dazu würde auch der Schriftzug "Samuel Dieb" am Tatort passen. Im Gespräch mit "Stern" und RTL bestreitet Samuel S. jedoch vehement, dass er derartige Schulden bei seinen ehemaligen Komplizen hat.

Ob diese Komplizen jedoch wirklich zum Kern der Mocro-Mafia zu zählen sind, ist fraglich. "Stern" und RTL erfuhren aus Ermittlerkreisen, dass es sich bei den Tatverdächtigen tatsächlich um eine oder mehrere Personen aus dem Dunstkreis der Mocro-Mafia handeln könnte. Die Ermittler sprechen intern aber vom sogenannten "Randbereich". Damit sind Personen gemeint, die nicht zum engen Kreis der Banden in den Niederlanden zählen, aber mit ihnen in Verbindung stehen könnten.

Quelle: ntv.de

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