Strandbäder vs. "Mare Libero" In Italien tobt der Kampf um die Strände
18.08.2024, 10:35 Uhr Artikel anhören
Liegen und Sonnenschirme so weit das Auge reicht: Der überfüllte Strand der italienischen Badeorte Riccione und Rimini an der Adria.
(Foto: dpa)
Die Strandbad-Betreiber streiken zum ersten Mal in der Geschichte Italiens und eine Bürgerinitiative setzt sich für weniger Liegestühle und Sonnenschirme ein. Die einen fürchten um ihre Konzession, die anderen hoffen auf mehr Freistrände.
"Gebt uns die Strände zurück!", so lautet die Parole der Bewegung "Mare Libero", freies Meer, die seit 2019 für mehr Freistrände entlang Italiens Küsten kämpft. Bei der diesjährigen Aktion "Sturm auf die Battigia" (Wortspiel mit Bastille, Battigia steht für den Strandstreifen direkt beim Wasser), die immer am 14. Juli stattfindet, wurden von Nord nach Süd Strände in Venetien, Ligurien, der Toskana, im Latium und in Kampanien besetzt. Protestiert wird gegen die Vereinnahmung der Badestrände entlang des Stiefels, die zu 69 Prozent von Strandbädern besetzt sind, wie unlängst der Geologe Mario Tozzi hervorhob.
In der Vergangenheit nahmen die Strandbad-Betreiber den Protest achselzuckend zur Kenntnis. Dieses Jahr reagierten sie. Am 9. August streikten sie zum ersten Mal in der Geschichte ihrer Zunft und kündigten zwei weitere Streiks am 19. und 28. August an. Für die Strandbad-Betreiber könnte diesmal nämlich wirklich die Stunde Null geschlagen haben.
"Das ist so typisch italienisch", beschwert sich eine Frau mittleren Alters, im ligurischen Badeort Zoagli. Sie sei unlängst in Paraggi, nicht weit von Portofino, gewesen, erzählt sie ntv.de. Paraggi ist wegen des kristallblauen Meers bekannt und sie wollte dort baden. "Doch keine Chance. Der kleine Strand war von den Liegestühlen beschlagnahmt, und gleich daneben ist es wegen der Klippen schwer, ins Wasser zu steigen." Sie habe ziemlich lang gehen müssen, bis sie einen Pfad entdeckte, der zum Meer und einem freien Strand führte.
Bis zu 90 Prozent vereinnahmt
Paraggi ist keine Ausnahme. Dasselbe gilt für den Badeort Jesolo, an der venezianischen Adria. Hier sind fast 70 Prozent der Strände von Bädern besetzt. In Rimini in der Emilia Romagna und im toskanischen Forte dei Marmi sind es laut Erhebungen aus dem Jahr 2019 des Umweltschutzverbands Legambiente sogar 90 beziehungsweise 93,7 Prozent.
"Das Datum 14. Juli für den Sturm auf die Battigia haben wir aus zwei Gründen gewählt", erzählte vor ein paar Tagen Roberto Biagini, Vorsitzender von "Mare Libero" der Tageszeitung La Stampa. Zum einen weise es auf die Französische Revolution hin, also auf einen Befreiungsakt. Zum anderen auf eine Verordnung vom 14. Juli 2016, mit der der italienische Verfassungsgerichtshof die automatische Verlängerung der Konzessionen als rechtswidrig erklärte. "Deswegen klappern wir die Badestrände ab und erklären den Leuten, dass sie sich sehr wohl entlang der Strandlinie hinlegen dürfen", fuhr Biagini im Interview fort.
Widersacher oder Befreier?
Im Frühjahr hatten Mitglieder von Mare Libero die Battigia der Luxus Strandbad-Kette Twiga besetzt. Im Twiga blättert man für Liege, Sonnenschirm und exklusiven Komfort 600 Euro pro Tag hin. Der Sicherheitsbeauftragte des Twiga in Ostia nahe Rom rief die Polizei. Die konnte aber nur bestätigen, dass die Besetzer nichts Illegales taten.
Die Strandkonzessionen sind nämlich am 31. Dezember 2023 ausgelaufen. Der Versuch seitens der Regierung, sie bis zum 31. Dezember 2024 zu verlängern, wurde vom italienischen Staatsrat für rechtswidrig erklärt.
Für die Strandbad-Betreiber sind die Protestierenden von "Mare Libero" lästige Widersacher, die keine Ahnung haben, wie viel Geld man investiert habe. Einer der Betreiber sagte ntv.de zu einem früheren Zeitpunkt: "Man darf nicht vergessen, dass erst dank unserer Investitionen dieser Sand überhaupt etwas wert ist."
Bei der Strandbäder-Querele geht es "Mare Libero" um den Mangel an freien Stränden, den Strandbad-Unternehmen stattdessen um die Umsetzung der Bolkestein-Richtlinie. Letztere schreibt vor, dass abgelaufene Konzessionen nicht mehr automatisch erneuert werden dürfen, sondern ausgeschrieben werden müssen. Die Richtlinie ist aus dem Jahr 2006, Italien hat sie 2016 unterschrieben. Doch alle Regierungen, gleich welcher Couleur, haben es bis jetzt geschafft, die Umsetzung hinauszuzögern.
Ein letzter Versuch wurde Anfang dieses Jahres unternommen, mit dem Argument, dass auf nur 19 Prozent der italienischen Küste Strandbäder seien, und es demzufolge genügend freie Strände gebe, die per Ausschreibung vergeben werden könnten.
Was nicht niet- und nagelfest ist, geht an den Staat
Dabei wurde aber nicht zwischen wirklichen Badestränden und Küste generell unterschieden, die auch eine steile Felswand sein kann, urbanisiert wurde, auf der großflächige Industrieanlagen errichtet wurden oder Küstenstraßen sind. Der Versuch, mit den Zahlen zu jonglieren, wurde von der EU-Kommission und Italiens Staatsrat gestoppt. Unlängst hat sich auch die italienische Wettbewerbsbehörde gemeldet und Kommunen und Regionen gemahnt, bis Ende dieses Jahres die ausgelaufenen Konzessionen ausgeschrieben zu haben.
Das erklärt auch den Streik, an dem laut Branchenverbänden 80 Prozent der Strandbad-Unternehmer teilgenommen haben. Sogar der Badeort Capalbio im Latium, wo sich die linksliberale Intelligenzija des Landes zu treffen pflegt, war mit von der Partie.
Erwähnenswert ist, dass bei dem Streik Liegestühle und Sonnenschirme von 7.30 Uhr bis 9.30 Uhr zugeklappt und geschlossen blieben, was nicht gerade eine Zeitspanne ist, in der sich die Badegäste massenweise am Strand tummeln. Die Unternehmer wollen von der Regierung Garantien, dass sie ihre Investitionen zurückbekommen, sollten sie die Konzession verlieren.
Das hört sich eigentlich logisch an, hat aber einen Haken. Wie Agostino Biondo von "Mare Libero" ntv.de sagt, kannten die Strandbetreiber die Regeln, als sie seinerzeit den Konzessionsvertrag unterschrieben haben. "Wie Paragraf 49 des Schifffahrtsregelwerks festlegt", erklärt er, "gehen schwer entfernbare Strukturen, die der Betreiber errichtet hat, unentgeltlich an den Staat." Natürlich könnten sich die zwei Vertragsunterzeichner auch anders einigen. Das sei aber nicht geschehen, weswegen die Strandbad-Betreiber dem Gesetz nach eigentlich kein Recht auf Entschädigung hätten.
Auch für "Mare Libero" könnte es sich um die Stunde Null handeln, aber im positiven Sinn. Da mit dem Auslauf der Konzessionen die Strände alle wieder an den Staat gehen, gebe es jetzt die einmalige Gelegenheit, das Verhältnis zwischen freien Stränden und Strandbädern neu zu justieren. Angemessen wäre ihnen zufolge zum Beispiel 60 zu 40.
Quelle: ntv.de