Panorama

Impfschub durch Omikron? Südafrikas Corona-Lage ist für Afrika rosig

Südafrika verfügt über genug Impfstoff, aber nicht jeder will ihn.

Südafrika verfügt über genug Impfstoff, aber nicht jeder will ihn.

(Foto: REUTERS)

1,4 Milliarden Menschen leben auf dem afrikanischen Kontinent. 54 Nationen - nur 7,5 Prozent von ihnen sind bisher geimpft. Dagegen steht Südafrika mit einer Impfquote von 26 Prozent geradezu blendend da. Trotzdem will das Land mehr.

Bei der Kriminalpolizei in Kapstadt zu arbeiten ist ein richtig tougher Job. Überfälle, Vergewaltigungen und Mord gehören zum Alltag. "In meinem Job ist der Tod eine normale Sache", sagt Detective André. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Es ist ihm peinlich, wie groß seine Angst vor dem kleinen Piks einer Covid-19-Impfung ist. Die Krankenschwester in dem Impfzentrum im Athlone-Fußballstadion ist weise, lässt keine Zeit verstreichen und packt den linken Oberarm des Polizisten. 20 Jahre Banditenjagen sind nichts im Vergleich zu einer Corona-Impfung.

Schon vor Monaten hätte André sich impfen lassen können, aber er wollte nicht. Obwohl zahlreiche seiner Kollegen und Freunde an Covid-19 starben. Warum? "Ich war sehr skeptisch wegen möglicher Langzeitfolgen." Aber jetzt sei er bereit, sagt André, der inzwischen frisch geimpft im Wartebereich angekommen ist. "Dieses Omikron-Ding hat auch viel damit zu tun. Wenn ich jetzt sterbe, dann ist es eben so. Es ist ein Risiko, aber das kenne ich aus meinem Beruf. Manche Risiken muss man eben eingehen."

Andrés Angst ist exemplarisch für die vieler Südafrikaner. "Am Anfang kamen ziemlich viele Menschen, aber jetzt erleben wir eine große Impfzögerlichkeit", sagt Fatima Peters, Managerin der Impfstation im Athlone Stadium. Es ist die derzeit größte am Westkap. Seit September gibt es hier Walk-Through- und Drive-Through-Impfungen, um es für alle so leicht wie möglich zu machen. Doch Krankenschwestern drehen auf dem riesigen Gelände Däumchen und warten gierig auf Arme, die sie piksen dürfen. "Wir haben uns entschlossen, den Walk-Through-Bereich am 15. Dezember zu schließen", sagt Fatima Peters. "Es ist wirtschaftlich nicht mehr tragbar." Und das mitten in der vierten Welle mit rasant ansteigenden Infektionszahlen - mit der Omikron-Variante.

In Afrika Vorreiter

Kurz vor ihrer Entdeckung hat Südafrika eine Lieferung von Biontech- und Johnson&Johnson-Impfstoffen abgelehnt, aus Sorge, der ohnehin schon vorhandene Bestand von 16 Millionen Dosen würde das Haltbarkeitsdatum überschreiten, bevor er verimpft werden kann. In Südafrika sind fast 26 Prozent der Bevölkerung geimpft. In Deutschland würde man sagen, nur 26 Prozent. Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern gilt Südafrikas Impfquote als großer Erfolg. Auf dem gesamten Kontinent sind gerade einmal 7,5 Prozent der Erwachsenen geimpft.

Oft vergessen wird aber die hohe Zahl der Genesenen in dem Land. Impfen ist nicht der einzige Schutz. Südafrika stemmt die Mammutaufgabe der Covid-19-Impfkampagne trotz eines maroden Gesundheitssystems, trotz spät gelieferter Impfstoffe - übrigens auch selbst bezahlter - und trotz der schwierigen Kühlkette, die der hier benutzte Biontech-Impfstoff erfordert. Als Impfungen in Südafrika möglich wurden, war innerhalb weniger Wochen ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung geimpft. Wesentlich schneller als in Deutschland.

Das Abflauen der Impfbereitschaft hat nun einen kritischen Flaschenhals erreicht, ähnlich wie in Deutschland, aber auf halbem Niveau und aus ganz anderen Gründen. Das ist wichtig zu verstehen. Das Land am Kap eignet sich nicht als Beispiel für die oft zitierte "elende Corona-Lage in Afrika". Besonders seit der Entdeckung der Omikron-Variante wird es trotzdem immer wieder dazu benutzt. Angeführt werden dabei fehlender Impfstoff, zu wenige Tests, zu wenig Expertise. All das gilt nicht für Südafrika. Trotzdem kommen Politik und Experten zu dem Schluss, Omikron beweise, dass "Afrika" eine gefährliche Wiege für Mutationen sei.

Keine einfache Wahrheit

54 extrem unterschiedliche Länder werden über einen Kamm geschert. Es ist kein Wunder, dass es an Verständnis für die eigentliche Lage fehlt und somit auch an wirksamer Unterstützung zur Eindämmung der Pandemie. Differenzierungen sind wichtig. Es gilt der gebetsmühlenartige wiederholte Satz: Die Welt ist sicher, wenn alle sicher sind.

Die politische und inzwischen auch sehr reale Abschottung des Kontinents führt mittlerweile - unbemerkt von der breiten deutschen Öffentlichkeit - zu massiven diplomatischen Auseinandersetzungen. Auf einer Konferenz im senegalesischen Dakar griffen afrikanische Staatsoberhäupter die Europäische Union in ungewöhnlich scharfem Ton an, warfen ihr Neokolonialismus, Geiz und Impfstoff-Apartheid vor. "Man fragt sich, was die Wissenschaft noch zählt", schimpfte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa über Reiseverbote für Bürger aus dem südlichen Afrika. "Uns Afrikanern haben sie immer gesagt, baut eure Entscheidungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, aber sie halten sich selbst nicht daran."

"Momentan steigen die Infektionszahlen vorwiegend im südlichen Afrika", so Dr. Salam Gueye, regionaler Notfalldirektor der Weltgesundheitsbehörde, und mahnt, das sei ein wichtiger Punkt. "Denn in den anderen Ländern des Kontinents sinken die Zahlen." Laut Gueye haben Impfstofflieferungen des Covax-Programms in den vergangenen drei Monaten endlich an Fahrt aufgenommen. Es reiche nicht, Impfstoff zu liefern, sagt er. Er muss auch zur passenden Zeit am passenden Ort ankommen. Jetzt endlich entsendet die Weltgesundheitsbehörde Teams in einzelne afrikanische Staaten, um herauszufinden, was genau die Impfkampagnen dort verlangsamt. An Erfahrung mangelt es nicht. Massenimpfungen sind wahrlich nichts Neues hier. Masern, Polio - 50 Jahre Mobilisierung, Logistik und Durchführung sollten eine Hilfe sein. Doch mit Covid-19 gestaltet sich alles anders.

Großes Misstrauen

Vieles hat mit Vertrauen zu tun. Oder besser: mit dem Mangel daran. In Südafrika zum Beispiel verlassen sich nur wenige auf Informationen der eigenen Regierung. Es gab Korruptionsskandale, bei denen hochrangige Regierungsmitglieder des African National Council (ANC) beim Verkauf von Schutzausrüstung und PR-Aufträgen für Impfkampagnen Millionen in die eigene Tasche wirtschafteten. "Wie soll ich denen glauben, wenn sie nur an uns verdienen?", fragt Zizo, eine 27-jährige Verkäuferin in einer führenden Lebensmittelkette. Sie lebt in einem der vielen Townships Kapstadts. "Man weiß ja gar nicht mehr, was man glauben soll. Viele meiner Freunde und Verwandten hatten Covid. Ihnen geht es jetzt gut. Warum soll ich mich impfen lassen?"

Die schnelle Entwicklung der Corona-Impfstoffe stimmt viele in den Städten zusätzlich skeptisch. Kritisch sehen viele auch die zahlreichen klinischen Tests, die in Südafrika stattgefunden haben und dem Land keinen Vorteil bei der Impfstoffbeschaffung verschafften. Es herrscht eine tiefe Skepsis gegenüber den führenden Wirtschaftsnationen. Man fühlt sich ausgebeutet. "Sie sagen, es ist gefährlich und die reichen Länder wollen jetzt keinen Kontakt mehr mit uns hier in Afrika", meint Kenny Tokwe im Township Imizamo Yethu. "Aber unsere Diamanten und unser Gold, das wollen sie noch."

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In den ländlichen Regionen Südafrikas ist die Lage anders. Die hiesigen Gesundheitszentren sind notorisch schlecht ausgestattet. Krankenhäuser ebenso. Es gibt zu wenige Ärzte und nicht ausreichend medizinisches Personal, Medikamente und Ausrüstung. Dementsprechend schlecht ist die Versorgung selbst zu normalen Zeiten. Das schafft wenig Vertrauen. Jetzt kommen Impfteams aus den Städten in abgelegene Orte und bringen den neuen Impfstoff. Das macht Angst, zumal die traditionellen Vertrauenspersonen in den Gemeinden wie Priester und Ältestenrat die Impfungen oft buchstäblich verteufeln. Es fehlen Leuchttürme, Vorbilder, die die Impfkampagne anfeuern. "Wir brauchen Impf-Champions", sagt Richard Mihigo, Mitarbeiter des Afrika-Büros der WHO. Sein Rat, die Gunst der jetzigen Stunde nach der Entdeckung der Omikron-Variante zu nutzen, wirkt leicht zynisch, wenn auch nicht abwegig. Als die Delta-Variante ihren Höhepunkt erreichte, habe man gesehen, welch gutes Mittel Panik sei, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. "Man muss Menschen nicht zu einer Impfung zwingen. Es muss nur klar sein, dass es eine Bedrohung gibt", so Mihigo.

André würde das sofort unterschreiben. "Ich hätte mich nicht vom Staat zu einer Impfung zwingen lassen", sagt der Kripobeamte. Seine Frau habe ihn letztendlich überzeugt. Südafrikas Regierung lässt derzeit die Rechtmäßigkeit einer Impfpflicht prüfen. Die größte Gewerkschaft und die Privatwirtschaft unterstützen sie ausdrücklich.

Quelle: ntv.de

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