Eskalation im ProzessJustizbeamte ringen Magdeburger Todesfahrer zu Boden

Tagelang will Taleb A. zu seiner Amokfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt aussagen, kündigt er am ersten Prozesstag an. Heute redet er sich derart in Rage, dass ihn Justizbeamte überwältigen müssen. Kurz darauf wird die Verhandlung beendet.
Im Prozess um die Todesfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt ist der Angeklagte Taleb A. von Spezialkräften der Justiz überwältigt und aus dem Verhandlungssaal gebracht worden. Unzählige Male hatte der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg den Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt an diesem Tag schon ermahnt, sich an die Regeln zu halten und nicht abzuschweifen.
Kurz vor Ende des Verhandlungstages machte er seine Ankündigung wahr: Er schaltete dem 51-Jährigen in seiner Glaskabine das Mikrofon ab. Dann eskalierte die Lage, der Angeklagte sprang auf. Ein Zuschauer berichtete, er habe wohl in Richtung der Tür der Glaskabine gelangen wollen, in der er gemeinsam mit seinen Anwälten sitzt. Zuschauer sahen, wie die maskierten Spezialkräfte der Justiz den Todesfahrer daraufhin überwältigten.
Zu der Eskalation war es gekommen, während ein Gründungsmitglied einer Kölner Flüchtlingshilfeorganisation auf dem Zeugenstuhl saß. Der Vereinsmitarbeiter berichtete, wie sich der Angeklagte 2017 bei ihm meldete und nach Hilfe für einen saudischen Flüchtling fragte, er habe den Kontakt zur Organisation vermittelt. Taleb A. erhob später wirre Vorwürfe. Er habe die Organisation beschuldigt, hilfesuchende Frauen sexuell zu missbrauchen oder unter Druck zu setzen. In einem Zivilverfahren verlor der Angeklagte gegen den Verein.
Nach einer etwa Viertelstunde langen Pause sprach Sternberg von einem Ausraster des Angeklagten. An den wieder in den Saal geführten 51-Jährigen richtete er sich mit den Worten: "Ich verstehe, dass das Sie mitnimmt und dass es Ihr Thema ist. Bloß alles zu seiner Zeit." Im Prozessrecht gebe es bestimmte Möglichkeiten, zu fragen und zu erklären. Sternberg erteilte dem Angeklagten daraufhin das Wort. Er dürfe sich äußern, ohne, "dass Sie wieder aufspringen und erneut zu Boden gekämpft werden müssen". Doch Taleb A. setzte seine Tirade gegen den Verein fort. Der Prozesstag wurde damit beendet.
"Fahren Sie mal eine Stufe runter"
Zuvor meldete sich der 51-Jährige immer wieder ausschweifend zu Wort, befragte Zeugen scharf und redete sich in Rage. Einen seiner ehemaligen Rechtsanwälte ging er vor Gericht massiv verbal an. Der Jurist, der als Zeuge aussagte, konnte mehrere Fragen des Angeklagten etwa zu Mails und Terminen nicht beantworten. Er hatte den Angeklagten 2023 und 2024 im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Verfahren vertreten.
Der Anwalt berichtete, A. sei von Anfang an sehr ich-bezogen gewesen. "Es ging eigentlich immer nur um ihn selbst." Beim ersten Treffen sei er noch "sehr freundlich, sehr korrekt in seinem Auftreten" gewesen. Das sei dann gekippt, als er ihm die fehlenden Erfolgsaussichten erklärt habe. Sein Mandant habe Tatsachenbehauptungen nicht beweisen können, sei ungeduldig geworden, Mails seien immer umfangreicher geworden. Nachdem das Mandat schon beendet gewesen sei, habe der Anwalt eine E-Mail mit massiven Drohungen erhalten. Taleb A. behauptete auch im Gericht wieder, der Anwalt habe Akten vor ihm versteckt.
Der 51-Jährige entgegnete mehrfach: "Er hat keine Ahnung". Er zweifelte an, dass es sich um den Rechtsanwalt handele, mit dem er einst gesprochen habe. Taleb A. bat das Gericht, Ermittlungen gegen den Mann einzuleiten.
Er geriet bereits zu diesem Zeitpunkt ein erstes Mal so in Rage, dass sich Spezialkräfte der Justiz hinter ihn stellten. Sonst sitzen sie mit ihm in einer Glaskabine. Der Vorsitzende Richter Sternberg sagte zu dem Angeklagten, der bis zur Tat als Psychiater im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter arbeitete: "Fahren Sie mal eine Stufe runter".
Taleb A. verfolgte seine Anliegen mit Nachdruck
Ein zweiter Rechtsanwalt im Zeugenstand, der A. in verschiedenen Verfahren vertrat, bezeichnete ihn als "sehr massiv". Er sei sehr engagiert gewesen und nicht bereit, nachzugeben. Er habe sein Anliegen mit Nachdruck verfolgt, habe immer sofort einen Termin haben wollen. Auch diesen Anwalt befragte der Angeklagte immer wieder zu Akten und deren Verbleib sowie zu Mails. Er machte ihm Vorwürfe, eine Fristverlängerung nicht in die Wege geleitet zu haben.
Ein Polizeibeamter, der nach der Tat im persönlichen Umfeld des Amokfahrers ermittelte, zeichnete von ihm ein Bild eines abgeschottet lebenden Menschen. Bei Befragungen in seiner ehemaligen Nachbarschaft in Bernburg hätten nur sehr wenige Menschen angegeben, ihn zu kennen. Vielmehr sei er aktiv in sozialen Netzwerken gewesen, weit mehr als 1000 Posts bei X seien ausgewertet worden. "Es gab viele Kontakte, mit denen er kommuniziert hat", so der Beamte. Im Zuge seines Asylaktivismus sei er von vielen Personen angeschrieben worden, etwa von Frauen aus dem arabischen Raum, die ihn zu Fragen zum Asyl und um Rat gebeten hatten.
Immer wieder ist im Prozess auch ein Hungerstreik des Angeklagten Thema. Richter Sternberg fragte ihn erneut, ob er sich verhandlungsfähig fühle. Der 51-Jährige antwortete mit einem klaren Ja. Nach eigenen Worten befindet er sich seit dem 10. November im Hungerstreik, an dem Tag hatte der Strafprozess gegen ihn begonnen. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen die ersten Betroffenen der Tat als Zeugen zu Wort kommen.
Am 20. Dezember 2024 war der Mann aus Saudi-Arabien mit einem mehr als zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Mietwagen mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde über den Weihnachtsmarkt gerast. Es starben sechs Menschen, mehr als 300 wurden verletzt. Taleb A. hat die Tat gestanden.