Nicht groß, aber dafür günstig Tiny Houses erobern deutsche Städte
30.07.2019, 20:32 Uhr
Das Interesse an Tiny Houses wächst - wohl auch, weil in vielen Städten die Mieten so stark gestiegen sind.
(Foto: dpa)
Sie sind klein, günstig und liegen im Trend: die sogenannten Tiny Houses. In Deutschland sprießen die Anbieter wie Pilze aus dem Boden. In vielen Städten sollen Siedlungen mit den winzigen Häusern entstehen. Die Interessenten sehen klare Vorteile.
Es sind winzige Häuschen - und sie kommen gerade ganz groß raus. Nicht nur als ab und zu genutzter Hingucker auf dem Campingplatz, als Gartenhaus oder Ferienunterkunft. Immer öfter sind sie auch als Eigenheim im Gespräch. In Zeiten explodierender Mieten und Wohnungsnot in Großstädten und Ballungsräumen wächst das Interesse an den XS-Behausungen. In vielen Kommunen wächst die Neugier. Planungen für spezielle Tiny-House-Siedlungen laufen an.
Ein Hersteller im Hamm - die Schreinerei Tiny House Diekmann - hat seit drei Jahren volle Auftragsbücher. Das 40-Personen-Team hat sich spezialisiert auf die Kleinstwohnhäuser, die mit Anhängern mobil sind, mit denen man aber auch sesshaft werden kann. "Ausgestattet sind sie nicht im Camping-Standard, sondern im normalen Hausstandard", sagt Firmenchef Stefan Diekmann.
Ein Blick in seine Werkstatt in Westfalen zeigt: Die Minis mit meist 22 bis 25 Quadratmetern Wohnfläche und auf anderthalb Ebenen sind clever eingerichtet. Vieles wird mehrfach genutzt: Ein Raumteiler zwischen Wohnraum und Küche fungiert zugleich als Treppe und Stauraum. Küchenzeile, Waschmaschine, Baderaum mit Dusche - alles drin. Die Versorgung mit Strom, Frisch- oder Abwasser funktioniere wie im Standardhaus, betont Diekmann.
"Nachfrage ist enorm"
Bundesweit gebe es rund 20 Tiny-House-Anbieter, sagt Isabella Bosler, Geschäftsführerin von Tiny Houses Consulting. Dazu kommen noch Firmen aus dem benachbarten EU-Ausland. "Die Firmen sprießen gerade wie Pilze aus dem Boden, daher ist es schwierig, einen kompletten Überblick zu bekommen." Boslers Firma aus Bayern berät zu Fragen des Baurechts und bei der Planung. Ein Verband zum Thema habe sich bislang nicht gebildet, sagt Bosler.
"Die Nachfrage ist enorm", berichtet Vera Lindenbauer, Sprecherin der Schreinerei Diekmann, die Kunden aus ganz Deutschland beliefert. Allerdings: Will man die Tinys - Kostenfaktor im Schnitt zwischen 60.000 und 65.000 Euro - als Eigenheim und festen Wohnsitz nutzen, gelten dieselben Regeln wie beim Einfamilienhaus. Es braucht also Baugrund und eine Baugenehmigung, Anforderungen an Statik oder Brandschutz sind einzuhalten, wie der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DSTGB) erläutert.
Bezahlbare Wohnungen fehlen, der Neubau reicht bei weitem nicht aus, die Immobilienpreise steigen. Angesichts des Wohnraum- und Flächenmangels werde nach Alternativen gesucht, beobachtet auch Diekmann. "In fast jeder Großstadt läuft inzwischen eine Tiny-House-Initiative." Lindenbauer berichtet über viele Anfragen von Kommunen. Für Tiny Häuser mit ihren geringen Platzansprüchen könnten viele Areale passen - auch etwa Brachflächen, die für konventionelle Baunutzung nicht ausreichten.
Derzeit geht Dortmund hier voran: Politisch beschlossen ist, dass auf einem früheren Fußballplatz im Stadtteil Sölde ein Tiny-House-Village für 40 bis 50 Bewohner entsteht. Planverfahren und Erschließung werden noch rund zwei Jahre dauern, aber schon mehr als 100 Interessenten wollen dort mit Erstwohnsitz und eigenem Kleinsthaus künftig leben, wie Gerald Kampert vom Stadtplanungsamt berichtet. "Wir bieten kleine, preiswerte Grundstücke und erschließen sie nach dem Bedarf der Tiny-House-Bewohner."
Studenten und Singles interessiert
Kampert sieht enorme Vorteile bei Flächenverbrauch und Umweltverträglichkeit: "Freistehende Häuser in den Großstädten sind echte Flächenfresser. Wir müssen umweltverträgliche, flächenschonende Alternativen anbieten." Funktioniere das Experiment in Sölde, laute das nächste Ziel: In jedem Stadtteil ein Tiny-Village. Beim Thema Wohnen und Bauen müsse man eingetretene Pfade verlassen, ist Kampert überzeugt. Andere Städte klopfen bei ihm an - etwa Münster, Bochum oder Düsseldorf.
"Die Tiny-House-Projekte sind ein spannender Ansatz", findet der Städte- und Gemeindebund. "Sie können geeignet sein, Wohnraum etwa für Studenten oder Single-Haushalte zu bieten und Städte und Gemeinden in Bezug auf Wohnungsnot zu entlasten." In Bremen läuft ein Vorhaben, in Karlsruhe hat sich eine Initiative gebildet - es kommt Bewegung in das Ganze. In Hannover soll sogar die größte Tiny-House-Siedlung Europas entstehen. Und zwar klimaneutral, mit hohen Ökostandards und zunächst für gut 210 Menschen, wie dort die Initiative Ecovillage betont. Mit der Stadt Hannover bestehe im Grundsatz Einvernehmen, wo das Quartier entstehen solle.
Und wer will in die Zwergenhäuser - ursprünglich aus den USA stammend, dort aber vornehmlich auf Rädern gebaut - einziehen? Lindenbauer zufolge sind es oft Menschen, die minimalistisch leben, auf Überflüssiges bewusst verzichten wollen. "Und wir haben eine große Kundengruppe, die ihren ökologischen Fußabdruck verringern möchte." Auch in Umbruchphasen - nach Trennungen oder Jobwechsel - werde so mancher zum Tiny-Freund. Interessiert seien auch junge Leute, die sich für ein Eigenheim nicht gleich über Jahrzehnte verschulden wollen. "Und Mieter, die für 65 Quadratmeter nicht weiter 1200 Euro zahlen wollen."
Quelle: ntv.de, Yuriko Wahl-Immel, dpa