Brände in Kalifornien Bonnie Nelson und das Trauma von Pacific Palisades


Vereinzelt stehen noch Häuser, die dem Feuer standhalten konnten.
(Foto: AP)
Sie ist selbst eine Trauma-Expertin und lebt nun mitten in einem: Ihre Heimat ist von einem Tag auf den anderen weitestgehend nicht mehr vorhanden. So etwas passiert im Krieg, bei Erdbeben - oder bei verheerenden Bränden wie in Kalifornien.
Bonnie Nelson ist eine renommierte Trauma-Therapeutin, ihre Spezialität ist die EMDR-Methode. Das ist eine schnelle und wirksame Psychotherapiemethode zur Behandlung von Traumata. Dass viele Menschen im US-Bundesstaat Kalifornien traumatisiert sein dürften, steht außer Frage. Das größte und grausamste Feuer seit Aufzeichnungen dieser Art von Katastrophen hat sich durch Los Angeles, genauer gesagt, Malibu, Pacific Palisades und andere Vororte gefressen, eine Spur der Verwüstung hinterlassen, Menschen ihres Hab und Guts und all ihrer Sicherheit beraubt. Das Feuer ist noch immer aktiv, die Menschen können nicht zurück, und wenn - wohin sollen sie gehen? Genauso geht es Bonnie Nelson, die sowohl ihre Praxis als auch ihren Wohnort im beliebten und wunderschönen Pacific Palisades hatte. Nelson spricht meist über die Traumata der anderen, heute aber geht es auch um ihr eigenes.
"Ich liebe meinen Beruf. Ich bin spezialisiert auf Ehe- und Familienberatung, aber auch Ängste, Missbrauch und Abhängigkeit. Ich war gerade bei der Arbeit, als das Feuer immer näher kam." Wir unterhalten uns über Zoom, in Kalifornien ist es neun Uhr morgens, in Deutschland 18 Uhr, die Wettervorhersagen könnten unterschiedlicher nicht sein: In Los Angeles soll es über 20 Grad werden, die Sonne wird scheinen, in Berlin ist es grau und regnerisch bei 3 Grad. Regen könnten die Angelenos jetzt gebrauchen, denn neue Feuer sind entfacht, Santa Ana macht sich bereit für neue, starke Winde, und Regen ist erst für Sonntag vorhergesagt. "So, wie du mich jetzt siehst, bin ich aus meiner Praxis gegangen - dieses Hemd, diese Kette, mein Laptop unter dem Arm, eine Handtasche. Das war's, mehr habe ich nicht mitnehmen können." Bonnie Nelson strahlt, während sie das sagt, denn sie versucht, in all dem Chaos und der Ungewissheit, ihre Fassung zu bewahren.
Nach Hause durfte sie nicht mehr, seit sie ihre Praxis in der ersten Woche des neuen Jahres verlassen musste. Über eine Woche hat sie gebangt und zwischen Hoffnung und Resignation verbracht, in Trauer um das, was verloren sein könnte, und in dem steten Glauben, dass doch noch etwas zu retten ist. Ihre Gebete wurden erhört - bis jetzt: "Mein Haus und auch das, in dem sich meine Praxis befindet, stehen noch." Ob das so bleibt, weiß nur Santa Ana. Denn immer wieder entfachen neue Feuer, holen sich, was noch übrig ist.
Also zurück zur Arbeit, zurück in ihr Haus, wenn es noch steht? "Das weiß ich nicht, aus vielerlei Gründen", erzählt sie ntv.de. Selbst, wenn alles, was sie besitzt, noch da ist - vielleicht ist es mit einer giftigen Schicht überzogen. "Vielleicht kann ich meine Sachen nie wieder gebrauchen. Und selbst wenn - um mich herum ist dann ja niemand mehr." So möchte sie nicht leben, vorerst jedenfalls nicht. Die Aufräumarbeiten werden Monate dauern, der Wiederaufbau Jahre. "Wer weiß, ob ich dann überhaupt noch arbeite", sagt die Mutter einer erwachsenen Tochter mit einem wehmütigen Lächeln.

Ob Nelsons Haus - wie dieses - wirklich noch immer steht und wenn, ob es bewohnbar ist, steht momentan in den Sternen.
(Foto: AP)
Zurück zu ihrer Art der Heilung - denn dass sie weiterarbeiten wird - muss - steht außer Frage. Bei der EMDR-Behandlung (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, also Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen) werden Trauma-Symptome genau analysiert. Der Klient vergegenwärtigt sich das traumatische Erlebnis in Gedanken und Gefühlen - und erlebt es auf diese Weise tatsächlich noch einmal. "Man muss sich - als Therapeut und Klient - im Klaren darüber sein, dass diese Methode voraussetzt, dass die zu behandelnde Person sich dessen bewusst ist", sagt Nelson. Die Patienten folgen dann mit den Augen den Handbewegungen des Therapeuten (oder einem LED-Lichtband, Anm. d. Red.), und können so ihre Erinnerungen an das traumatische Erlebnis, das im Gehirn bis dahin bislang nicht wirklich verarbeitet wurde, beschleunigt neu oder wieder verarbeiten.
"Es ist wirklich eine äußerst wirksame Therapie", sagt Nelson, die seit 2012 als zertifizierte EMDR-Therapeutin arbeitet und seit über 20 Jahren als Therapeutin praktiziert. Schon nach der ersten erfolgreichen EMDR-Sitzung erleben die meisten Patienten eine deutlich entlastende Veränderung der Erinnerung, und auch die damit verbundene körperliche Erregung klingt ab, negative Gedanken und Emotionen können neu und positiver umformuliert werden. Ein Wundermittel ist EMDR dennoch nicht, auch wenn die Methode meist schneller wirkt als andere Formen der Traumatherapie.
Und wie geht es jetzt für Nelson persönlich weiter? "Ich bin vor 30 Jahren nach Kalifornien gezogen, ich komme ursprünglich ja von der Ostküste. Ich liebe es hier! Ich werde bleiben. Ich habe etwas in Santa Monica gefunden, um vorerst von dort aus zu arbeiten." Sie hat Angebote von Freunden bekommen, bei ihnen zu wohnen, "alle sind so großzügig und helfen, wo sie können", erzählt sie. Hat die Therapeutin denn auch selbst Hilfe in Anspruch genommen in ihrer Notlage? "Oh ja", sagt sie, und man sieht, wie erleichtert sie ist, als sie darüber spricht. "Eine befreundete Therapeutin hat mit mir gearbeitet, denn ja, ich bin mit dem Leben davongekommen und ich kann mir etwas Neues aufbauen, vorgestellt habe ich mir das aber ganz anders. Jeder, der so etwas durchmacht, ist auf die eine oder andere Art traumatisiert, und es ist wichtig zu lernen, damit umzugehen. Dann kann man auch wieder nach vorne blicken." Und das tut sie!
"Ich will mein Leben wieder haben. Und ich werde ja sehen, ob das eines Tages nochmal in Pacific Palisades sein kann. Oder ob es für mich zu spät ist." Niemand weiß, wie lange die Aufräumarbeiten und der Aufbau wirklich dauern werden. Neue Feuer zündeln in der Gegend, und solange die Santa-Ana-Winde nicht abflauen, ist an Normalität nicht zu denken. Weiterhin sind Tausende Menschen auf der Flucht.
Ob sie glaubt, dass Amerika momentan in ein neues Trauma stolpert, will ich zum Schluss noch von ihr wissen. Sie lacht, etwas gequält allerdings: "Es gibt sehr viele Menschen in diesem Land, die momentan Angst haben, und zwar alle, die in das Weltbild des neuen Präsidenten und seines Gefolges nicht hineinpassen: Homosexuelle, Transgender, Alte, Kranke, Frauen, Ausländer, Menschen mit unklarem Aufenthaltsstatus, die Reihe ließe sich noch lange fortführen. Es wird viel zu tun sein, nicht nur für Therapeuten. Aber eins nach dem anderen."
Quelle: ntv.de