Panorama

Raus aus der Tabuzone Männlich, Single, kinderlos - wenn der Kinderwunsch zur Belastung wird

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Was mache ich aus meinem Leben, wenn sich mein Kinderwunsch nicht mehr erfüllt? Eine Frage, die sich betroffene Männer stellen sollten.

Was mache ich aus meinem Leben, wenn sich mein Kinderwunsch nicht mehr erfüllt? Eine Frage, die sich betroffene Männer stellen sollten.

(Foto: IMAGO/Addictive Stock)

Immer mehr Männer wünschen sich ein Kind, doch wie erfüllt sich dieser Wunsch ohne Partnerin? Das Dating wird mit wachsendem Wunsch schwerer - muss aber nicht der einzige Weg sein.

Nach dem 30. Geburtstag steht sie plötzlich für viele im Raum, die K-Frage. Kind, ja oder nein? Für viele Paare scheint die Entscheidung klar und der Weg dahin komplikationslos. Hochzeit, Schwangerschaft, Hausbau oder Suche nach einer größeren Wohnung, das ist noch immer ein fast standardisierter Ablauf. Die Kinderlosen geraten ins Abseits, egal ob sie freiwillig oder nicht auf Kinder verzichten. Viele haben dabei vor allem Frauen vor Augen. Doch wer denkt eigentlich an die Single-Männer mit Kinderwunsch?

Niemand so richtig, bestätigt Psychologe Prof. Dr. Tewes Wischmann im Gespräch mit ntv.de. Das habe unterschiedliche Gründe: "Es hat sich einiges getan, aber Frauen scheinen immer noch zuständig für das Thema Kinderwunsch, Familienplanung, Kinderkriegen", sagt der Wissenschaftler. Zudem seien es Frauen von ihrer Jugend an gewöhnt, sich durch Frauenarztbesuche mit ihrer Fruchtbarkeit auseinanderzusetzen. Männer sprechen außerdem seltener über einen unerfüllten Kinderwunsch. "Viele Männer gehen bei einem unerfüllten Kinderwunsch davon aus, dass da auch in der Sexualität etwas nicht stimmen kann, und halten sich daher im Freundeskreis oder Sportverein sehr zurück", sagt Wischmann. So entsteht ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit.

Immer mehr Männer sind ungewollt kinderlos

Der Anteil ungewollt kinderloser Frauen und Männer sind laut der Studie "Ungewollte Kinderlosigkeit 2020" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zwischen 2013 und 2020 "erheblich gestiegen". Rund ein Drittel der damals befragten Männer gab an, ungewollt kinderlos zu sein. Das sind acht Prozentpunkte mehr als noch 2013. Bei den Frauen sei die Zahl nur um rund sechs Prozentpunkte gestiegen.

"In der Regel ist für Männer mit unerfülltem Kinderwunsch eine Frau nicht nur die Voraussetzung für ein Kind, sondern steht Partnerschaft vor und über der Elternschaft", heißt es in der Studie des Bmfsfj. Doch vor der Partnerschaft steht das Kennenlernen. Für Singles mit Kinderwunsch stellt sich dann die Frage, wann und wie sie ihren Kinderwunsch ansprechen, ohne die potenzielle Partnerin zu verschrecken.

ANZEIGE
Wie geht Beziehung?: 63 Antworten auf Fragen rund um Liebe und Partnerschaft
1
19,99 €
Zum Angebot bei amazon.de

Die Schweizer Psychotherapeutin Dr. Ursina Donatsch schreibt in ihrem Ratgeber "Wie geht Beziehung?", dass der Kinderwunsch nicht das alleinige Kriterium für die Partnerwahl sein sollte. Vor allem, weil es ja auch passieren kann, dass es nicht funktioniert mit dem Kinderwunsch. "Aus einer Beziehung können Kinder entstehen, aber auch ganz viel anderes, wie Liebe, Freude oder Freundschaft", erklärt sie im Gespräch mit ntv.de.

Beim Kennenlernen sei es daher wichtig, eine mögliche Partnerin nicht zu verschrecken, dennoch könne man den eigenen Kinderwunsch elegant ansprechen. "Im Moment habe ich einen starken Kinderwunsch. Wie ist das bei dir? Was ist dir in einer Beziehung wichtig?", nennt Donatsch als Beispiel. So läge der Fokus nicht nur auf dem Kinderwunsch, sondern auch auf einer potenziellen Beziehung. Absehen sollte man von zu drastischen Aussagen, wie: "Ich will auf jeden Fall Kinder." Oder: "Keine Kinder ist keine Option."

Welche Möglichkeiten haben Männer?

Vor dieser Herausforderung steht auch Tim F. aus NRW. "Ich würde nur noch Frauen daten, die einen klaren Kinderwunsch haben", erzählt er im Gespräch. Auch mit alternativen Elternmodellen habe er sich bereits beschäftigt, denn seine Ex-Freundin wollte keine eigenen Kinder. "Ich habe vorsichtig den Vorschlag vorgebracht, eine Bekannte als Mutter zu gewinnen. Diese Frau ist lesbisch und wünscht sich Kinder über eine Samenspende", erzählt F. über das mögliche Co-Parenting, also eine geteilte Elternschaft ohne eine romantische Beziehung. "Meine Freundin hätte es zwar versucht, aber gerade für sie war es natürlich nicht das Leben, das sie sich wünschte. Wir haben die Beziehung aus diesem Grund einige Monate danach beendet." Ein Co-Parenting würde der Mittdreißiger dennoch nicht ausschließen, wenn sich sein Kinderwunsch in den nächsten Jahren nicht innerhalb einer Partnerschaft erfüllt.

Ganz so einfach ist aber auch das nicht. "Das ist eine Lebensentscheidung", sagt Gabrielle Stöcker, die als Frauenärztin und systemische Beraterin bei pro familia Köln arbeitet. "Da geht es um das Teilen gleicher Werte, die Haltung zum Beispiel zu Erziehungsfragen und auch um sich verändernde Lebenssituationen, wenn beispielsweise doch noch ein Partner oder eine Partnerin dazukommt."

Diese konkreten Überlegungen sind für Single-Männer mit Kinderwunsch eher unüblich, erklärt Psychologe Wischmann. Er ist einer der wenigen Psychologen in Deutschland, die sich in ihrer Forschung mit dem unerfüllten Kinderwunsch von Männern befassen. Die meisten Hilfsangebote richten sich an Frauen. "Das hat einen einfachen Grund: Der Frau kann aus medizinischer Sicht legal geholfen werden", sagt Wischmann. "Der Mann mit Kinderwunsch ist potenziell immer auf eine Frau angewiesen, die schwanger wird." Die Leihmutterschaft ist in vielen europäischen Ländern verboten.

Eine Adoption als weitere Option sei für einen alleinstehenden Mann schwierig, sagt Gabrielle Stöcker. "Es ist nicht verboten und theoretisch nicht ausgeschlossen, dass alleinstehende Männer Kinder adoptieren, aber praktisch halte ich es bis auf wenige Ausnahmen für fast ausgeschlossen, dass sie tatsächlich Berücksichtigung finden", so die Beraterin.

Raus aus der Tabuzone – das muss sich ändern

Mehr zum Thema

Damit Männer mit einem unerfüllten Kinderwunsch Hilfe finden, muss sich der gesellschaftliche Blick darauf ändern. "Es ist noch sehr viel Luft nach oben, raus aus der Tabuzone", sagt Wischmann. Für Männer sei es wichtig, sich mit dem eigenen unerfüllten Kinderwunsch auseinanderzusetzen. "Das würde auch bedeuten, dass man einen Plan B hat", so der Psychiater. Wie sähe mein Leben ohne Kinder aus, sei eine wichtige Frage.

Für das soziale Umfeld sei es wichtig, offen und empathisch zu sein, damit auch Männer über ihren unerfüllten Kinderwunsch und den damit verbundenen Leidensdruck sprechen können. Zudem fehle es an Vorbildern. Wischmann lobt das Interview von Ex-Fußballbundestrainer Jogi Löw von Februar 2025, in dem er über seinen unerfüllten Kinderwunsch spricht. "Das ist im deutschsprachigen Raum sehr ungewöhnlich und hat Vorbildcharakter und kann auch Männer ermutigen, damit offener umzugehen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen