Tödliche Katastrophe in Uganda Vom Müll verschüttet - "Hatten immer Angst"


Proscovia Nabafu packt ihre Habseligkeiten. Weil die Müllhalde weiter abrutschen könnte, muss sie ihr Haus verlassen.
(Foto: Simone Schlindwein)
Mindestens 34 Menschen sterben, als ein gewaltiger Müllhaufen in Ugandas Hauptstadt abrutscht und zahlreiche Häuser unter sich begräbt. Die Bewohnerinnen und Bewohner am Rande der Halde fürchteten diesen Moment schon lange. Ins Visier gerät nun die Regierung.
Schicht für Schicht heben Schaufelbagger den Morast um. Mit jedem Hieb steigt aus dem gewaltigen Berg aus Abfällen mehr Gestank empor. Unendlich viele Fliegen summen umher - rostbraunes, verseuchtes Abwasser tropft von den Schaufeln. Einige der Baggerfahrer haben sich zwei oder gar drei Corona-Masken über das Gesicht gezogen, um den Gestank zu ertragen.
Auch knapp eine Woche, nachdem in Ugandas Hauptstadt Kampala ein gewaltiger Haufen der Mülldeponie wie eine Lawine den Hang hinuntergerutscht war und zahlreiche Häuser unter sich begrub, wird noch immer nach Verschütteten gesucht. Gerade einmal 14 Menschen konnten sich aus ihren Häusern befreien, einige mussten im Krankenhaus behandelt werden. 34 Leichen wurden in den vergangenen Tagen geborgen. Doch noch immer wird nach Vermissten gesucht. Die Hoffnung, nach knapp einer Woche weitere Überlebende zu finden, ist jedoch gleich Null, so das Rote Kreuz, das für die Bergungsmaßnahmen zuständig ist.
Nun werden vorsorglich sämtliche Bewohner und Bewohnerinnen im Umkreis der gewaltigen Müllhalde am Stadtrand aufgefordert, ihre Häuser zu räumen. Der Grund: Die Regenzeit setzt so langsam ein und es besteht das Risiko, dass weitere Müllhaufen abrutschen. Deswegen hat die Stadtverwaltung entschieden, dass alle noch stehenden Häuser im Umkreis evakuiert werden müssen.
Müllhaufen wuchs immer näher an Häuser heran
Auch Proscovia Nabafus Haus ist mit einem roten Kreuz an der Hauswand markiert, ein gelbes Absperrband flattert an ihrem Hoftor. Die 44-jährige Mutter von vier Kindern packt in ihrem Wohnzimmer Teller und Tassen in eine Kiste. "Alle Leute, die innerhalb des Absperrbandes wohnen, müssen ihre Häuser räumen, weil es gefährlich sei", sagt sie und wirkt verzweifelt. "Anstatt den Müll zu beseitigen, müssen wir nun weichen." Ihre Kinder habe sie zu Verwandten gebracht, damit sie in Ruhe ihre Habseligkeiten einpacken kann. Sie zeigt auf die Hühner im Garten und die Bananenstauden, die Früchte tragen. Sie ist ratlos, was sie nun tun soll. "Die Premierministerin war hier und hat uns Entschädigung versprochen, doch ich weiß nicht, wohin ich jetzt gehen soll."
Als sie vor zwölf Jahren das Grundstück gekauft und von ihren Ersparnissen das Haus gebaut hat, gab es noch keine Müllberge in der Nachbarschaft. "Das Loch, wo der Müll abgeladen wurde, war hinter diesen Hügeln, wir bekamen davon fast nichts mit", sagt sie. Doch in den vergangenen Jahren wuchs einer der Müllhaufen immer näher an ihr Haus heran. Damit kamen zahlreiche Probleme, sagt sie: "Der Gestank, die Schmeißfliegen - es war so unerträglich, dass ich meine Kinder nicht mehr draußen spielen lassen konnte, sie waren ständig krank und husteten", so Nabafu. Ihr Blick gleitet nach oben, hinter ihr Haus, wo ein weiterer Abfallhaufen wie eine Düne emporragt: "Wir hatten immer Angst, dass dies eines Tages passiert."
Die Müllhalde im Bezirk Kiteezi am Stadtrand macht Kampalas Stadtverwaltung schon seit Jahren Probleme. Als sie 1996 angelegt wurde, war dies ein Loch zwischen drei Hügeln. Lastwagen konnten auf einen der Hügel hinauffahren und einfach alles abladen: Der unsortierte Müll rutschte dann automatisch den Hang hinab. Doch seit 2008 ist das Loch voll. Bereits damals erklärte die Stadtverwaltung, man müsse unbedingt eine neue Müllhalde anlegen. Jahrelang wurde nach geeigneten Standorten im Speckgürtel der Hauptstadt gesucht. 2016 wurde ein Gelände außerhalb der Stadt erworben. Doch die dortigen Anwohner und lokale Abgeordneten gingen auf die Barrikaden. Um eine richtige Deponie anzulegen, wo der Abfall fachgerecht getrennt, entsorgt und gelagert wird, fehlt bislang das Geld. Also wurde stets weiter der Müll in Kiteezi angehäuft.
Trend zur Abfallwirtschaft bislang verpasst
Rund 2500 Tonnen Müll fallen täglich in Ugandas Hauptstadt Kampala mit rund zwei Millionen Einwohnern an. Rund 1200 Tonnen davon werden mit Lastwagen eingesammelt, der Rest wird verbrannt oder endet in den Straßengräben. In Uganda gibt es keine Mülltrennung: Von der Bananenschale bis zum Elektroschrott landet alles unsortiert auf einem Haufen.
Während umliegende Länder wie Ruanda und Kenia bereits auf Mülltrennung umgestiegen sind, Plastik recyceln und in Kompostanlagen Biogas herstellen, hat Ugandas Regierung diesen Trend bislang verpasst. Erst 2022 wurde der nationale Müll-Entsorgungsplan ausgerufen, doch die Umsetzung geht nur langsam voran, denn es wurde kein Budget gestellt.
Im Hof der nahe gelegenen Kiteezi-Grundschule hat das Rote Kreuz riesige weiße Zelte errichtet. Rund 120 Menschen, die meisten davon Kinder, sitzen und liegen darin auf einfachen Planen. Dahinter sind sieben Toilettenhäuschen aufgestellt. Matratzen, Klopapier, Seife - alles ist Mangelware. Dabei treffen stündlich mehr Menschen wie Nabafu ein, die nicht mehr in ihren Häusern schlafen dürfen. "Das Katastrophenschutzministerium hat Lebensmittel bereitgestellt und uns beauftragt, diese Menschen hier einige Wochen zu versorgen", so John Cliff Wamala vom Roten Kreuz in Uganda. "Wir appellieren an die Bevölkerung und die Kirchen, Matratzen, Pampers für Kinder und Hygieneartikel für Frauen zu spenden, daran mangelt es sehr."
"Ich weiß, dass viel mehr Leute verschüttet wurden"
Neben ihm steht Muwada Nkunyingi im gebügelten Hemd, die feine Anzughose in Gummistiefel gestopft. Der Parlamentsabgeordnete für den Bezirk, in dem Kiteezi liegt, ist von der Opposition und gehört der Partei NUP (National Unity Plattform) an. Entsprechend sauer ist er auch auf die Regierung. "Seit Jahren habe ich im Parlament immer wieder gesagt, dass diese Müllhalde eine Gefahr darstellt." Jetzt weigere sich die Regierung, Verantwortung zu übernehmen, flucht er weiter und stellt klar: "Selbst die Zahl der Vermissten ist komplett untertrieben, es sind wahrscheinlich viele mehr, die verschüttet wurden."

Der Abgeordnete Muwada Nkunyingi macht die Regierung für die Katastrophe verantwortlich.
(Foto: Simone Schlindwein)
Mitten im Gewühl steht ein kleiner Mann im Blaumann mit gelber Arbeiterweste und dem Aufdruck "KCCA-Mülldeponie" auf dem Rücken, er nickt zustimmend. "Ich weiß, dass dort viel mehr Leute verschüttet wurden", erklärt er und stellt sich als Ken Kizito vor. "Vor allem Samstag kommen sehr viele Kinder und Jugendliche, um Plastik und Elektroschrott aus den Abfällen auszusortieren", erklärt er. Gerade jetzt, zum Ende des Schulsemesters, wenn die Prüfungsgebühren fällig sind, strömen die Schüler in Massen herbei, um auf dem Müllhaufen nach Verwertbarem zu suchen, womit sie Geld machen können.
Während die Bergungsarbeiten voranschreiten, ist die Müllhalde nun offiziell geschlossen. Kein Lastwagen darf dort mehr Abfall abladen. Zu Beginn der Woche häufte sich nun überall in der Stadt der Müll meterhoch. Kurzerhand haben die Behörden entschieden, die Müllautos zu einer Halde in der 30 Kilometer entfernten Stadt Entebbe zu schicken. Doch diese Halde liegt nahe dem Ufer des Victoriasees. Umweltschützer warnen, dass dies den See verseuchen könnte. Es müsse dringend eine langfristige Lösung gefunden werden.
Quelle: ntv.de