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Flaute bei vielen Warum Menschen immer weniger Sex haben

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Bei jungen Frauen gilt offenbar: Lieber keinen Sex als schlechten Sex.

Bei jungen Frauen gilt offenbar: Lieber keinen Sex als schlechten Sex.

(Foto: IMAGO/Panthermedia)

Paare haben immer seltener Sex, Singles noch weniger. Das liegt nicht an mangelndem Interesse, sondern vor allem an Stress, Angst und der Digitalisierung, sagt die Psychologin Juliane Burghardt. Doch lässt sich der Lust-Verlust wieder umdrehen?

Glaubt man einer Umfrage der Partnerbörse Parship aus dem Januar 2020, haben rund ein Drittel der unverheirateten Paare mehrmals pro Woche Sex. Bei verheirateten Paaren waren es rund 19 Prozent, bei den Singles nur etwa 12 Prozent. Aber rund 17 Prozent der Befragten mit Partner oder Partnerin und 39 Prozent der Singles gaben an, gar keinen Sex zu haben.

Die Zahlen passen in ein Bild, das auch internationale Studien zunehmend belegen. In den westlichen Gesellschaften haben Menschen weniger Sex als noch vor 15 oder 20 Jahren. Das erscheint in einer Welt, in der Sex scheinbar allgegenwärtig ist, irgendwie widersinnig. Auf der Suche nach einer Antwort hat die promovierte Psychologin Juliane Burghardt deutsche Zahlen von 2006 und 2016 verglichen. Die Analyse zeigt, die Häufigkeit der sexuellen Abstinenz hat in allen Altersklassen zugenommen, während die Lust abgenommen hat. Andere Studien zeigen, dass dieser Rückgang bei vielen Sex-Praktiken zu finden ist.

Die Wissenschaftlerin sieht gleich mehrere Ursachen für diese Flaute bei den Intimkontakten. "Wenn wir uns die gesellschaftlichen Veränderungen ansehen, dann sehen wir, dass wir als Gesellschaft im Moment relativ gestresst sind, relativ viel Angst haben und uns relativ wenig miteinander verbunden fühlen", sagt sie ntv.de. "Ich glaube, das ist eine schlechte Voraussetzung für Sexualität."

In der Tatsache, dass Menschen seltener in Partnerschaften leben, sieht die Expertin eine weitere Ursache für weniger Sex. Denn grundsätzlich sei es so, dass Menschen in Beziehungen mehr Sex haben als Singles. In festen Partnerschaften geben die meisten demnach in Umfragen an, dass sie einmal in der Woche mit dem Partner oder der Partnerin intim werden. Bei einem Single liege die Zahl im Durchschnitt bei weniger als einmal im Monat, so Burghardt.

Handyzeit ist keine Sex-Zeit

Zudem schlagen sich die steigenden Zahlen von Menschen mit Depressionen und Burnout auch oft in einer gestörten Libido nieder. Das liege zum einen an der psychischen Erkrankung selbst, die die Entspannung verhindert, die Grundlage für Sex ist, aber auch an den Auswirkungen von Antidepressiva. Gleichzeitig sorgt ein insgesamt geringerer Alkoholkonsum für weniger sexuelle Begegnungen, was in diesem Fall vermutlich kein Verlust ist. Denn Sex unter Alkoholeinfluss ist oft weniger einvernehmlich und häufig auch weniger befriedigend.

Einen wesentlichen Punkt sieht die Expertin, die über das Phänomen das Buch "Alles kann, nichts läuft - Warum wir immer weniger Sex haben" geschrieben hat, in der umfassenden Digitalisierung. "Wir verbringen weniger Zeit miteinander und diese Zeit müssen wir uns oft mit dem Handy teilen. Aber in der Zeit, in der wir am Handy sitzen, können wir uns dem Partner nicht öffnen."

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Gleiches gilt auch für den Konsum von Pornos, die je nach Sichtweise für mehr Stimulation, aber auch weniger Intimität sorgen können. "Wenn man alles darf und gleich hat, dann baut sich nicht diese Spannung auf, dieses Geheimnisvolle, und man kommt auch gar nicht mehr ins Ausprobieren", so die Expertin. Das wirke sich problematisch auf den Sex-Drive aus.

Bedürfnis nach mehr

Der Befund ist umso trauriger, weil die meisten Menschen gern mehr Sex hätten. "In unseren neuen Daten sagt fast die Hälfte der Befragten, sie hätte gerne mehr Sex", erzählt Burghardt. Wie viel mehr, das hänge vom Alter, dem Geschlecht und dem Beziehungsstatus ab. Eine Gruppe, die besonders heraussticht, sind die jungen Single-Frauen. Dreiviertel von ihnen gibt an, dass sie gern mehr Sex hätten.

Für die Forscherin ist das keine Überraschung. "Wir wissen, dass es die Frauen sind, die entscheiden, ob Sex stattfindet oder nicht. Und ich glaube, ein Teil der Antwort ist wirklich, dass das, was den Frauen geboten ist, nicht mehr gut genug ist." Frauen seien finanziell meist nicht mehr darauf angewiesen, in einer Beziehung zu sein.

Die Lösung für diesen Teil des Problems sieht die Autorin darin, dass Männer in heterosexuellen Partnerschaften mehr Wissen über weibliche Sexualität erlangen müssten. So dominiere noch immer das Ideal vom penetrativen Sex, bei dem der Penis in die Vagina gesteckt wird. Viele Geschlechtsakte endeten mit dem Orgasmus des Mannes. Ein Teil des Lernprozesses müsse deshalb sein, "herauszufinden, was man mit der Klitoris macht und sicherzustellen, dass die Frau zumindest in vielen Fällen einen Orgasmus hat".

In Umfragen ergebe sich regelmäßig das Bild, dass der Großteil der Männer eigentlich immer guten Sex hat. Dazu müsse man aber wissen, dass "Männer auch in Beziehungen schon zufrieden sind, wenn überhaupt Sex stattgefunden hat". Frauen hingegen äußerten Zufriedenheit, wenn der Partner zufrieden war.

Das Zusammensein üben

Daran werde auch deutlich, dass es sehr viele verschiedene Motive geben kann, miteinander zu schlafen. Oft gehe es um Bindung oder Beziehung, manchmal aber auch nur um den Sextrieb. In einer Studie wurden mehr als 200 verschiedene Antworten auf die Frage nach dem Warum für Sex gegeben. "Es gibt die offensichtlichen Gründe: Es macht Spaß und man kann es genießen. Gerade Männer sagen auch, sie haben einfach Sex, weil da gerade eine attraktive Person war." Man könne aber auch aus Gründen Sex haben, die eigentlich mit Sex selbst gar nichts zu tun haben. "Einige haben offenbar Sex, um Kalorien zu verbrennen, keine Kopfschmerzen zu haben oder um einzuschlafen." Andere hätten Sex, um sich am Partner zu rächen, ihn zu verletzen oder um sicherzustellen, dass die Partnerschaft bestehen bleibt.

Wer mehr Sex haben möchte, kommt der Expertin zufolge nicht umhin, sich mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. "Sex passiert, wenn man Freiraum dafür hat, sich dem Partner oder der Partnerin nahe fühlt, man sollte auch ein bisschen eine gute Zeit miteinander verbringen." Aber natürlich gebe es auch Techniken, mit denen man sich dem Sex wieder annähern kann. "Man sollte als Erstes das Handy weglegen. Dann könnte man sich die Hand von seinem Partner oder seiner Partnerin führen lassen, um zu sehen, was funktioniert." Immer wieder werde zudem empfohlen, sich beim Masturbieren zuzusehen.

Letztlich sei die Sexlosigkeit aber nur ein Symptom für etwas anderes, meint Burghardt. "Wir müssen daran arbeiten, dass wir als Gesellschaft einfach viel mehr Zeit miteinander verbringen und respektieren, dass der Mensch dafür geschaffen ist, mit anderen Menschen zusammen zu sein."

Quelle: ntv.de

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