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Dilemma im Vaterschaftsrecht Wenn der leibliche Papa keine Chance hat

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Um das Familienleben zu schützen, hat der rechtliche Vater einen hohen Stellenwert. Die strikte Gesetzeslage birgt allerdings ein Risiko: Engagierte Erzeuger werden aus dem Leben ihres leiblichen Kindes gedrängt. Ob das noch zeitgemäß ist, entscheidet nun das Bundesverfassungsgericht.

Ein Mann wohnt mit einem Kind zusammen, das nicht er, sondern ein anderer Mann gezeugt hat. Möglicherweise ist er der neue Partner der Kindesmutter, vielleicht hat er seiner Ehefrau einen Seitensprung verziehen. Für die beschriebene Familienkonstellation gibt es zahlreiche Gründe, sie ist weder ungewöhnlich noch selten. Und trotzdem wirft sie regelmäßig eine wichtige Frage auf: Wer ist der Vater? Der Mann, der das Kind gezeugt hat oder jener, mit dem es sich nun eine Wohnung teilt?

Entscheidend ist die Antwort deshalb, weil es rechtlich nur einen Vater geben kann. Dabei kommt es für den Staat darauf an, wer Windeln wechselt und Pausenbrote schmiert - wer also tatsächlich Verantwortung übernimmt. Was aber, wenn das auf beide Männer zutrifft? Dann ist der leibliche Vater oft chancenlos.

Ein 44-jähriger Mann aus Sachsen-Anhalt ist daher bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Er ist zweifelsfrei der biologische Vater eines mittlerweile dreijährigen Jungen - die rechtliche Vaterschaft liegt hingegen bei dem neuen Freund der Mutter. Genau diesen Status will der leibliche Vater anfechten. Dabei macht ihm allerdings die aktuelle Gesetzeslage einen Strich durch die Rechnung: Weil der neue Freund der Mutter eine sogenannte sozial-familiäre Beziehung zu dem Jungen hat, ist eine Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater ausgeschlossen. Er werde dadurch in seinem Vaterschaftsrecht aus Artikel 6 des Grundgesetzes verletzt, sagt der biologische Vater. Ob er recht hat - und ob die aktuellen Bestimmungen zur Vaterschaft noch zeitgemäß sind - entscheiden nun die Richterinnen und Richter in Karlsruhe.

Neuer Freund der Mutter wird rechtlicher Vater

Die Beziehung des leiblichen Vaters zur Mutter des Kindes hielt rund ein Jahr. Beide lebten bis kurz nach der Geburt ihres Sohnes im April 2020 in einer gemeinsamen Wohnung. Dann, als der Junge ein paar Wochen alt war, trennte sich die Mutter. Daraufhin zog der leibliche Vater des Jungen aus der gemeinsamen Wohnung aus.

Für den 44-Jährigen begann damit der Kampf um seinen Sohn. Sofort versuchte er, die Vaterschaft für den Sohn anerkennen zu lassen. Notwendig ist das, weil das Paar nie verheiratet war - er ist damit zwar der leibliche, nicht aber automatisch auch der rechtliche Vater des Jungen. Nun braucht es für die Vaterschaftsanerkennung die Zustimmung der Mutter. Zum vereinbarten Termin beim Standesamt tauchte diese jedoch nie auf. Zweimal drängte der verzweifelte Vater darauf, die Angelegenheit mithilfe des Jugendamtes zu klären, doch auch damit biss er bei der Kindesmutter auf Granit.

Schließlich erreichte den leiblichen Vater jene Nachricht, die seine Bemühungen um das Kind so gut wie ausweglos machte: Der neue Freund der Mutter hat die Vaterschaft für den Jungen anerkannt. Die Mutter hatte dem zugestimmt, das Paar und der Junge leben nun als Familie zusammen. Gerichtlich wurde dem rechtlichen Vater eine familiär-soziale Bindung zu dem Kind attestiert. Damit ist eine Anerkennung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater nicht mehr möglich. Dass auch er eine enge Bindung zu seinem Sohn hat, spielt keine Rolle mehr.

Zeit mit Kind wird immer kürzer

Nun ändert ein fehlender Rechts-Titel aus sozialwissenschaftlicher Sicht kaum etwas an der Beziehung zum Kind, wie die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur erklärt. Zum einen können Kinder durchaus Bindungen zu mehreren Vätern aufbauen. Im Fall aus Sachsen-Anhalt etwa nennt der kleine Junge sowohl den Freund seiner Mutter als auch seinen leiblichen Vater "Papa", wie die Agentur berichtet. Zum anderen seien Interaktionen für die Bindung mit dem Kind wesentlich wichtiger als der rechtliche Status, sagt Ahnert. Dieser stetige Kontakt ist auch ohne rechtliche Vaterschaft möglich. So räumte der Gesetzgeber rein biologischen Vätern schon 2013 ein Umgangsrecht ein, wenn ein ernsthaftes Interesse am Kind besteht und der Kontakt dem Kindeswohl dient.

Was rechtlich möglich ist, verläuft in der Praxis allerdings noch lange nicht problemlos. Im Fall des leiblichen Vaters aus Sachsen-Anhalt hielt sich die Mutter nur anfangs an die Kontakt-Vereinbarungen, im Laufe der Zeit wurde sie immer unkooperativer. Nach und nach schraubte sie die Umgangszeit des leiblichen Vaters herunter, bis sie die Treffen schließlich komplett einstampfte. Mehrmals musste der biologische Vater sein Recht auf Kontakt mit seinem Sohn gerichtlich durchsetzen.

Zudem ist das Umgangsrecht nicht viel mehr als das Minimum der Vaterschaftsrechte. Der leibliche Vater kann damit weder bei der Erziehung mitsprechen, noch den Aufenthalt seines Kindes bestimmen. Das geht nur mit dem Sorgerecht - auf das er ohne Anerkennung seiner Vaterschaft keine Chance hat.

Familienleben steht an erster Stelle

Dass der Gesetzgeber bei den Regeln zur Vaterschaft derart strikt ist, hat durchaus einen guten Grund. So wiegt die gelebte soziale Familie und die Sicherheit, die diese dem Kind gibt, schwer. Das familiäre Zusammenleben soll vor Störungen geschützt werden. Denkbar ist etwa der Erzeuger, der sich nach der Geburt aus dem Staub macht und mit seinen spät aufkeimenden Vaterschaftsbemühungen für Chaos sorgt. Um das Kind davor zu schützen, hat das Familienleben Vorrang vor den Interessen des leiblichen Vaters.

Dieser Gedanke des Gesetzgebers erklärt auch das beschränkte Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters: Er kann die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes nur angreifen, wenn er beweisen kann, dass dieser keine Bindung zum Kind hat.

In der Praxis führe das dazu, dass Anfechtungsklagen leiblicher Väter "selten Erfolg haben", erklärt die Anwältin für Familienrecht, Melanie Besken, in einem Beitrag. Denn das Gesetz geht bereits dann von einer familiär-sozialen Bindung aus, wenn der rechtliche Vater mit der Kindesmutter verheiratet ist oder er mit dem Kind zusammenlebt. Damit lässt der Gesetzgeber kaum Spielraum. Das birgt das Risiko, dass er problematische Konstellationen erzwingt, wie der Bundesgerichtshof bereits 2017 feststellte.

"Dringender Handlungsbedarf"

Die Familienrechtler der Bundesrechtsanwaltskammer werden in einer Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht noch deutlicher: In Fällen wie jenem aus Sachsen-Anhalt besteht die Gefahr, dass die Vaterschaftsanerkennung durch den neuen Partner missbraucht werde, "um den leiblichen Vater aus dem Leben des Kindes und der Kindesmutter zu drängen". In diesen Konstellationen habe die Rechtsprechung eine erhebliche Verantwortung: Sie müsse verhindern, dass individuelle Beziehungsinteressen der Beteiligten den Interessen und dem Wohl des Kindes vorgezogen werden.

Vor dem Hintergrund veränderter Familien- und Partnerschaftskonstellationen kritisiert die Kammer auch die enorme Überlegenheit der Ehe. Diese "per se über die biologische Herkunft eines Kindes zu stellen", sei "nicht mehr vertretbar", mahnen die Juristinnen und Juristen. Ihre Forderung an den Gesetzgeber ist daher unmissverständlich: Es bestehe "dringender Handlungsbedarf" zur Reform der aktuellen Gesetzeslage.

Der entscheidende Anstoß dazu könnte schon bald aus Karlsruhe kommen: Wenn die Verfassungsrichter dem Vater aus Sachsen-Anhalt eine Grundrechtsverletzung bestätigen. Und wenn sie zu dem Entschluss kommen, dass die leibliche Vaterschaft gestärkt werden muss.

Quelle: ntv.de

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