Panorama

Rassismus an Ukraine-Grenze Wenn die Hautfarbe für die Flucht entscheidend ist

Menschen aus Afrika oder mit afrikanischen Wurzeln beklagen, dass sie an der Grenze von der Ukraine zu Polen aufgehalten und bedroht werden.

Menschen aus Afrika oder mit afrikanischen Wurzeln beklagen, dass sie an der Grenze von der Ukraine zu Polen aufgehalten und bedroht werden.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Sie alle fliehen vor Gewalt und Tod: Doch Nicht-Weiße haben es deutlich schwerer, aus der kriegsgebeutelten Ukraine in die sicheren Nachbarländer zu kommen - davon zeugen zumindest erschütternde Videos und Berichte.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht in sichere Nachbarländer - unter ihnen auch viele ausländische Studenten aus Afrika, Asien oder dem Nahen Osten. Die Videos, die in sozialen Netzwerken dazu geteilt werden, sind erschütternd: Nicht-Weiße werden von ukrainischen Polizisten von den rettenden Zügen ferngehalten, dürfen nicht einsteigen - offenbar wegen ihres Aussehens. Unter dem Hashtag #AfricansinUkraine wird den ukrainischen Behörden Rassismus vorgeworfen, ebenso den Behörden in den angrenzenden Ländern wie Polen.

Auch Jean-Jacques Kabeya ließen die ukrainischen Grenzbeamten nicht ausreisen. "Sie sagten mir: 'Du wirst mit uns kämpfen, du gehst nicht weg - schon gar nicht als Schwarzer'", erzählt der 30-Jährige aus der Demokratischen Republik Kongo. Kabeya studierte Pharmazie in Charkiw im Osten des Landes. Als die russischen Angriffe begannen, floh er nach Westen und erreichte am Sonntagabend den Kontrollpunkt Schegyni an der Grenze zu Polen. Doch die ukrainischen Soldaten und Sicherheitsbeamten wiesen ihn zurück.

36 Stunden habe er vergeblich darauf gewartet, nach Polen durchgelassen zu werden, sagt Kabeya. Schließlich kehrte er zurück zum 70 Kilometer entfernten Bahnhof in Lwiw (Lemberg), wo er sich einer Gruppe von Landsleuten anschloss. "Es ist eine Katastrophe", sagt der Student. Einen Ausweg aus dem Krieg hat er immer noch nicht gefunden.

"Keine Busse für uns"

Wie Kabeya ergeht es derzeit auch vielen anderen ausländischen Studenten, die vor den Schrecken des Krieges fliehen wollen. Rachel Onyegbule, eine Medizinstudentin in Lwiw, erinnert sich, wie sie und andere Ausländer aus einem Transitbus gezwungen wurden, um in der Kälte zu warten, während dieser "nur mit ukrainischen Staatsangehörigen an Bord" losfuhr, erzählt die Nigerianerin der CNN. Mehr als zehn Busse seien gekommen, doch sie hätten zusehen müssen, wie alle wegfuhren. "Wir dachten, nachdem sie alle Ukrainer mitgenommen hatten, würden sie auch uns mitnehmen", sagt Onyegbule. "Aber sie sagten uns, es gebe keine Busse mehr für uns und wir müssten zu Fuß gehen." Warum? Das liegt für die Studentin auf der Hand: ihre Hautfarbe.

Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) sind bereits mehr als eine Million Menschen seit dem russischen Angriff aus der Ukraine geflohen. Die meisten Nachbarländer zeigten sich hilfsbereit, kündigten die Aufnahme der ukrainischen Geflüchteten an. Darunter auch Ungarn und Polen, die bislang vor allem wegen ihrer vehementen Ablehnung einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik aufgefallen waren.

Doch für manche Menschen gestaltet sich der Grenzübertritt in die sicheren Nachbarländer schwieriger als für andere. Am Grenzübergang Schegyni zu Polen stehen am Dienstag mehrere hundert Menschen aus Pakistan, Indien, der Demokratischen Republik Kongo, Kamerun, Ghana und Algerien und warten in einer Schlange verzweifelt darauf, passieren zu dürfen. Für einige ist es nach eigenen Angaben bereits die vierte Nacht im Freien bei Temperaturen von bis zu minus zehn Grad.

Ungarn und Polen dementieren die Vorwürfe

Die zweite Warteschlange auf der anderen Straßenseite ist für Ukrainer reserviert - hauptsächlich Frauen und Kinder, da die meisten Männer zum Kämpfen zurückbleiben müssen. Diese Schlange bewegt sich schneller. "Weil wir Ausländer sind, behandeln sie uns wie Hunde", sagt Mesum Ahmed, ein 23-jähriger Informatikstudent aus Pakistan. "Wir haben hier auf dem Bürgersteig geschlafen, aber den Ukrainern ist das völlig egal", empört er sich. Der BBC schildern Studierende aus Nigeria, dass ihnen von Polizisten an der polnischen Grenze gesagt worden sei, dass sie sich um Afrikaner nicht kümmern würden. Die Polizisten hätten die Studenten zudem geschlagen.

Auch von der ungarischen Grenze gibt es ähnliche Berichte. Laut dem ungarischen Nachrichtenportal "444.hu", sollen Menschen aus sogenannten Drittstaaten offenbar getrennt behandelt werden am Grenzübergang Beregsurány. So sollen sie den Angaben zufolge in ein anderes Unterbringungszentrum gebracht werden. Die Mehrheit dieser Menschen stamme aus Afrika und Indien.

Sowohl die Ukraine als auch Polen und Ungarn bestreiten derweil jedwede Diskriminierung. "Niemand wurde an der Ausreise aus der Ukraine gehindert", heißt es in einer Mitteilung des ukrainischen Grenzschutzes. Es habe keine Beschwerden gegeben. Jeder, der aus der Ukraine fliehe, sei unabhängig von seiner Nationalität willkommen, heißt es auf polnischer Seite. Und auch Ungarn versichert, sich gleichermaßen um alle Geflüchteten zu kümmern. Hilfsorganisationen vor Ort konnten die Rassismus-Vorwürfe bislang nicht bestätigen - aber auch nicht dementieren.

"Schockierend rassistische" Behandlung

Die Ukraine ist ein beliebtes Ziel für ein Auslandsstudium. Etwa 16.000 afrikanische Studierende leben nach Angaben der südafrikanischen Botschaft dort. Besonders besorgt zeigte sich die Afrikanische Union über die offenbar "schockierend rassistische" Behandlung ausländischer Studenten an den ukrainischen Grenzen. Manche Länder teilten mit, einige ihrer Staatsbürger hätten die Ukraine inzwischen verlassen können. Regierungen von Südafrika bis zur Demokratischen Republik Kongo bemühen sich, ihren Bürgern zu helfen. Manche entsandten Diplomaten an die ukrainische Grenze, um die Studenten bei der Ausreise zu unterstützen.

Zu den schwerwiegenden Vorwürfen hatte sich auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geäußert. Einige Menschen würden im Vergleich zu anderen, die vor der Russland-Ukraine-Krise fliehen, "anders behandelt", sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi bei einer Pressekonferenz. Die Diskriminierung sei zwar ersten Erkenntnissen zufolge nicht staatlich gelenkt, aber es gebe sie in einzelnen Fällen. Das dürfe nicht sein, betonte Grandi. "Alle fliehen vor den gleichen Risiken."

Quelle: ntv.de, Mit Material von AFP

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