Panorama

Eine für alle Wir killen unsere Kinder

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What's wrong with you, guys? Ihr seht doch eigentlich ganz normal aus. Vielleicht zu "normal"?

What's wrong with you, guys? Ihr seht doch eigentlich ganz normal aus. Vielleicht zu "normal"?

(Foto: AP)

Ein Präsident, der in einem Video "aus Spaß" und mit KI (von ihm allerdings nicht "Künstliche Intelligenz" genannt, sondern "genius") einen Vorgänger in Handschellen abführen lässt, eine Bundestagspräsidentin, die Regenbögen wohl nicht mag - die Kolumnistin hat sich was von der Seele zu schreiben.

Zuerst wollte ich darüber schreiben, wie Trump seine Kinder tötet. Also seine Landsleute. Die, die die Ernte einfahren ("Meine Leute haben Angst, zur Arbeit zu kommen"), an Schulen unterrichten, die Klos putzen, die eigene Firmen gegründet haben und Angestellte, die Kinder haben, die in den USA geboren wurden. Trump lässt sie alle von ICE "einsammeln" und in "Abschiebehaftanstalten" (Detention Center) vegetieren. Er sägt seinem Land den Ast ab, auf dem er und die anderen Millionäre sitzen. Wer wird die Dreckarbeit machen, fragt man sich, das Land am Laufen halten? Jedenfalls, je länger ich über Trump nachdachte (es ist mir nicht möglich, ihn bei seiner Amts-Bezeichnung zu nennen, denn das würde voraussetzen, dass er einen Funken Anstand und Würde hätte, und da er das nicht hat, kann ich auch nicht Präsident im Zusammenhang mit Trumpel schreiben) desto klarer wurde mir, dass es gar nicht nur um Orange-Man geht. (Puuuh, das tut gut, das rauszulassen. Aufschreiben hilft immer, hat man dann aus dem Kopp.)

Denn er lässt ja nicht nur Leute verhaften, abführen, ins Ungewisse schicken, die eine andere Hautfarbe oder eine andere Religion oder einen anderen Geburtsort im Pass haben; er lässt ganz viele im Stich, die in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren wurden. Gerade wurden die Beratungsstellen und Hotlines für LGBTIQ+-Belange geschlossen ("The Trump Administration will officially close the national suicide lifeline for LBGTIQ+ youth", The Trevor Project). Kinder und Jugendliche, die nicht so genau wissen, was mit ihnen los ist, wer oder wie sie sein wollen, die sich nicht trauen, mit jemandem in ihrer Umgebung zu sprechen, werden sich selbst überlassen. Eine queere Person äußert sich auf Instagram folgendermaßen: "Trump möchte uns tot sehen" in Anspielung darauf, dass es viele gibt, die sich mit Suizid-Gedanken quälen.

Sowieso kein Talent

Trump fabriziert derweil Schlagzeilen wie: "Trump erpresst NFL-Team", "Richterin macht im Streit um Harvard-Gelder Druck auf Trump", "Trump schließt Wall Street Journal von Schottland-Reise aus", "Trump verbreitet KI-Video von Obama in Handschellen" (Whaaaat the f*ck???), Jimmy Kimmel laut Trump "der Nächste" (nachdem bekannt wurde, dass Stephen Colbert und seine Late-Night-Show im Mai 2026 eingestellt werden, Colbert, ein Urgestein des politischen Talks, der gehen muss, weil finanzielle Interessen den Sender CBS zum Einknicken gebracht haben müssen). Trump schrieb auf Truth Social, seinem eigenen Kanal: "Ich liebe es absolut, dass Colbert rausgeworfen wird", der 61-Jährige habe laut Trump sowieso kein Talent. Das ist so unwürdig.

Aber - Schuster bleib bei deinen Leisten, in unserer bunten Republik Deutschland, oder sollte ich sagen, ehemals bunten Republik Deutschland, sieht es ja nicht besser aus. Gut, wir haben keinen Präsidenten, der so agiert wie Trump, aber wir haben eine Bundestagspräsidentin, die agiert, als wäre sie die Hauptdarstellerin in "Kevin allein zu Haus". Und ja, meinetwegen, Julia Klöckner möchte ein wenig für Zucht und Ordnung im Plenarsaal sorgen. Dass daraus eine Art Kulturkampf wird, kann aber nicht das Ziel sein. Oder doch? Wenn sie jetzt sogar kleine Sticker, sogenannte Pins, am Sakko-Revers verbieten will, dann Gnade uns Gott.

Jeder, wie er will? Schön wär's!

Natürlich geht es um Regenbogen-Pins, die Klöckner nicht gefallen, weder als Flagge vorm Reichstag noch als Mini-Solidaritätsgeste in Form einer kleinen Brosche. Fehlt nur noch, dass man seinen Einhorn-Anstecker oder seinen Verdienstorden nicht mehr tragen darf, weil sich jemand anders auf den Schlips getreten fühlen könnte.

Tsstsstss, keine Anstecker hatten wir doch vereinbart!

Tsstsstss, keine Anstecker hatten wir doch vereinbart!

(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Andere sind mit der Verteilung von Regenbögen da viel eindeutiger, die Berliner Verkehrsbetriebe beispielsweise, oder der Bürgermeister. Oder die Polizei, die vor ihren Dienstgebäuden munter die bunten Flaggen wehen lassen, um zu demonstrieren, wofür Berlin steht: für Offenheit und Schutz und Freiheit und Vielfalt und "jeder nach seiner Fasson". Ob das immer so hundertprozentig gelebt oder durchgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt, aber das Zeichen ist schon mal wichtig. Vor allem an einem Tag wie heute, an dem in der Hauptstadt der Christopher-Street-Day gefeiert wird - hoffentlich friedlich!

Ein dickes Fell, das beste Accessoire

Es gibt Grenzen, richtig, und mit einer Kufiya übertritt man momentan leider eine Grenze, da muss man schon ganz hart pöbeln wollen, wenn man das Tuch um den Kopf oder die Schultern schlingt. Und bestimmte Texte auf T-Shirts sind auch nicht wirklich passend, wenn man seriös arbeiten und ernst genommen werden möchte. Ich drohe abzudriften, was ich eigentlich sagen wollte: Ich dachte, bei uns wäre es nicht so schlimm wie in den USA. Und ja, das ist es auch - noch - nicht.

Wenn man sich jedoch ein wenig genauer umhört, dann bekommt man mit, dass queere, homosexuelle, anders aussehende Menschen tagtäglich einen Spießrutenlauf hinlegen müssen: durch die Stadt, in der Bahn, beim Einkaufen, im Park. Manche Menschen glauben tatsächlich, das Recht zu haben, andere beschimpfen und beleidigen zu können. Dass dieses Klima es wieder in die Mitte der Gesellschaft geschafft hat, ist ein Riesenproblem. Dass Menschen glauben, sie dürften über andere urteilen, andere runtermachen, eine fatale Entwicklung.

Neulich hat mich am Gartenzaun eine alte Frau beschimpft. Sie nannte mich "Schlampe, jiddische". Sie kann nicht wissen, ob ich "schlampig" oder "jiddisch" bin. Es geht sie beides auch gar nichts an. Die Tatsache, dass sie meinte, es mir zuzischen zu können, ist problematisch. Sie fühlte sich mir anscheinend überlegen, als ich den Rasen harkte. Ich war leider sprachlos, was mir selten passiert. Weil ich zuerst dachte, das kann sie ja nicht gesagt haben. Denn egal, ob ich "es" bin oder nicht - was erlaubt sie sich mit dieser Bemerkung? Was geht in jemandem vor, der das sagt. Wie bestätigt fühlt sich eine solch alte Wachtel in diesem Land, um eine Person ungestraft beleidigen zu können? Mal abgesehen davon - ich fühle mich nicht beleidigt. Das liegt jedoch nur an meinem glücklicherweise sehr dicken Fell.

So, ich muss los, ich muss an den Gartenzaun im schönen Berlin-Wilmersdorf, einem Stadtteil, in dem jüdisches Leben willkommen ist. Auf dem Weg dahin denke ich darüber nach, wie lange es bei uns wohl noch dauert, bis USA-ähnliche Detention-Center errichtet werden, wo alle hineinkommen, die gewissen Leuten nicht passen. Und dann warte ich auf die alte Hexe und bete ein flottes Vaterunser für sie, während sie mich anfleht, ihr die Kabelbinder wieder abzunehmen, mit denen ich sie am Gartenzaun festgeschnallt habe.

Quelle: ntv.de

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