Hilgenfeld über Corona-Lage "Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein"
05.05.2021, 16:22 Uhr
Acht Prozent der deutschen Bevölkerung haben bereits beide Impfdosen erhalten.
(Foto: dpa)
Die Impfkampagne kommt voran. Immer mehr Menschen erhalten ein Vakzin. Doch Infektiologe Hilgenfeld warnt vor zu viel Optimismus: Zum einen haben noch zu wenige Menschen den vollen Schutz. Zum anderen werden immer wieder neue Mutationen nach Europa kommen. Und selbst die dritte Welle ist längst nicht überstanden.
ntv: Jeder Vierte ist schon geimpft - sogar mehr. Am Wochenende fallen die Kontakte und Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte. Haben wir die Pandemie mit den Impfungen besiegt?
Rolf Hilgenfeld: Jeder Vierte ist einmal geimpft, aber nur acht Prozent sind zweimal geimpft und haben den vollen Schutz. Das ist nur ein Bruchteil der Bevölkerung und deswegen kann man nicht sagen, dass wir die Pandemie im Griff haben. Wir wissen auch nicht, wie lang der Impfschutz anhält und welche Mutanten noch auf uns zukommen werden.
Wie schätzen Sie denn die Gefahr durch Mutationen ein?
Relativ groß. Wir wissen, dass die südafrikanische Mutante durch den Impfstoff von Astrazeneca nicht in Schach gehalten werden kann. Das heißt, wir haben nur partiellen Schutz. Je mehr wie wir impfen, desto mehr werden wir es mit Mutanten zu tun haben, weil das Virus unter Druck gerät und versucht, durch sogenannte Escape-Mutationen auszuweichen.
Könnte es sein, dass im Herbst die Supermutante kommt und die Pandemie nochmal von vorne beginnt?
Wir müssen darauf vorbereitet sein. Es ist gefährlich, jetzt zu früh alles öffnen, bevor wir die dritte Welle überwunden haben. Dann besteht die Gefahr, dass wir sehr bald wieder zurückfallen in frühere Zeiten mit hohen Infektionszahlen. Auch heute haben wir 18.000 Neuinfektionen laut RKI. Man kann nicht davon sprechen, dass bald das Ende der dritten Welle in Sicht ist. Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein, damit wir nicht verspielen, was in den letzten Wochen erreicht wurde.
Wenn wir aber jetzt viele impfen, sind sie nicht mehr - wie man so schön sagt - immunologisch aktiv.
Das ist sicherlich richtig. Man kann damit rechnen, dass Krankheitsverläufe nicht mehr so schwer sein werden, wenn Geimpfte von einem mutierten Virus infiziert werden. Es wird also weniger schwere Krankheitsverläufe und weniger Todesfälle geben. Ein gewisser Grundschutz wird nach der Impfung vorhanden sein.

Rolf Hilgenfeld arbeitet am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung und hat das Coronavirus entscheidend mit entschlüsselt. Er forscht an der Uni Lübeck.
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Sie forschen auch im Bereich antivirale Medikamente. Wie ist da der Stand?
Es geht um Medikamente, die in den Vermehrungsmechanismus des Virus eingreifen und diesen stoppen. Wir haben damit schon vor mehreren Jahren begonnen. Die Effizienz der Verbindung wird in Tierversuchen überprüft, und das sieht relativ gut aus. Außerdem hat Pfizer zwei Verbindungen in die klinische Prüfung gebracht. Für die eine müssen die Patienten zur Verabreichung ins Krankenhaus. Das ist also für die schweren Fälle. Und die andere gibt es als Tablette, so wie es im Moment aussieht. Da beginnen gerade die klinischen Prüfungen. In zweieinhalb bis drei Jahren können wir vielleicht mit einem zugelassenen Medikament rechnen.
Es gibt also noch kein Medikament, das uns helfen könnte. Wir müssen weiterhin auf Impfungen setzen.
Ja, es gibt im Moment keine direkt agierenden antiviralen Medikamente. Wir brauchen diese aber für die Zukunft, denn das Coronavirus wird sich nicht vollkommen unter Kontrolle bringen lassen ohne solche Wirkstoffe. Zudem wird es immer neue Mutationen geben, weil in vielen Erdteilen noch nicht oder nur sehr wenig geimpft wurde. Das Virus wird also immer wieder nach Mitteleuropa zurückkehren und dafür brauchen wir Medikamente.
Mit Rolf Hilgenfeld sprach Nina Lammers
Quelle: ntv.de