Panorama

Intensivarzt Janssens bei ntv "Wir wünschen uns endlich eine klare Ansage"

Prof. Dr. med. Uwe Janssens ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler.

Prof. Dr. med. Uwe Janssens ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler.

(Foto: picture alliance / photothek)

Es ist ein Drama mit Ansage: Wie von vielen Experten vorhergesehen, laufen die Intensivstationen wieder mit Covid-19-Patienten voll. Intensivmediziner Janssens frustriert das - er fordert im ntv-Interview jetzt ein entschiedenes Handeln der Ampel-Koalition.

ntv: Die Intensivstationen laufen wieder voll. Wer liegt da im Moment?

Uwe Janssens: Es liegen derzeit überwiegend Nicht-Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen. Das ist erstmal die gute Botschaft. In Süddeutschland etwa sind es aber anteilsmäßig bis zu 30 Prozent Covid-19-Patienten - in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen. Dort, wo wir hohe Inzidenzen und eine niedrige Impfquote haben, gibt es hohe Belegungszahlen in Krankenhäusern und auf den Intensivstationen. 55 bis 65 Prozent davon sind über 60-Jährige. Aber der Altersdurchschnitt hat sich im Vergleich zum letzten Jahr deutlich abgesenkt. Das macht uns Sorgen und belastet zunehmend die Intensivstationen, weil diese Patienten dann auch tatsächlich deutlich länger mit Covid-19 auf den Intensivstationen liegen.

Christian Drosten sagt, wenn wir bei der Impfquote bleiben, die wir im Moment haben, dann rechnet er mit 100.000 weiteren Toten. Würden Sie sich dem anschließen?

Ich muss ganz ehrlich sagen: 1000, 2000 oder 3000 Tote mehr würde mich schon nervös genug machen. Wir sind ja bei knapp 100.000 Covid-19-Toten mittlerweile angelangt. Das ist schlimm genug! Alles, was wir tun können, um das zu verhindern, ist richtig. Wir in der Intensivmedizin sagen ganz klar, die Impfungen müssen vorangetrieben werden, und die Booster-Impfungen sind jetzt besonders wichtig.

Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund die Corona-Pläne, die die zukünftige Regierungskoalition nun vorgelegt hat?

Ich habe den Eindruck, dass wir steckengeblieben sind in den Koalitionsverhandlungen, und dass wir hier nicht richtig weiterkommen. Man muss jetzt nochmal in die Pötte kommen und klar sagen, was gemacht werden soll. Es darf nicht heißen: Jetzt sollen die Bundesländer wieder alles entscheiden. Das ist doch nicht der Weg, den wir uns vorstellen. Wir würden uns endlich eine klare Ansage, eine gute Führung, eine verständliche Führung wünschen, die dann die Maßnahmen schnell und einheitlich ergreift.

Gesundheitsminister Spahn hat ntv heute gesagt, dass man ja immer auf die bevorstehende Situation - steigende Zahlen, den Personalnotstand in den Krankenhäusern - hingewiesen habe. Es scheint also kein Erkenntnisproblem zu geben, und trotzdem reden wir wieder über volllaufende Intensivstationen. Wo ist das Problem?

Das Problem ist, dass es nicht reicht, darauf hinzuweisen. Auch wir Ärztinnen und Ärzte haben auf die Personalprobleme hingewiesen, und zwar übrigens schon vor der Corona-Pandemie. Da ist wenig passiert. Das sind ja auch Probleme, die sind über Jahrzehnte entstanden, die lösen wir nicht mit einem Daumenschnippen. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Spahn im späten Sommer sagt, wir erwarten 80.000 Infektionen pro Tag und dann ein Auslaufen der pandemischen Lage ankündigt, passt das nicht ganz zusammen.

Wir haben jetzt schon Landkreise mit Inzidenzen von über 1100. Auf was für einen Alltag stellen Sie sich im Winter ein?

Es ist nach dem Motto: Täglich grüßt das Murmeltier. Wir kennen das. Wir haben das hinter uns, und wir werden auch das schaffen. Wir haben die Instrumente eigentlich in der Hand und können es gemeinsam schaffen, und das ist glaube ich eine ganz wichtige Botschaft. Die Spaltung, die derzeit durch die Gesellschaft geht, die bedrückt uns auch in den Krankenhäusern. Weil wir dauernd das Gefühl haben, wir würden Alarm schlagen und einfach nur die Leute verunsichern wollen. Das ist nicht der Fall. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen - mit und ohne Covid-19. Und wir blicken mit großer Sorge in den Herbst. Auch unsere Mitarbeiter, die Krankenschwestern, Krankenpfleger, die das seit 19 Monaten machen auf den Normalstationen, den Intensivstationen und in den Pflegeheimen, die sind auch müde und psychisch mittlerweile schwer erschöpft. Wir haben große Sorge, dass uns noch mehr verloren gehen. Immerhin wir haben ja schon 3000 Intensivbetten mit Beatmungskapazitäten schließen müssen.

Mit Uwe Janssens sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

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