Von Mutter und Opa entführt Wo war Alex Batty die vergangenen sechs Jahre?
17.12.2023, 19:10 Uhr Artikel anhören
Das Bild des 11-jährigen Alex Batty ist 2017 durch die Welt gegangen. Dann wurde es still um sein Verschwinden.
(Foto: picture alliance / PA)
Urplötzlich meldet sich ein 17-jähriger britischer Junge bei der Polizei in Südfrankreich. Sein Name ist Alex Batty, 2017 nach einem Spanienurlaub verschwunden. Wurde er von einer Sekte entführt? Wo lebte er? Britische Medien versuchen, Antworten zu finden.
Sechs Jahre nicht in die Schule gehen, stattdessen neue Länder sehen und im Ausland leben. So erging es Alex Batty aus England. Völlig unklar, ob es ihm tatsächlich gefiel. Dann wurde dem mittlerweile 17-Jährigen das unstete Nomadenleben mit Mutter und Großvater aber offensichtlich zu viel - und er meldete sich am Donnerstag bei der Polizei in Südfrankreich.
Ein 26-jähriger Lieferfahrer hatte den Jugendlichen nachts im strömenden Regen, irgendwo zwischen Camon und Chalabre, 20 Minuten Fahrt vom nächsten Ort entfernt, aufgegabelt. Dieser habe ihm erzählt, er sei von seiner Mutter entführt worden und entkommen. "Er sagte, sie sei ein wenig verrückt", sagte der Lieferfahrer laut Medienberichten.
Fall wirft weiterhin große Rätsel auf
Inzwischen ist der Junge zu seiner Großmutter nahe Manchester zurückgekehrt, wie die Polizei mitteilte. Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht vorbei. Vielmehr wirkt sie wie ein Rätsel. Warum stießen die Behörden über Jahre nicht auf das Kind? Auch sorgte für Erstaunen, dass der Fall öffentlich in Vergessenheit geraten war.
Zuerst wolle man ausführlich und in Ruhe mit Alex sprechen, hieß es von der Polizei in Manchester lediglich. Es ist eine teilweise schwer zu entwirrende Geschichte, die ans Licht kommt. Dass nach dem Jungen seit sechs Jahren gesucht wurde, wusste er offenbar nicht. Die Franzosen alarmierten die Briten - die den Fall bestätigten. Bald darauf trafen sein Stief-Großvater und britische Polizisten den Jugendlichen in Toulouse und flogen mit ihm in die Heimat zurück. Der Fall gibt Einblicke in eine schwierige Familiensituation, die detailliert von der "Sunday Times" recherchiert wurde.
Prekäre Familiensituation, Radikalisierung und Entführung
Wer Alex' leiblicher Vater ist, sei unbekannt, da seine Mutter Melanie nicht darüber spreche. Sein Großvater David hatte 2013 aus gesundheitlichen Gründen seinen Job verloren, die Scheidung von der Ehefrau war schwierig. Als Gerichtsvollzieher sein Haus beschlagnahmen wollten, setzte er sich zur Wehr - mithilfe von Melanie, die Jura studierte. Die Tochter sei intelligent, aber neige zu Verschwörungstheorien, so das Urteil eines namentlich nicht genannten Freundes von David, der mit der "Times" sprach.
Immer mehr seien Großvater und Mutter auch dank Facebook-Gruppen in ein Umfeld geraten, das staatliche Eingriffe wie Steuern, Hypothekenzahlungen oder TV-Gebühren ablehnt. In Marokko lebten sie mit Alex vorübergehend in einer Kommune, die "kraftstofflose" Energiequellen zu entwickeln versuchte. Als Mutter Melanie mit ihrem neuen Freund nach Bali weiterzog, holte Großmutter Susan ihren Enkel heim. Alex lebte sich in England ein - bis Mutter und Großvater wieder auftauchten und ihn 2017 zu einem Familienurlaub nach Spanien mitnahmen.
Eigentlich sollte Alex bereits am 8. Oktober 2017 zurück bei seiner Oma sein, die das Sorgerecht erhalten hatte. Doch anstatt das damals elfjährige Kind wie versprochen zurückzubringen, brannten die heute 38-jährige Frau und ihr Vater mit dem Jungen durch. Seitdem war Alex wie vom Erdboden verschluckt, wie britische Medien berichten. Auch umfassende polizeiliche Ermittlungen, ein internationaler Aufruf und die Unterstützung der spanischen Behörden führten nicht dazu, dass das Trio aufgespürt wurde.
Gescheiterte eigene Schulanmeldung und Rückkehr
Die genaue Route ist unbekannt, aber vermutlich lebte das Trio zunächst erneut in Marokko, dann in Spanien und schließlich in den Pyrenäen in Südfrankreich. Umgeben war Alex britischen Medienberichten zufolge von einer wandernden spirituellen Gemeinschaft. Es sei nicht selten, Leute zu treffen, die alternativen Lebensmodellen folgen, zitierte die "Times" eine Anwohnerin im Pyrenäenort Quillan, wo Alex vor Kurzem erfolglos versucht haben soll, sich an einer Schule anzumelden.
Die Großmutter beschrieb das ganze als eine Sekte und zeigte sich nach dem Telefonat mit der französischen Polizei sehr erleichtert. "Ich habe gestern Abend mit ihm gesprochen, und es tat so gut, seine Stimme zu hören und ihn zu sehen", sagte sie nach einem Videotelefonat. "Ich kann es nicht abwarten, mit ihm wieder vereint zu sein." Dennoch will die Polizei erst nach einem ausführlichen Gespräch mit Alex entscheiden, ob sie strafrechtliche Ermittlungen aufnimmt. Der Junge wirke gesund und intelligent, obwohl er sechs Jahre nicht in einer Schule war, wie französische Beamte gleich nach Bekanntwerden des Falls berichteten.
Offen ist noch, wo Mutter und Großvater stecken. Anwohner im Örtchen La Bastide, wo er zuletzt in einer Gîte - einer Art Ferienhaus - gelebt haben soll, widersprachen Angaben aus Großbritannien, der 59-Jährige sei vor einem halben Jahr gestorben. Und ist Melanie mittlerweile nach Finnland gereist? Angeblich wollte sie dort die Nordlichter sehen - Alex aber habe nicht mitgewollt und sei deshalb ausgerissen, hatte die französische Polizei mitgeteilt.
Quelle: ntv.de, gri/dpa