Ein Soldat kämpft bis 1974 Als Japans fanatischer Kaiserkult zusammenbrach
15.08.2025, 09:31 Uhr Artikel anhören
Als Kaiser Hirohito am 15. August die Kapitulation Japans bekannt gibt, hört das Volk seine Stimme zum ersten Mal.
(Foto: imago images/Everett Collection)
Vor 80 Jahren kapituliert das japanische Kaiserreich. Die fanatischen Durchhalteparolen sitzen so tief, dass noch am Abend zuvor Militärs versuchen, das Kriegsende zu verhindern. Ein Soldat gibt bis 1974 nicht auf. Bis heute erinnere die japanische Regierung kaum an den brutalen Krieg, kritisiert ein Historiker.
Während der Zweite Weltkrieg in Europa am 8. Mai 1945 mit der deutschen Kapitulation endet, tobt im Pazifik der Kampf gegen das japanische Kaiserreich weiter. Ähnlich wie das nationalsozialistische Regime im letzten Kriegsjahr propagieren auch Japans Kaiser Hirohito und seine Militärspitze unablässig Durchhalteparolen - trotz verheerender Niederlagen und Hunderttausender ziviler Opfer durch alliierte Bombenangriffe. Die Botschaften preisen Opferbereitschaft und Ehrenkodex nach dem Vorbild der Samurai, adressiert an Soldaten und Zivilbevölkerung gleichermaßen.
Anders als in Deutschland regt sich in Japan kaum öffentlicher Widerspruch. Das liegt am Kaiserkult: Kritik an der Armee käme einer Kritik am Tenno, dem obersten Befehlshaber, gleich. "Widerstandsgruppen wie in Deutschland gab es so auf breiter Basis nicht", sagt Sven Saaler, Professor für moderne japanische Geschichte an der Sophia-Universität Tokio. Noch im Winter 1944 muss General Tojo zurücktreten, weil er sein Versprechen gegenüber dem Kaiser, die Marianen-Inseln zu halten, nicht erfüllen kann.
Nur eine öffentliche Kritik am Krieg ist bekannt, vom ehemaligen Premierminister Fumimaro Konoe. Er warnt im Februar 1945 vor der völligen Zerstörung Japans und drängt auf einen durch die Sowjetunion vermittelten Frieden. Doch Kaiser Hirohito und sein Kabinett ignorieren das Memorandum, ebenso wie am 26. Juli die Potsdamer Erklärung der Alliierten mit der Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation.
Angst vor Stalins Herrschaft
Erst die Abwürfe zweier Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und der von Machthaber Josef Stalin befohlene sowjetische Kriegseintritt am 8. August 1945 ändern die Haltung des Kaisers. Nach Einschätzung von Historiker Saaler sind nicht die Atombomben ausschlaggebend, sondern die Furcht vor einer sowjetischen Verwaltung Japans und der damit verbundenen Auflösung des Kaiserreichs.
Die unausweichliche Niederlage erkennend, spricht Kaiser Hirohito am 14. August in einem auf Tonband aufgenommenen Text zur Nation: "Der Kriegsverlauf hat sich nicht unbedingt zu Japans Vorteil entwickelt. Sollten wir den Kampf fortsetzen, wird die völlige Vernichtung unserer Nation die Folge sein. Wir müssen dulden und ertragen, was untragbar scheint."
Noch am Abend wird der Fanatismus der Militärs deutlich: Hochrangige Offiziere dringen in die Rundfunkanstalt ein und versuchen, das Tonband des Kaisers zu zerstören und das Ende des Krieges zu verhindern - ohne Erfolg. Als die Kapitulation am 15. August 1945 landesweit bekannt gegeben wird, bringt sich Armeeminister Anami Korechika um.
Nicht nur ist damit der Krieg mit mehr als zwei Millionen toten japanischen Soldaten und mehr als 730.000 toten Zivilisten beendet. Auch das Bild des Tennos, des Kaisers als oberster, gottgleicher Führer - dessen Stimme das Volk per Tonband erstmals überhaupt hört - ist gebrochen. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber viele Militärs wählen in den Monaten nach der Kapitulation den Freitod. Der ehemalige Premierminister Konoe, der den Kaiser noch im Februar zur Kapitulation gemahnt hatte, schluckt im Dezember 1945 Gift, um dem Kriegsverbrecherprozess der Alliierten zu entgehen.
Guerillakrieg bis 1974
Wie tief die bis kurz vor Kriegsende verbreiteten Durchhalteparolen gehen, zeigt auch die Geschichte des japanischen Soldaten Hiro Onoda. Sie steht als Sinnbild des japanischen Fanatismus und Militarismus während des Zweiten Weltkriegs. Ende 1944 mit Spionagebefehl auf die philippinische Insel Lubang geschickt, kämpft Onoda weitere 29 Jahre bis zu seiner Kapitulation am 9. März 1974. Fast drei Jahrzehnte führt er gemeinsam mit zwei weiteren Soldaten einen Guerillakrieg auf der Insel, überfällt und tötet Dorfbewohner und verbrennt Reisfelder.
Flugblättern, die die japanische Kapitulation verkünden, glauben die drei Soldaten nicht. Onodas zwei Gefährten werden in den folgenden Jahrzehnten von philippinischen Soldaten getötet. Suchaktionen der japanischen und philippinischen Regierungen nach Onoda bleiben jedoch erfolglos. Schließlich findet ihn der Abenteurer Norio Suzuki, scheitert aber daran, den Soldaten vom Ende des Krieges zu überzeugen.
Erst als Japan seinen ehemaligen Offizier aufspürt, nach Lubang einfliegen lässt und dieser ihm den offiziellen Befehl zur Kapitulation erteilt, ergibt sich Onoda den Behörden. Obwohl er etwa 30 philippinische Zivilisten nach Kriegsende getötet hat, gewährt ihm der philippinische Präsident Ferdinand Marcos eine Amnestie und lässt ihn in sein Heimatland ausreisen.
In Japan wird Onoda schnell berühmt, seine Geschichte ist jedoch bis heute umstritten. Während Pazifisten und Historiker ihn als Beispiel für Indoktrination und den Irrweg des japanischen Militarismus sehen, betonen Konservative seinen Patriotismus und sein Pflichtbewusstsein. Als Onoda 2014 stirbt, beschreibt ihn ein Sprecher des ehemaligen japanischen Premierministers Shinzo Abe als "Symbol japanischer Ausdauer".
Keine Beschönigung, aber Auslassungen
Seit 1963 wird der 15. August als nationaler Gedenktag gefeiert. In Tokio finden Kaiser und Parlament in der Nipponhalle zusammen. Bis heute liegt der Fokus jedoch hauptsächlich auf dem Gedenken an die japanischen Opfer. Obwohl sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Premierminister für den von Japan begonnenen Krieg in Asien und die brutale Kolonialherrschaft entschuldigt und sich seit den 1960er Jahren um eine Aussöhnung mit China und Südkorea bemüht haben, gibt es bis heute wenig öffentliche Erinnerungskultur, wie Saaler erklärt.
Erinnerung und Aufarbeitung seien ähnlich wie in Deutschland lange Prozesse, sagt der Historiker. Ihm zufolge werden erst seit den 1990er Jahren Krieg und Kolonialherrschaft in den Schulbüchern thematisiert. Und auch wenn es dabei keinerlei Beschönigungen gebe, würden bis heute einige Gräueltaten wie etwa die Geschichte der "Unit 71" - die Erprobung von Chemiewaffen an Menschen - teils ausgelassen, betont Saaler.
Geschichtsrevisionismus von Shinzo Abe
Seit Beginn der Aufarbeitung des Krieges in Japan ist ähnlich wie in Deutschland eine gewisse Schlussstrichmentalität bei einigen konservativen Politikern erkennbar. Besonders der ehemalige, 2022 gestorbene Premierminister Abe wurde für seinen Geschichtsrevisionismus vielfach kritisiert. Er ließ während seiner Amtszeit bestimmte Themen, wie etwa die Rolle koreanischer Zwangsarbeiter im Krieg, aus den Schulen verbannen. Zwar erinnerte er 2015 vor dem US-Kongress an den Krieg, erntete aber scharfe Kritik für eine ausbleibende Entschuldigung an die überlebenden koreanischen Zwangsprostituierten.
In diesem Jahr gibt es laut Medienberichten gar keine offizielle Erinnerungsrede zum 80. Jahrestag der Kapitulation durch den japanischen Premier. Ob Amtsinhaber Shigeru Ishiba am 2. September an die offizielle Ratifizierung des Kriegsendes erinnert, ist noch unklar.
Quelle: ntv.de