Politik

Erster Showdown in Berateraffäre "Absolutes Armutszeugnis für von der Leyen"

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Im Mai 2018 verabschiedete Verteidigungsministerin von der Leyen ihre Staatssekretärin Suder aus dem Amt. Suders Rolle in der Affäre ist nach wie vor unklar.

(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)

Nach einem halben Jahr Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre fällt das Fazit von Opposition und SPD verheerend aus. Vor allem geklagt wird über einen gravierenden Mangel am Willen zur Aufklärung im Verteidigungsministerium. Heute kommt es zum ersten Showdown.

Der Begriff "Verantwortungsdiffusion" wird im deutschen Sprachgebrauch so selten verwendet, dass er es bisher nicht in den Duden geschafft hat. Im Bundestagsbetrieb kommt er allerdings gerade zu ungeahnten Ehren. Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Berateraffäre haben ihn gar zu ihrem Lieblingswort erkoren. Sie benutzen es bevorzugt, wenn sie die zwielichtigen Vorgänge im Verteidigungsministerium und das Verhalten seiner Beamten bewerten.

Laut Wikipedia steht Verantwortungsdiffusion für "das Phänomen, dass eine Aufgabe, die offensichtlich zu tun ist, trotz genügender Anzahl und Aufmerksamkeit dafür geeigneter Stellen oder Personen nicht angenommen oder ausgeführt wird".

Man könnte auch sagen: Verantwortungschaos oder Entscheidungswirrwarr.

Seit einem knappen halben Jahr durchleuchtet der Untersuchungsausschuss die mutmaßlichen Mauscheleien im Ministerium, die offensichtlich darauf abzielten, Aufträge mindestens einem bestimmten Unternehmen, der Beraterfirma Accenture, zuzuschanzen, auch wenn dabei öffentliches Vergaberecht gebrochen wurde. Tatsächlich konnten die Abgeordneten herausarbeiten: Es waren unglaublich viele Beamte mit der Beauftragung beschäftigt, ohne dass klar ist, wer die Verantwortung für das Versagen trägt, dass der Zuschlag für Accenture juristisch nicht oder nur oberflächlich geprüft worden ist.

"Jeder hatte eine Ausrede, warum er darauf verzichtet hat", sagt Alexander Müller, der für die FDP an der Untersuchung beteiligt ist. Es seien "unglaublich viele Beamte mit einem einzigen Vorgang befasst" gewesen. Die "wahnsinnige Bürokratie" sei erschreckend. "Dass aber dann auch noch kein einziger Mensch den Mut oder den Willen hatte, juristische oder politische Bedenken zu äußern, ist beschämend." Tobias Lindner von den Grünen kritisiert, dass Mitarbeiter des Ministeriums als Zeugen erklärt hätten, das Ressort sei nicht für Vergabe zuständig, obwohl es "dem Beschaffungsamt in Koblenz konkrete Vorgaben zur Auftragsvergabe" gemacht habe. "Wer soll das nachvollziehen?" Er jedenfalls komme da nicht mehr mit.

Skandal im Skandal

Matthias Höhn von der Linksfraktion stellt ebenfalls fest, die allermeisten Zeugen hätten Indizien oder konkrete Hinweise für das Schwarze-Peter-Spiel geliefert. "Jeder hat sich auf den anderen verlassen, dass alles seine Richtigkeit habe. Keiner will es gewesen sein und für den - im besten Fall fahrlässigen - Rechtsbruch bei der Vergabe geradestehen." Umso wichtiger sei es, dass jemand die politische Verantwortung für die Missstände übernehme. Und das könne nur Ministerin Ursula von der Leyen sein.

Dass bisher keine einzige disziplinarische Strafe ausgesprochen worden ist, hält die Opposition für einen Skandal im Skandal. "Unter der erdrückenden Beweislast werden gravierende Rechtsverstöße sogar zugegeben, aber keinerlei dienstrechtliche - geschweige denn personelle - Konsequenzen gezogen", sagt Rüdiger Lucassen von der AfD. Die notwendige politische Verantwortung werde verweigert. "Damit stößt die parlamentarische Kontrolle an ihre Grenzen."

Höhn ist bisher der einzige Abgeordnete, der offen von der Leyens Rücktritt fordert. Bislang spricht nichts dafür, dass die CDU-Politikerin von den Tricksereien wusste oder gar involviert war. Erstaunlich aber ist, dass die mitregierenden Sozialdemokraten beinahe gleichlautend wie die Opposition klingen und die Ministerin nicht mit Treueschwüren beglücken. Bisher habe sie es versäumt, schonungslos aufzuklären, sagt SPD-Ausschussmitglied Dennis Rohde im Interview mit n-tv.de. Er beschreibt die "Verantwortungsdiffusion" so: "Es ist ein Unding, dass jeder Vertreter des Ministeriums oder der nachgeordneten Behörden fast reflexartig die Schuld auf den anderen schiebt und sich selbst einen Persilschein ausstellt."

Nach Lindners Darstellung steht fest, dass im Hause von der Leyens "kaum Anstalten" gemacht worden seien, den Skandal nachhaltig aufzuklären. Er sei auf vieles vorbereitet gewesen. "Aber an einer Stelle war ich vollkommen entsetzt. Es gab reihenweise Akten ganz ohne Aktenzeichen, sodass man sich fragen muss, ob von der Leyen einen Giftschrank für Dokumente hat, die niemandem in die Hände fallen sollen." Ein starkes Stück sei auch das Verhalten des Chefs der Rechtsabteilung im Ministerium, Andreas Conradi, der in der ministeriumsinternen Untersuchung der Vorgänge Hinweise auf Ungereimtheiten geflissentlich übersehen habe. "Der Unwillen zur Wahrheitsfindung im Verteidigungsministerium ist ein absolutes Armutszeugnis für von der Leyen."

Erster Showdown heute

Lucassen spricht ebenso von einem gravierenden Mangel am Willen zur Aufklärung. Der Inhalt der mehr als 2000 bisher übersandten Aktenordner sei schlecht aufbereitet, teilweise geschwärzt oder unleserlich. Ohne Kenntnisse des Vergabesystems und interne Hinweise - Lucassen hat vor Jahren selbst im Verteidigungsministerium gearbeitet - wäre eine sinnvolle Arbeit im Ausschuss gar nicht möglich, sagt er.

Das Urteil der Union fällt naturgemäß anders aus. Henning Otte, CDU-Vertreter im Ausschuss, lobt das Ministerium dafür, dass es "unseren Aktenbeweisanträgen gründlich und umfänglich" nachgekommen sei. Im Gegensatz zur Opposition und SPD findet der Christdemokat, dass die Zeugenvernehmung keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse zutage gefördert habe. "Trotzdem ist sie hilfreich, um einen Überblick zum genauen Ablauf bei den einzelnen Beauftragungen zu erhalten." Das gelte auch mit Blick auf die Zukunft, da die Beschaffung der Bundeswehr effizienter gestaltet werden solle, wobei an externer Beratung in vertretbarem Rahmen festgehalten werden solle.

An diesem Donnerstag, bei der letzten Sitzung vor der Sommerpause des Parlaments, werden die unterschiedlichen Positionen noch einmal aufeinander prallen. Dann kommt es zum ersten Showdown des Ausschusses. Zwei führende Mitarbeiter von Accenture sollen vernommen werden, darunter Timo Noetzel, dem ein freundschaftliches Verhältnis zu General Erhard Bühler nachgesagt wird, der als dritter Zeuge aussagen soll. Bühler war es, der sich für Accenture stark gemacht hatte. Offen ist lediglich, ob er der Beschaffungsstelle der Bundeswehr tatsächlich eine Wahl ließ, Accenture nicht zu beauftragen und Alternativen zu ermöglichen - wonach es nicht aussieht.

Noetzel wiederum hatte mit von der Leyens ehemaliger Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder zusammen bei McKinsey gearbeitet, bevor sie ins Ministerium und er zu Accenture wechselte. Suders Rolle in der Affäre ist unklar. Ein Zeuge sagte aus, sie habe Accenture schon drei Wochen für das Ministerium arbeiten lassen, ehe der Auftrag offiziell an die Firma erteilt worden sei. Allerdings gibt es auch gegenteilige Äußerungen.

"Wir wissen jetzt, dass die mittlere Führungsebene des Ministeriums Druck ausgeübt hat, eine bestimmte Firma zu beauftragen", sagt der Grünen-Abgeordnete Lindner. Geklärt werden müsse noch, ob dies auch die Ministeriumsspitze um Suder getan habe. FDP-Mann Müller formuliert seine Gedankenspiele in Fragen: "Klar ist, dass Bühler sehr stark auf Accenture gedrängt hat. Nur: Aus welcher Motivation hat er es getan? Steckte dahinter seine Beziehung zu Noetzel? Oder war es Suder, die vielleicht selbst Interesse hatte, dass Accenture den Auftrag erhält?" Müller: "Die Sitzung wird spannend."

Quelle: ntv.de

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