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Windräder, Remigration und Mob Alice Weidels Rede war so radikal wie nie

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"Schwarz, rot, gold", sagt Alice Weidel zum Beginn ihrer denkwürdigen Rede.

"Schwarz, rot, gold", sagt Alice Weidel zum Beginn ihrer denkwürdigen Rede.

(Foto: REUTERS)

Die AfD hat Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gekürt. Das ist nicht verwunderlich. Überraschend ist aber, wie scharf ihre Antrittsrede ausfällt. Auch das Wort "Remigration" ist kein Tabu mehr.

Als die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind, schleicht sich ein Lächeln auf Alice Weidels Gesicht. Ihre Partei hat sie vor wenigen Sekunden zur ersten Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Alternative für Deutschland gewählt. Nun steht sie auf der Bühne und eröffnet ihre Krönungsrede vor sechzehn Deutschlandflaggen und mit drei Worten: "Schwarz, rot, gold", ruft sie den rund 600 Delegierten entgegen.

Es folgen knapp 25 Minuten bemerkenswerte Redezeit. Nie zuvor waren ihre Aussagen bei einer Parteitagsrede radikaler, aggressiver. Weidel brüllt sich regelrecht in einen Rausch, den die Mikrofonanlage im Saal kaum noch unverzerrt übertragen kann. Hat ihr Umfeld bisher gerne erklärt, dass sie nur ungern verbal Schritte auf den rechtsextremen Thüringer Landeschef Björn Höcke zugehe, scheint das nun völlig anders. Weidel umgarnt Höcke regelrecht, hebt seinen Wahlerfolg in Thüringen hervor und greift verschiedene Themen auf, die ihm wichtig sind.

Der rechtsextreme Begriff "Remigration" zum Beispiel - lange hat ihn Weidel für toxisch gehalten. Seit der "Correctiv"-Recherche vor einem Jahr hatte auch die breite Öffentlichkeit gelernt, dass rechtsextreme Kreise darunter auch die Ausweisung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund verstehen. Im Entwurf des Programms taucht der Begriff bislang nicht auf. Doch eine größere und mächtige Gruppe Delegierter, zu denen auch noch andere Landesvorsitzende aus dem Osten gehören, will "Remigration" per Antrag ins Parteiprogramm schreiben und dort genau definieren.

Weidel gibt ihren Widerstand dagegen mit ihrer Rede klar auf. Man müsse jetzt Rückführungen im großen Stil durchführen, so Weidel. Und weiter: "Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen. Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration." Bei den Anwesenden brandet Applaus auf. Nicht das letzte Mal an diesem Nachmittag in Riesa.

CDU als "Betrügerpartei" gebrandmarkt

Die größte Unterstützung gibt es für den Teil ihrer Wutrede über erneuerbare Energien - und ein Versprechen. "Wenn wir am Ruder sind, reißen wir alle Windkraftwerke nieder", brüllt Weidel. Jubel im Saal. Dann legt sie nach: "Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!" Noch mehr Jubel im Saal. Dass ihr etwas merkwürdiger Ausspruch an Höckes Bezeichnung des Holocaust-Mahnmals in Berlin als "Denkmal der Schande" erinnert, wohl kein Zufall.

Dass die wegfallende Windkraft-Energie durch russisches Gas via Nord-Stream-Pipeline ersetzt werden soll, gehört schon seit Beginn des russischen Angriffskrieges zu den provokativen Bestsellern der AfD. Weidel erneuerte dieses Versprechen jetzt in Riesa.

Besonders die Union attackiert Weidel scharf. CDU und CSU schrieben das AfD-Wahlprogramm ab, die CDU sei längst eine "Betrügerpartei", die man überholen müsse. Für die, nach Meinung der AfD, zu linken und woken Universitäten kündigt Weidel einen radikalen Umbau an. Sie behauptet, dass in Nordrhein-Westfalen Professoren "Sturm laufen", weil dort angeblich die Hochschulen zu "queeren Kaderschmieden" umgebaut werden. "Soll ich euch sagen, was wir tun werden, wenn wir am Ruder sind?", fragt Weidel in den Saal und wartet die Antwort nicht ab. "Wir schließen alle Genderstudies und schmeißen diese Professoren raus."

Deutlich schärfer als ursprünglich geplant

Die AfD-Gäste, zumeist Parteimitglieder ohne Stimmrecht im Saal, sind zwischen Delegierten und Journalisten platziert. Einige drehen sich im Laufe der Rede immer wieder zu den Medienvertretern um. Der Blick eindeutig drohend: "Hört der Parteichefin gut zu! Ihr werdet schon sehen!"

Warum aber war Weidel so aggressiv? Warum hielt sie so eine Rede, die sogar ihr engstes Umfeld überraschte, teilweise auch irritierte? Offenbar redete sich die AfD-Politikerin vor ihren Anhängern in einen Rausch. Getragen von den klatschenden Parteimitgliedern hielt sie eine Rede, die deutlich schärfer gewesen ist als ursprünglich geplant. Die guten Umfragewerte beflügeln die Co-Vorsitzende dabei. Stolz verkündet sie auf der Bühne, dass man in den Umfragen erneut um zwei Prozentpunkte gestiegen sei. Die AfD glaubt sich im Aufwind. Auch, weil die Schwesterpartei FPÖ in Österreich mit Herbert Kickl erstmals den Kanzler stellen könnte. Dazu der Rückhalt des neuen US-Präsidenten Donald Trump und des russischen Führers Wladimir Putin.

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Und dann war da ja noch die Anreise. Tausende Demonstranten blockierten seit den frühen Morgenstunden die Zufahrtswege zur Veranstaltungshalle in Riesa. Der Parteitag konnte erst mit mehr als zwei Stunden Verspätung eröffnet werden. Zu dem Zeitpunkt war Weidel nach RTL/ntv-Informationen bereits seit mehr als einer Stunde in der Halle. Allerdings nur, weil ihr Personenschutz vom Bundeskriminalamt mit Schlagstöcken die Straße unter Einsatz von Zwang freiräumte.

Sichtlich angefasst eröffnete Weidel ihre Rede daher auch mit einem Vorwurf an die Protestierenden vor der Tür. Diese nannte sie "rotlackierte Nazis", ihr Konvoi sei aus einem "linken und gewaltbereiten Mob" befreit worden. Klar weiß auch sie, dass es sich lohnt, diesen improvisierten Redeeinstieg zu wählen - Angriffe von außen schweißen innen zusammen. Eigentlich galt Weidel bislang als Vertreterin für eine Strömung in der Partei, die die AfD nach außen entradikalisieren will. In naher Zukunft solle aus der Alternative auf diese Weise ein Koalitionspartner für eine Regierungsbildung werden. Doch das ist mit dieser Wutrede aus Riesa zumindest vorerst unmöglich.

Quelle: ntv.de

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