Politik

Platz für 100.000 Palästinenser? Ägypten baut riesige Pufferzone

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Im Norden der Sinai-Halbinsel zeigen Satellitenfotos auffällige Bewegungen: Nahe der Grenze zum Gazastreifen finden umfangreiche Erdarbeiten statt. In der Halbwüste nahe der Stadt Rafah soll angeblich ein gigantisches Auffanglager für palästinensische Flüchtlinge entstehen - umgeben von Mauern und kilometerlangen Erdwällen.

Das militärische Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen löst im Nachbarland Ägypten hektische Vorbereitungen aus: Die Regierung in Kairo stellt sich mit Blick auf den angekündigten israelischen Vorstoß in Richtung Rafah offenbar darauf ein, die bisher hermetisch abgeriegelten Sperranlagen an der Grenze zum Gazastreifen zumindest teilweise für flüchtende Palästinenser zu öffnen.

Die ägyptischen Behörden richten dazu eine mehrere Kilometer breite Pufferzone ein, hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen. Das Areal soll sich von den bisherigen Grenzanlagen im Südwesten des Gazastreifen mehrere Kilometer weit ins karge Hinterland der Sinai-Halbinsel erstrecken. Südlich der Zufahrt zum Grenzübergang Rafah soll in der Region - bisher bereits streng gesichertes militärisches Sperrgebiet - ein Auffanglager für bis zu 100.000 Palästinenser entstehen. Die Arbeiten dazu laufen angeblich bereits seit Wochen.

Blick auf das Grenzgebiet, Satellitenbild vom 10. Februar 2024: Links die geräumten Zonen auf ägyptischer Seite, rechts unten Israel, in der Bildmitte oben der Grenzübergang zum Gazastreifen.

Blick auf das Grenzgebiet, Satellitenbild vom 10. Februar 2024: Links die geräumten Zonen auf ägyptischer Seite, rechts unten Israel, in der Bildmitte oben der Grenzübergang zum Gazastreifen.

(Foto: via REUTERS)

Aufnahmen aus dem All zeigen tatsächlich umfangreiche Erdarbeiten: Auf Fotos europäischer und US-amerikanischer Erdbeobachtungssatelliten sind großflächige Vorbereitungen im Vorfeld der ägyptisch-palästinensischen Grenze zu erkennen. In den vergangenen zwei Wochen haben Bagger und Planierraupen größere Flächen eingeebnet.

Am Rand der planierten Fläche errichten Arbeiter eine riesige Mauer aus Betonfertigbauteilen. In der Region sind bereits seit Monaten starke Verbände des ägyptischen Militärs stationiert. Die Satellitenbilder belegen zudem, dass im Zeitraum von November bis Ende Januar weiter westlich neue kilometerlange Sperranlagen und Stellungen entstanden sind.

In der Pufferzone werde um den Bereich des Auffanglagers herum eine Mauer errichtet, um gegebenenfalls die Kontrolle über palästinensische Flüchtlinge zu behalten, erklärte ein Sprecher der ägyptischen Behörden das Vorgehen. Schon vor etwa zwei Monaten hätten Arbeiten begonnen, um palästinensische Flüchtlinge dort in Gebäuden und Zelten unterzubringen. Bisher laufen die Vorbereitungen allerdings noch unter der Hand. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Zeltstadt für 100.000 Menschen?

Ägyptens Gouverneur im Nord-Sinai, Mohammed Schuscha, wies entsprechende Berichte sogar ausdrücklich als falsch zurück. Die Behörden würden in der Grenzstadt Rafah vielmehr prüfen, welche Häuser während der Militäreinsätze gegen Extremisten in der Region zerstört worden seien, um Besitzern eine Entschädigung zu zahlen, sagte er. Das habe "überhaupt nichts" zu tun mit dem angeblichen Bau von Flüchtlingslagern für Palästinenser. Deren Zwangsvertreibung über die Grenze werde Ägypten auch nicht hinnehmen.

Planierte Flächen hinter der Grenze: Der freigeräumte Bereich erstreckt sich von Norden nach Süden über eine Länge von rund viereinhalb Kilometern.

Planierte Flächen hinter der Grenze: Der freigeräumte Bereich erstreckt sich von Norden nach Süden über eine Länge von rund viereinhalb Kilometern.

(Foto: dpa)

Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor vier Monaten sorgt sich die Regierung in Kairo, dass wegen der Kämpfe massenhaft Palästinenser aus dem Gazastreifen über die Grenze strömen könnten. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat dieses Szenario als "rote Linie" bezeichnet.

Nach seiner Darstellung würden große Zahlen an Flüchtlingen für Ägypten ein Sicherheitsrisiko darstellen und Bestrebungen der Palästinenser nach einem eigenen Staat untergraben. Ägypten steckt in einer schweren Wirtschaftskrise und hat zudem bereits viele Flüchtlinge etwa aus dem Sudan aufgenommen.

Stark vergrößert: Am Rand einer planierten Fläche entsteht aus Betonfertigteilen eine Mauer.

Stark vergrößert: Am Rand einer planierten Fläche entsteht aus Betonfertigteilen eine Mauer.

(Foto: dpa)

In der palästinensischen Großstadt Rafah mit einst rund 300.000 Einwohnern drängen sich seit Beginn des israelischen Vormarschs im vergangenen Oktober zusätzlich zur bisherigen Stadtbevölkerung zahlreiche Binnenvertriebene, die bereits vor den Kämpfen aus dem Norden des Gazastreifens flüchten mussten. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Internationale Beobachter rechnen im Fall eines israelischen Vorstoßes ins Stadtgebiet mit dem Schlimmsten.

Die Berichte zu den angeblich Vorbereitungen auf ägyptischer Seite sind sehr detailliert. Die in London ansässige Sinai Foundation for Human Rights zum Beispiel kritisierte die Einrichtung einer solchen Pufferzone. Bei den Bauarbeiten sei ein abgesperrter Bereich zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen, teilte die Menschenrechtsorganisation mit, umgeben von einer sieben Meter hohen Mauer.

Hunderttausende auf der Flucht

Die israelische Armee bereitet derzeit eine Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vor. In der Stadt halten sich Schätzungen zufolge derzeit etwa 1,3 Millionen Zivilisten auf.

Blick in den Gazastreifen: Auf dieser Aufnahme vom 7. Februar 2024 sind im Norden der Stadt Rafah unzählige Zelte geflüchteter Palästinenser zu erkennen.

Blick in den Gazastreifen: Auf dieser Aufnahme vom 7. Februar 2024 sind im Norden der Stadt Rafah unzählige Zelte geflüchteter Palästinenser zu erkennen.

(Foto: via REUTERS)

Das ägyptische Militär kämpft im Nord-Sinai mehr als zehn Jahre gegen einen örtlichen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Extremisten sind in der Gegend weiterhin aktiv und verüben Anschläge. Anwohner der Grenzstadt Rafah auf ägyptischer Seite mussten wegen der Kämpfe teils ihre Häuser verlassen. Für sie wurde wenige Kilometer entfernt ein neuer Ort namens "New Rafah City" errichtet. Ortskundigen zufolge ist er noch unbewohnt.

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Die Grenze zum Gazastreifen wird von ägyptischer Seite seit Jahren streng bewacht. Der Grenzverlauf ist durch Mauern, Gräben und Betonhindernisse hermetisch abgeriegelt. Der einzige Durchlass am Grenzübergang Rafah wurde schon vor dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel scharf kontrolliert und war auch nach Beginn des israelischen Gegenschlags für Flüchtlinge bis auf wenige Ausnahmen nicht passierbar.

Die Pufferzone auf ägyptischer Seite könnte den Menschen - zumindest vorübergehend - einen sicheren Rückzugsort bieten.

Quelle: ntv.de, mmo/dpa

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