Scholz fordert Konsequenzen Ampel rügt Aiwanger und Söder - Freie Wähler keilen zurück
30.08.2023, 16:39 Uhr Artikel anhören
Gut gelaunt traten Lindner, Scholz und Habeck in Schloss Meseberg vor die Presse. Beim Thema Hubert Aiwanger wurden sie jedoch ernst.
(Foto: picture alliance/dpa)
In der Causa Aiwanger schaltet sich nun auch die Bundesregierung ein. Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck verurteilen möglichen Antisemitismus und fordern eine Reaktion. Die Freien Wähler stehen hinter Aiwanger und machen Söder eine deutliche Ansage.
Die Führungsspitzen der Ampel-Regierung haben in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger lückenlose Aufklärung gefordert. Die Vorwürfe seien "sehr bedrückend", sagte Kanzler Olaf Scholz zum Abschluss der Kabinettsklausur in Meseberg. Es dürfe bei der Aufklärung "nichts vertuscht und verwischt" werden. Danach müssten "natürlich auch die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden".
Vizekanzler Robert Habeck sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, er finde "den Umgang mit den Berichten von Herrn Aiwanger unaufrichtig". Dieser habe in verschiedenen Redebeiträgen offensichtlich auch "in der jüngsten Vergangenheit eine Sprache des rechten Populismus benutzt". Insofern liege es nun an Ministerpräsident Markus Söder, die Frage zu beantworten, "ob er mit einem Kollegen, der so agiert, weiter in Zukunft zusammenarbeiten will". Er finde das "schwer vorstellbar", betonte Habeck.
"In Deutschland darf es niemals Platz für Antisemitismus geben", sagte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Die Vorwürfe gegen Aiwanger seien "bestürzend". Aus seiner Sicht seien "der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft" Aiwangers in der Sache "bislang nicht glaubwürdig". Deshalb seien jetzt Klarheit und gegebenenfalls die notwendigen Konsequenzen nötig, "die er selber ziehen muss oder der bayerische Regierungschef".
Die Partei Aiwangers, die Freien Wähler, stehen dagegen geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden. Das sagten mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstandes nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München. Aiwanger, der ebenfalls mit dabei war, äußerte sich allerdings selbst nicht. "Wir stehen als Freie Wähler hundertprozentig hinter Hubert Aiwanger. Und das werden wir auch weiter tun", sagte Generalsekretärin Susann Enders. Es gebe eine "geschlossene Rückendeckung". Enders kritisierte Teile der medialen Berichterstattung, Rücktrittsforderungen der Opposition und sprach wörtlich von einer "üblen Schmutzkampagne". Fraktionschef Florian Streibl betonte ebenfalls, man stehe geschlossen hinter Aiwanger. "Wir sind mit ihm solidarisch", sagte er.
Streibl fügte in Reaktion auf Äußerungen von Ministerpräsident Markus Söder vom Dienstag hinzu: "Eine Botschaft müssen wir senden: Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben." Auf Spekulationen, Aiwanger könnte in einer Art Rochade aus dem Ministeramt an die Spitze der Freie-Wähler-Fraktion wechseln, ging Streibl nicht ein. "Aiwanger wird immer irgendwie dabei sein", betonte er lediglich. "Ohne wird's nicht gehen." Auch Fraktionsvize Bernhard Pohl sagte: "Für mich ist es völlig unvorstellbar, dass wir ohne Hubert Aiwanger weitermarschieren." Söder hatte am Dienstag gesagt, er wolle die Koalition fortsetzen. Koalitionen hingen aber "nicht an einer einzigen Person", so Söder. "Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso."
"Freie Wähler": Juden werden instrumentalisiert
Streibl kritisierte, dass jetzt das Leben eines 16-Jährigen "fein säuberlich in der Öffentlichkeit seziert" werde. "Der Hubert Aiwanger, den ich kenne, ist nicht dieser 16-Jährige, der heute durch die Gazetten gezogen wird." Er nannte es auch gewagt, wenn Menschen nun, nach 35 oder 40 Jahren, Aiwanger anschwärzten. "Man hätte mit dieser Geschichte auch wesentlich früher kommen können, wenn sie denn so stimmt." Jetzt werde das Schicksal von Millionen Juden dazu instrumentalisiert, einen Politiker fertigzumachen, sagte Streibl. Umweltminister Thorsten Glauber machte deutlich, dass er keine Grundlage für Söder sieht, Aiwanger aus dem Ministeramt zu entlassen. "Explizit ist hier nichts bewiesen." Und was nicht bewiesen sei, sei nicht justiziabel. Es gelte die Unschuldsvermutung, betonte er.
Aiwanger hatte laut "Süddeutscher Zeitung" in seiner Schulzeit in den 80er-Jahren im Verdacht gestanden, ein antisemitisches Flugblatt verfasst und verteilt zu haben. Exemplare sollen in seinem Schulranzen gefunden worden sein. Der Parteichef der Freien Wähler erklärte am Wochenende, nicht dessen Urheber gewesen zu sein. Parallel übernahm sein Bruder dafür die Verantwortung. Söder hatte Aiwanger am Dienstag nach einer Sondersitzung des Kabinetts der Landesregierung aus CSU und Freien Wählern nicht entlassen, sondern ihm eine Liste mit 25 Fragen übergeben, die Aiwanger beantworten soll.
Der Vorfall überschattet den bayerischen Wahlkampf. In sechs Wochen wird dort ein neuer Landtag gewählt. Aiwanger ist Spitzenkandidat für die Freien Wähler, Söder tritt erneut für die CSU an. Seit Dienstag kann per Briefwahl gewählt werden. In den jüngsten Umfragen von Anfang August hatte die CSU bei 39 Prozent gelegen, die Grünen bei 14, die Freien Wähler zwischen 12 und 14, die AfD zwischen 13 und 14, die SPD bei 9 und die FDP bei 4 Prozent.
Quelle: ntv.de, als/AFP/dpa/rts