Politik

Der Fall Aiwanger "Es muss zu einer schnellen Entscheidung kommen"

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Am Dienstagabend trat Aiwanger beim "politischen Abend" auf dem Herbstfest in Steinbrünning auf.

Am Dienstagabend trat Aiwanger beim "politischen Abend" auf dem Herbstfest in Steinbrünning auf.

(Foto: dpa)

Die Regierungskrise in Bayern ist noch nicht zu Ende. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern muss in der Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt einen Katalog aus 25 Fragen schriftlich beantworten. Viel Zeit bleibt ihm dafür nicht, sagt die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl von der Universität der Bundeswehr.

ntv.de: Frau Riedl, Ministerpräsident Söder hat sich entschlossen, Wirtschaftsminister Aiwanger nach dem Flugblatt-Skandal noch nicht zu entlassen. Eine Gnadenfrist für den Minister?

Jasmin Riedl ist Professorin für Politikwissenschaft und lehrt an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München.

Jasmin Riedl ist Professorin für Politikwissenschaft und lehrt an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München.

(Foto: Universität der Bundeswehr)

Jasmin Riedl: Von einer Gnadenfrist würde ich nicht sprechen. Söder verschafft sich und auch Aiwanger Zeit. Wir haben die Situation, dass Söder sich im Wahlkampf sehr früh auf eine Koalition mit den Freien Wählern und gegen eine Koalition mit den Grünen festgelegt hat. Das bringt ihn nun ein bisschen in die Bredouille. Jetzt hat der dieses Ei im Nest, was da nicht hingehört. Söder hätte nun gerne, dass Aiwanger jegliche Vorwürfe in aller Konsequenz ausräumen kann. Das ist ihm offenbar in der Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstagvormittag nicht gelungen. Nun will Söder auch nicht als jemand gelten, der voreilig handelt, sondern bedachtsam: Alles muss Hand und Fuß haben in die eine oder andere Richtung. Und da die Situation aktuell noch ein wenig ungeklärt ist, wenn nicht sogar unübersichtlich, verschafft er mit seinem Fragenkatalog erst einmal beiden Seiten Zeit.

Söder hat gesagt, er wolle auf jeden Fall an der Koalition mit den Freien Wählern festhalten, auf einen bestimmten Mann käme es nicht so an. Eine kluge Entscheidung?

Söder macht das schon sehr klug. Vor dem Hintergrund dieser Situation, die im Moment immer noch undurchsichtig ist, versucht er, sich Zeit und Raum zu verschaffen, auch argumentativen Raum. Was macht man denn, wenn Aiwanger die Fragen nicht ausreichend beantwortet? Oder wenn vielleicht noch was Neues herauskommt? Söder will sich da möglichst viele Optionen offenhalten. Am Montag sagte er, er wolle mit einer bürgerlichen Koalition regieren, und das könnte auch die FDP sein, obwohl man da nicht weiß, ob die in den Landtag kommt. Jetzt hat er die Koalition mit den Freien Wählern bekräftigt. Natürlich werden die nicht durch eine Person alleine repräsentiert. Aber Söder weiß, dass die Freien Wähler sehr abhängig sind von Aiwanger. Das wissen die Freien Wähler auch, und erst recht weiß das Hubert Aiwanger. Aktuell liegen die Freien Wähler in den Umfragen vor den Landtagswahlen bei zwölf bis vierzehn Prozent, und das liegt natürlich sehr stark an der Figur Hubert Aiwanger. Die guten Umfragewerte für ihn sind im Umkehrschluss aber auch ein Problem für Söder. Wenn er Aiwanger rauswirft, könnte das auch negative Konsequenzen für die Zustimmungswerte von Söder und der CSU bei den Landtagswahlen am 8. Oktober haben.

Wäre Aiwanger nicht mehr da, hätten die Freien Wähler überhaupt jemanden mit dessen Charisma, der ihn ersetzen könnte?

Natürlich gibt es bei den Freien Wählern auch andere Führungspersönlichkeiten, die in Bayern einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Bildungsminister Michael Piazolo zum Beispiel. Auf der anderen Seite ist Aiwanger derjenige, der "authentisch" Opposition in der Regierung betreibt. Das hat er in der jetzt endenden Legislaturperiode schon gemacht. So gab es zum Beispiel in der Covid-Krise Auseinandersetzungen zwischen Söder und Aiwanger, weil der öffentlich gemacht hatte, nicht geimpft zu sein. Aiwanger ist jemand, der den populistischen Sprech total beherrscht: die da oben, wir da unten. Und obwohl er Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident ist, konnte er immer wieder glaubhaft die Oppositionsrolle zu der Regierung bespielen. Außerdem hat er das Image, dass er das sagt, was zumindest Teile der Bevölkerung gerne hören wollen. Seine Unterstützer loben ihn und sagen: "Er nimmt kein Blatt vor den Mund, er sagt, was er denkt, er weiß, was wir brauchen, besonders wir vom Land." Dieses Image kann kein anderer bei den Freien Wählern in dieser Art ausfüllen.

Wie könnte sich die Regierungskrise auf die Landtagswahl auswirken?

Da fällt es mir schwer, eine Aussage zu treffen, weil nicht klar ist, in welche Richtung sich das Ganze jetzt entwickelt. Worüber ich mir aber völlig sicher bin: Wenn wir eine Umfrage haben, die nach den Zustimmungswerten für die Person Hubert Aiwanger fragt, würde ich davon ausgehen, dass die Flugblatt-Affäre ihm nicht vor die Füße fällt.

Söder hat keinen Termin für die Beantwortung seiner 25 Fragen genannt. Wie lange kann er noch warten?

Er hat nicht viel Zeit. Direkt nach seinem Statement am Dienstagmittag haben sich mit dem SPD-Spitzenkandidaten Florian von Brunn und dem Grünen-Co-Vorsitzenden Ludwig Hartmann zwei Oppositionspolitiker zu Wort gemeldet. Die sagen, Aiwanger hätte mindestens sein Amt ruhen lassen müssen, bis die Angelegenheit aufgeklärt ist, oder Söder hätte ihn unter Umständen gleich rauswerfen müssen. Am Dienstagvormittag konnten nach der mündlichen Befragung von Aiwanger die Zweifel offenbar nicht ausgeräumt werden. Darum dann Dienstagmittag diese 25 schriftlichen Fragen. Ich gehe davon aus, dass die Antworten schnell kommen müssen, innerhalb von 24 oder 48 Stunden. Ich gehe auch davon aus, dass die Oppositionsparteien im Landtag, also die politische Konkurrenz, die Sache nicht so einfach auf sich beruhen lassen wird. Vielleicht muss es tatsächlich noch eine Sondersitzung im Landtag auf Wunsch der Oppositionsparteien geben. Die werden diese Situation für sich nutzen. Darum muss es jetzt zu einer schnellen Entscheidung kommen.

Mit Jasmin Riedl sprach Marko Schlichting

Quelle: ntv.de

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