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Ukrainischer Soldat erzählt "An der Front in der Ukraine würden NATO-Truppen ausflippen"

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"Ich habe eigentlich nichts Besonderes gelernt, wir sind nur zwanzig bis dreißig Kilometer am Tag im Hauptaufklärungsteam mit einem Maschinengewehr durch den Wald gelaufen." (Foto: picture alliance/dpa)

"Ich habe eigentlich nichts Besonderes gelernt, wir sind nur zwanzig bis dreißig Kilometer am Tag im Hauptaufklärungsteam mit einem Maschinengewehr durch den Wald gelaufen." (Foto: picture alliance/dpa)

(Foto: picture alliance/dpa)

Schon seit Beginn des Jahres bilden die USA ukrainische Soldaten in Deutschland aus. Die Militärübungen finden auf dem größten US-Truppenübungsplatz in Europa statt, im bayerischen Grafenwöhr. NATO-Truppen trainieren hier regelmäßig auf einer Fläche von mehr als 20.000 Hektar. Nach Aussage von US-Brigadegeneral Pat Ryder sollen monatlich rund 500 ukrainische Soldaten auf Bataillonsebene in Deutschland ausgebildet werden.

Der ukrainische Soldat Anton hat im Sommer als Späher an einer Gefechtsausbildung auf einem Truppenübungsplatz in Deutschland teilgenommen. Um seine Identität zu wahren, haben wir seinen Namen verändert. Anton ist als Drohnen-Operator im Einsatz. Auf ihn warten eine Frau und eine kleine Tochter.

ntv.de: Wann hat der Krieg für Sie angefangen?

Anton: Am 24. Februar 2022. Ich bin aufgewacht, habe die Nachrichten gesehen und bin zur Einberufungsbehörde gegangen. Dort standen schon viele Männer in der Schlange und ich wurde nicht angenommen. Am nächsten Tag bin ich wieder hin und habe ihnen gesagt, sie sollen mich entweder nehmen oder mir eine Untauglichkeitsbescheinigung ausstellen. Dann brachten sie mich zur Nationalgarde. Ich habe eine Zeit lang strategisch wichtige Einrichtungen bewacht, etwa drei Monate lang. Eines Tages wurden wir in einer Reihe aufgestellt und gefragt, wer zur Brigade Asow gehen wolle. Nur 20 von 150 Leuten, mich eingeschlossen, meldeten sich. Wir wurden zu einem Kontrollpunkt gebracht, aber es stellte sich heraus, dass wir doch nicht in die Asow-Brigade aufgenommen werden sollten. Es folgten anderthalb Monate sinnloser Dienst, dann bekam ich zwei Tage Urlaub und in der Zeit gelang es mir, in die Einheit zu wechseln, in der ich jetzt bin. Alle anderen hier fragen sich immer noch, wie ich das geschafft habe, da ich vor dem 24. Februar nirgendwo gedient hatte und keine militärische Erfahrung hatte.

Wissen Sie, warum gerade Sie nach Deutschland geschickt wurden, gab es irgendwelche Auswahlkriterien?

Um ehrlich zu sein, gab es keine. Die Hauptsache war wohl, dass man als Soldat keine gravierenden Fehler gemacht hatte und sich nichts zuschulden hatte kommen lassen. Das betrifft die Ausführung bestimmter Kampfaufgaben, aber auch Fälle, wenn ein Soldat es mit dem Alkohol übertreibt. Dann hat er auch keine Chance, sich weiterzuentwickeln und zur Ausbildung zu fahren. Aber fast mein gesamtes Bataillon war dabei, nur wenige sind in der Ukraine geblieben.

Welche Art von Ausbildung haben Sie hier in Deutschland bekommen?

Eine allgemeine militärische Ausbildung, auch Aufklärung.

Und wie lange hat die Ausbildung gedauert?

Eineinhalb Monate.

Konnten Sie sich mit Ihren Ausbildern verständigen?

In der ersten Woche haben wir mit der Hilfe unserer Dolmetscher aus der Ukraine kommuniziert, in der zweiten Woche konnten wir schon ein bisschen verstehen, was die Amerikaner sagten. Oder wir haben Google Translate verwendet.

Würden Sie sagen, dass die Ausbildung effektiv war?

Ich war während meiner Ausbildung in einer Drohneneinheit, einem Aufklärungszug. Unsere Ausbilder waren United States Army Rangers. Das Programm war speziell auf die Aufklärung ausgerichtet. Von uns hatten schon viele Kampferfahrung, die meisten hatten schon monatelang gekämpft. Aber es schien uns nicht so, als sei das Ausbildungsprogramm für Leute mit Kampferfahrung gedacht gewesen. Ich habe eigentlich nichts Besonderes gelernt, wir sind nur zwanzig bis dreißig Kilometer am Tag im Hauptaufklärungsteam mit einem Maschinengewehr durch den Wald gelaufen. Das mache ich auch in der Ukraine jeden Tag. Aber die Jungs, die nicht wussten, wie man mit Landkarten umgeht, haben gelernt, wie man sie benutzt. Uns wurden auch einige Waffen erklärt, ein Maschinengewehr beispielsweise. Das war auch hilfreich.

Konnten Sie das Übungsgelände verlassen, in die Stadt gehen und sich mal entspannen?

In die Stadt durften wir nicht gehen, wir haben unsere ganze Zeit im Wald verbracht. Aber an Sonntagen hatten wir frei. Dann konnte jeder tun, was er wollte. Zum Beispiel Volleyball spielen, Sport machen oder einfach schlafen.

Gibt es etwas, das Ihnen an der Ausbildung in Deutschland gefallen hat?

Auf der Militärbasis selbst gibt es Disziplin und klare Regeln, die uns manchmal fehlen. Es gibt zum Beispiel eine Hierarchie zwischen Soldaten, Feldwebeln und Offizieren. Ein Feldwebel in einer NATO-Armee ist wie eine Mutter und ein Vater, und die Soldaten behandeln sie mit großem Respekt. Obwohl sie miteinander scherzen können, gibt es auch bei alltäglichen Dingen klare Grenzen und Regeln. Als wir ankamen, wurde uns sofort gesagt, dass wir nur an einer bestimmten Stelle rauchen und den Müll nur in bestimmte Mülleimer werfen dürfen. Daran haben sich auch alle gehalten. Aber als wir in die Ukraine zurückkehrten, waren alle Regeln vergessen.

Gibt es Dinge, die man bei der Ausbildung verbessern könnte?

Ich hätte mir mehr Erfahrung von den Ausbildern gewünscht. Die Erfahrung, die die Ausbilder dort haben, deckt sich nicht mit der Erfahrung, die wir jeden Tag an der Front machen. Die Amerikaner haben andere Krieg geführt als wir, sie verfügen über eine andere Ausrüstung. Sie arbeiten zuerst mit Flugzeugen, dann mit Panzern, dann mit der Artillerie, und erst dann kommt die Infanterie und erledigt den Rest. Das haben wir in der Ukraine nicht. Wir haben weder Flugzeuge noch Panzer in dem Umfang, wie die Amerikaner sie haben, also ist unser Gold die Infanterie. Unsere Taktik ist im Grunde die folgende: Zuerst kommt die Artillerie, dann die Infanterie. Wenn NATO-Truppen in der Ukraine an die erste Frontlinie kämen, würden sie ausflippen.

Es gibt in der Ukraine außerdem viel Wald - eine Menge Vegetation, die die Erfüllung der Aufgaben behindert. Als die Amerikaner im Irak Krieg führten, sahen sie den Feind auf zehn Kilometer Entfernung und konnten auf ihn schießen. Deshalb wäre sinnvoll, wenn das amerikanische Militär zu uns käme, um sich anzusehen, wie wir kämpfen. Übrigens, als ich an den Übungen teilnahm, sagten viele Amerikaner, sie würden uns gerne bei der Vernichtung des Feindes helfen, aber leider dürfen sie das nicht.

Sind Sie nach der Ausbildung direkt zurück an die Front gegangen?

Nicht alle von uns gehen sofort nach dem Abschluss an die Front. Einige werden selbst Ausbilder. Mein Bataillon konnte sich ein paar Wochen ausruhen und wurde dann an die Front geschickt.

Kennen Sie Fälle, in denen Soldaten, die zur Ausbildung nach Deutschland kamen, weggelaufen sind?

Ja, ich habe von einem solchen Fall während unserer Ausbildung gehört. Ein Mann ist über den Zaun geklettert und zur ukrainischen Botschaft gegangen, aber sie haben ihn zurückgebracht. Ich habe keine Ahnung warum, so habe ich es von den anderen Soldaten gehört. Und ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, er war nicht aus unserem Bataillon.

Wie ist es mit Ihnen? Wollten Sie zurück nach Hause gehen, obwohl Sie wussten, dass Sie in den Krieg zurückkehren würden?

Ja. Ich mochte Deutschland nicht so - vielleicht, weil ich den ganzen Tag im Wald war, das Wetter schlecht war und ich mehrfach von Zecken gebissen wurde (lacht). Ich weiß es nicht, aber das hier ist meine Heimat, mein Land, meine Familie und meine Freunde.

Sie hatten keine Angst?

Nur Selbstmordattentäter haben keine Angst, dieses dumme Heldentum habe ich nicht. Es gibt diese Leute, die sich auf die Brust klopfen und sagen, dass sie vor nichts Angst haben und mit bloßen Händen zum Feind gehen. Aber die Praxis zeigt, dass solche Leute die ersten sind, die ihre Waffen fallen lassen und von ihren Positionen weglaufen. Man gibt uns eine Aufgabe, dann setzen wir uns mit den Jungs zusammen und wägen alle Risiken ab, wie man es richtig macht und wann. Das Wichtigste ist, dass die Aufgabe richtig gestellt und begründet ist. Dann können wir loslegen und unsere Arbeit ruhig machen.

Gibt es nichts, das Sie aus dem Gleichgewicht bringt?

Es ist sehr ärgerlich, wenn man von der Front zurückkommt und die Leute die immer gleichen Fragen stellen: Wann wird der Krieg zu Ende sein? Hast du wen getötet? Solche Fragen ärgern mich und meine Kollegen. In solchen Momenten möchte ich sagen: Komm doch zu uns, die Mobilisierung dauert an, dann könnt ihr euch die Fragen selbst beantworten.

Was motiviert Sie?

Der Gedanke, dass es niemanden gibt, der die Familie eines Soldaten schützt, der zum Beispiel bei der Verteidigung von Mariupol gefallen ist. Seine Kinder und seine Frau sind ja noch da - wer wird sie jetzt beschützen? Oder wenn ich diese Gräueltaten von Russen im Internet sehe oder von Bekannten höre, wie Russen mit einem Messer den Buchstaben Z in die Rücken unserer Soldaten ritzen. Dann empfinde ich Hass auf den Feind.

Mit Anton sprach Maryna Bratchyk

Quelle: ntv.de

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