Experten zweifeln an Beschuss Bericht: Kriminelle Fahrlässigkeit führte zu Dammbruch
07.06.2023, 20:46 Uhr Artikel anhören
Satellitenbilder zeigen die Schäden am Staudamm.
(Foto: picture alliance/dpa/2023 Maxar Technologies)
Nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms brüten weltweit Experten über die möglichen Gründe für die Katastrophe. Entgegen erster Vermutungen kommen Ermittler einer unabhängigen Organisation zu dem Schluss, dass nicht eine Attacke, sondern grobe Fahrlässigkeit der Russen dahinter stecke.
Einem Bericht einer unabhängigen Ermittlungsorganisation zufolge soll nicht eine willentliche Explosion, sondern "kriminelle Fahrlässigkeit der russischen Streitkräfte" zur Zerstörung des Staudamms in Cherson geführt haben. Zu dieser Einschätzung ist das "Conflict Intelligence Team" (CIT), eine unabhängige Ermittlungsorganisation aus Russland, nach Vergleichen mehrerer Satellitenbilder vom Herbst 2022 gekommen. Die Organisation untersucht mithilfe öffentlich zugänglicher Quellen Vorkommnisse rund um Einsätze des russischen Militärs.
Ihrer Einschätzung zufolge sind die dokumentierten Explosionen in der Nähe der Wasserkraftwerke nicht durch Beschuss, sondern durch von Russland angebrachte Minen verursacht worden, die erst nach dem Dammbruch von der Strömung mitgerissen wurden. "Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die Russen den Staudamm vermint haben. Das haben sie uns quasi wissen lassen", sagte der Militärexperte Markus Reisner dem NDR. In der Nacht von Montag auf Dienstag selbst, als der Damm gebrochen ist, habe es keine Explosionen gegeben.
Auf Satellitenbildern von Maxar, Sentinel und Planet sei zu sehen, dass eine Explosion im November 2022 beim Rückzug russischer Streitkräfte Schäden an den Schleusentoren verursacht hatte, die Struktur aber nicht beschädigt wurde. Allerdings hatten sich seit November die Portalkräne, mit denen die Tore geöffnet werden, nicht mehr bewegt, wie Satellitenbilder zeigten, schreiben die Autoren. Auf allen nachfolgenden Fotos blieben die Kräne bis zum 5. Juni an denselben Stellen, was darauf schließen lasse, dass "die russischen Streitkräfte seit dem 15. November den Wasserstand im Stausee in keiner Weise reguliert haben".

Maxar-Satelliten-Aufnahme des Staudamms vom 11. November 2022, kurz nach der russischen Sprengung der Fahrbahn.
(Foto: Satellite image ©2022 Maxar Technologies.)
Anhäufung von Schäden führte zu Dammbruch
Das habe den Rekord-Niedrigwasserstand im Februar und im Anschluss den Rekordwasserstand Ende Mai verursacht. Auf dem Straßenabschnitt über den geöffneten Toren sind am 28. Mai kleinere Schäden zu sehen, die wahrscheinlich von dem Beschuss durch die Streitkräfte der Ukraine im vergangenen Jahr stammen. Auf dem Bild vom 2. Juni sei dann zu erkennen, dass der Straßenabschnitt über den geöffneten Toren eingestürzt sei. Die dadurch entstandenen Schäden hätten sich bis zum 4. Juni ausgeweitet, am 5. Juni sei der eingestürzte Straßenabschnitt noch detaillierter zu sehen.
All das lasse den Schluss zu, dass die Schäden am Damm über einen langen Zeitraum zugenommen hätten und nicht durch eine Explosion an einem Tag aufgetreten seien, schlussfolgern die Autoren. Infolge der Anhäufung dieser Schäden "stürzte der Damm in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni ein", heißt es weiter. "Zuerst brach das Wasser im Bereich der offenen Tore durch den Damm, und dann stürzte unter dem Druck des Wasserstroms ein Teil der Turbinenhalle ein."
Neben Satellitenbildern gebe es laut CIT weitere Daten, die diese Theorie belegten. Die auf Basis von Satellitendaten erstellte Grafik des Wasserstands im Kachowka-Stausee zeigt, dass im Herbst 2022 die Wasserstandsschwankungen zunehmen. Zu Beginn des Jahres kam es zu einem starken Rückgang des Pegels auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau und dann zu einem ebenso starken Anstieg auf ein Rekordhoch im Juni 2023. Grund seien auch die starken Regenfälle in der Woche zuvor gewesen.
Experten finden Attacke von außen unwahrscheinlich
Auch andere Experten gehen eher von einem Unglück als von einer geplanten Sprengung aus. Laut einem Bericht der "New York Times" sei "höchstwahrscheinlich" eine Explosion im Inneren des Staudamms für dessen Bruch verantwortlich. Die Zeitung zitiert mehrere Experten. Ein strukturelles Problem oder ein Angriff von außen seien prinzipiell möglich, aber wenig wahrscheinlich, heißt es darin.
Eine Explosion in einem geschlossenen Raum innerhalb des Staudamms würde den größten Schaden anrichten - deutlich größer als beispielsweise bei einer Attacke von außen. Trotzdem geben den Experten zu Bedenken, dass Hunderte Kilogramm Sprengstoff notwendig gewesen seien, um eine solche Katastrophe auszulösen. Eine einzelne Rakete von außen sei als Ursache dagegen unwahrscheinlich. Selbst ein Volltreffer hätte den Damm demnach nicht zerstören können.
Quelle: ntv.de, vmi