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Um 470 Millionen Euro teurer Bericht: Masken-Mails bringen Jens Spahn in Bedrängnis

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Der ehemalige Gesundheitsminister Spahn weist die Zweifel an der damaligen Beschaffungspraxis für Masken zurück.

Der ehemalige Gesundheitsminister Spahn weist die Zweifel an der damaligen Beschaffungspraxis für Masken zurück.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wegen des Masken-Deals in der Frühphase der Corona-Krise 2020 steht Jens Spahn schon länger in der Kritik. Dem ehemaligen Gesundheitsminister werden Versäumnisse und schwere Fehler vorgeworfen. Nun gerät Spahn durch Mails seines Abteilungsleiters offenbar weiter unter Druck.

Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn hat in der Frühphase der Corona-Pandemie den Preis für Schutzmasken stark angehoben - gegen die Empfehlung seiner eigenen Fachabteilung. Das geht aus internen E-Mails des Ministeriums hervor, die der FAZ vorliegen. Im März 2020 schlug der zuständige Abteilungsleiter im Ministerium aus seiner Markt- und Fachkenntnis heraus 3 Euro netto je Maske vor. Das sei "ordentlich", schrieb er. Spahn entschied sich aber nur einen Tag später für 4,50 Euro je Stück, also für ein Plus von 50 Prozent. Bei 262 Millionen so eingekauften Masken musste der Steuerzahler in der Folge brutto fast 470 Millionen Euro mehr zahlen als ursprünglich vorgesehen.

Damals ging es um die Konditionen für das sogenannte Open-House-Verfahren. Für diesen am 27. März 2020 begonnenen "offenen" Beschaffungsweg konnte jeder Lieferant einen Vertrag zum Festpreis von 4,50 Euro je FFP2- oder KN95-Maske erhalten, und zwar in beliebiger Stückzahl. Voraussetzung war, dass der Händler die Ware keinen Tag später als bis zum Stichtag 30. April bereitstellen musste. Auf diese Weise wollte die Bundesregierung in der Notzeit ausreichende und berechenbare Mengen sicherstellen.

Allerdings lief das Verfahren mit viel zu vielen Zusagen und teilweise minderer Maskenqualität völlig aus dem Ruder. Deshalb sah sich das Ministerium gezwungen, die Frist zu verkürzen, Verträge zu kündigen und Rechnungen nicht zu bezahlen. Dagegen haben zahlreiche Lieferanten geklagt. Einige bekamen kürzlich vor dem Oberlandesgericht Köln recht, der Streitwert der noch anhängigen Verfahren beträgt 2,3 Milliarden Euro.

"Nach Entscheidung des Minister(s) ..."

Spahn ist sich keiner Schuld bewusst, der FAZ vorliegende Mails bringen den ehemaligen Gesundheitsminister allerdings nun in Erklärungsnot: Am Abend des 24. März gegen 21 Uhr, drei Tage vor Beginn des Schnellverfahrens, schrieb der verantwortliche Leiter der Zentralabteilung Z im Gesundheitsministerium, Ingo B., demnach an das für die Schutzausrüstung zuständige Team seines Hauses: "Dank der Superarbeit" sei man "im Grunde morgen startbereit".

Anschließend folgt die entscheidende Passage: Er habe "dem Chef versprochen […], morgen einen attraktiven Preis vorzuschlagen", schreibt B. und nennt diesen auch: "3,00 € FFP2 sind ordentlich = 3,57 dann im Ankauf". Doch am 25. März um kurz nach 9 Uhr schrieb B. an den Verteiler: "Guten Morgen, nach Entscheidung des Minister(s) jetzt bitte wie folgt finalisieren: 4,50 netto und bis 30. April 2020."

Damit war der um 1,50 Euro geringere Stückpreis innerhalb von nur zwölf Stunden Makulatur. Der Bruttopreis einschließlich 0,86 Euro Mehrwertsteuer, den die Lieferanten dem Ministerium in Rechnung stellen durften, erreichte jetzt 5,36 Euro je Maske, 1,79 Euro mehr als von B. am Tag zuvor vorgeschlagen. Nach Angaben des Bundesrechnungshofs wurden für die Maskenkäufe 1,4 Milliarden Euro aufgebracht. Wäre B.s Vorschlag zum Zuge gekommen, wären es rund 935 Millionen gewesen, 467 Millionen Euro weniger.

Lauterbach macht Spahn schwere Vorwürfe

Gesundheitsminister Lauterbach hatte im Gespräch mit der FAZ vergangene Woche den Verdacht geäußert, der "damalige Minister" sei für die Festlegung des hohen Preises verantwortlich. "Dazu werden die Akten jetzt ebenfalls gesichert, archiviert und ausgewertet", sagte er. Die Mails aus dem Ministerium untermauern nun diesen Verdacht. Lauterbach hatte außerdem angekündigt, eine Sonderbeauftragte einzusetzen.

Spahn wies die Zweifel an der damaligen Praxis gegenüber der FAZ zurück. Die Bundesregierung habe rückschauend im Oktober 2020 die Preise aus dem Open-House-Verfahren (OHV) als angemessen bezeichnet, sagte sein Sprecher. Der Markt sei angespannt gewesen, man habe auch die Anlieferung nach Deutschland berücksichtigen müssen.

"Ende April 2020 lag der in einer Preisstichprobe ermittelte Preis bei 6,35 Euro netto und damit deutlich über den genannten 4,50 Euro", so der Sprecher. "Aus der Erinnerung kann Herr Spahn sagen, dass in mehrstündigen Beratungen mit der Fachebene unter Abwägung aller Aspekte der Preis so festgesetzt worden ist."

Grüne: Teuerste Verschwendungsnachricht der Nachkriegsgeschichte

Ein Sprecher des jetzigen Ministers Lauterbach bestätigt das: "Die Preise im OHV wurden vom Ministerium nach sorgfältiger Abwägung auch unter Berücksichtigung der zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt gehandelten Preise festgelegt." Man habe sich an den "weitgehend ausgeschöpften Markt- und Logistikkapazitäten" orientiert: "Die im OHV festgesetzten Preise erscheinen der Bundesregierung eingedenk der damaligen weltweit außerordentlich angespannten Marktsituation auch in der Rückschau als angemessen."

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Ganz anders sieht es Lauterbachs Koalitionspartner, die Fraktion der Grünen im Bundestag. Zu Spahns Zeiten bildete sie die Opposition gegen Union und SPD. "Hier hat ein einzelner Minister mal eben gegen den Rat seiner eigenen Fachleute fast eine Milliarde mehr ausgegeben, ohne dass das Parlament oder der Finanzminister intervenieren konnten", sagte die grüne Haushalts- und Gesundheitspolitikerin Paula Piechotta. "Auch in der Krise müssen grundlegende Kontrollmechanismen funktionieren, alles andere führt ins finanzielle Verderben für den Steuerzahler."

Piechottas Fraktionskollege Janosch Dahmen kritisierte: "Die E-Mails belegen, dass ohne sachlichen Grund und gegen den ausdrücklichen Rat des Ministeriums in wenigen Sekunden über 1,5 Milliarden Euro Steuergeld zusätzlich durch Spahn verschwendet wurden: Diese E-Mail wird wohl als teuerste Verschwendungsnachricht der Nachkriegsgeschichte eingehen." Das Geld fehle "jetzt im Gesundheitswesen an allen Ecken und Enden".

Quelle: ntv.de, gut

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