Militär spricht von "Terrorist" Berlin: Israel muss Tötung von Gaza-Reporter erklären
11.08.2025, 16:33 Uhr
Nach den Luftschlägen blieb von dem Zelt nicht viel übrig.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Erneut sterben im Gazastreifen mutmaßlich mehrere Journalisten bei israelischen Luftangriffen. Unter den Getöteten: ein Top-Reporter des arabischen TV-Senders Al-Dschasira. Israel bezeichnet ihn als Hamas-Terroristen. Die Bundesregierung fordert Aufklärung - auch mit Verweis auf das Völkerrecht.
Angesichts der jüngsten Tötung von Journalisten durch die israelische Armee im Gazastreifen fordert das Auswärtige Amt von Israel eine Erklärung. Die Tötung von Medienschaffenden sei im humanitären Völkerrecht "absolut unzulässig", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin. "Wenn es dazu kommt, wie es eben jetzt passiert ist, dann liegt es an der Partei, die eine solche Tötung unternimmt, das klar darzulegen, transparent aufzubereiten, warum das notwendig war", sagte er weiter. Das sei bislang nicht geschehen. Wenn Israel sage, dass der Angriff einer Person gegolten habe, sei die Frage zu beantworten, warum insgesamt fünf Kollegen getötet wurden.
Am Morgen war bekannt geworden, dass bei israelischen Luftschlägen im Gazastreifen fünf Journalisten, darunter der Korrespondent des arabischen TV-Senders Al-Dschasira, Anas al-Scharif, getötet wurden. Al-Scharif und vier weitere Kollegen seien bei einem gezielten Angriff auf ein Zelt für Journalisten in der Stadt Gaza im Norden des Gazastreifens getötet worden, teilte der TV-Sender mit. Israels Militär bestätigte den Tod von al-Scharif. Der 28-Jährige habe sich als Al-Dschasira-Journalist ausgegeben, er habe aber eine Terrorzelle der islamistischen Hamas angeführt, erklärte das Militär.

Israels Militär bestätigte den Tod von Anas al-Scharif. Er habe sich als Al-Dschasira-Journalist ausgegeben, aber eine Terrorzelle der islamistischen Hamas angeführt, behauptete es.
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Es berief sich zur Begründung der Tötung al-Scharifs auf Informationen der Geheimdienste und im Gazastreifen gefundene Dokumente, die dessen militärische Zugehörigkeit zur Hamas belegen sollen. Al-Scharif sei verantwortlich für die Durchführung von Raketenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten gewesen. Zu den anderen vier Opfern des Angriffs äußerte sich das Militär nicht.
Die Angaben sind nicht überprüfbar. Die Geheimdienstinformationen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Auch in früheren Fällen begründete die Armee die Tötung palästinensischer Journalisten mit ihrer angeblichen Zugehörigkeit zur Hamas. "Israel hat eine langwährende, dokumentierte Praxis, Journalisten als Terroristen zu beschuldigen, ohne glaubhafte Beweise vorzulegen", schrieb das Journalistenschutzkomitee CPJ in einer Erklärung, in der es die Tötung der fünf Al-Dschasira-Mitarbeiter scharf verurteilte.
"Sprachrohr für intellektuellen Terrorismus"
Al-Scharif war Israel offenbar schon länger ein Dorn im Auge. Avichai Adraee, der israelische Militärsprecher für die Kommunikation in arabischer Sprache, hatte im Juli mehrere Videos auf sozialen Plattformen gepostet, in denen er den Fernsehreporter unter anderem als "Sprachrohr für intellektuellen Terrorismus" beschimpfte. "Ich lebe mit dem Gefühl, dass ich jederzeit bombardiert und zum Märtyrer gemacht werden kann", vertraute der so Bezeichnete damals dem CPJ an. Dieses forderte, dass ihn die internationale Gemeinschaft schützen müsse.
Insgesamt seien nach Angaben des Krankenhausleiters bei dem israelischen Angriff sieben Menschen getötet worden und acht weitere verwundet, berichtet die "New York Times". Für die Bundesregierung sei klar, dass Journalisten geschützt werden müssten, erklärte der Sprecher des Außenamts weiter. Israel müsse erklären, inwieweit der Verlust dieses Schutzstatus überhaupt zu rechtfertigen sei. "Und da ist die israelische Seite jetzt am Zug aus unserer Sicht, sich zu erklären, und zwar in einer möglichst transparenten und nachvollziehbaren Art und Weise." Die israelischen Behörden müssten sicherstellen, dass Journalistinnen und Journalisten im Gazastreifen ihrer Arbeit "frei und sicher nachgehen" könnten.
Seit Beginn des Krieges gegen die Hamas im Oktober 2023 sind laut Auswärtigem Amt im Gazastreifen 200 Journalisten getötet worden. Eine so hohe Zahl sei "absolut inakzeptabel", bekräftigte der Sprecher. Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilte den jüngsten israelischen Luftangriff auf Medienschaffende. Selbst falls Anas al-Sharif ein Terrorist gewesen sein sollte, rechtfertige das nicht den Luftangriff auf ein Journalistenzelt, sagte DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster. Dass auf Grundlage von nicht überprüfbaren Vorwürfen gezielt Jagd auf Medienschaffende gemacht werde, sei nicht hinnehmbar.
Lokale Reporter und Reporterinnen riskieren ihr Leben
Auch der Auslandspresseverband in Israel (FPA) zeigte sich empört über die Tötung al-Sharifs und seiner Kollegen. "In den letzten 22 Monaten hat das israelische Militär palästinensische Journalisten wiederholt als Militante abgestempelt, oft ohne nachprüfbare Evidenz, und sie damit zu Angriffszielen gemacht", schrieb der Verband in einer Stellungnahme. Die FPA kritisierte darüber hinaus, dass ausländischen Journalisten der Zutritt zum Gazastreifen seit Kriegsbeginn weitgehend verboten ist. Die Berichterstattung liegt deshalb allein in Händen lokaler Reporter und Reporterinnen, die damit ihr Leben riskieren. Israel wirft wiederum der Berichterstattung aus dem Gazastreifen Einseitigkeit und Manipulation durch die Hamas vor.
Al-Scharif war einer der bekanntesten Reporter des arabischsprachigen Senders im Gazastreifen. Er berichtete seit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs am 7. Oktober 2023 über die Geschehnisse vor Ort. Besonders in der arabischen Welt galt der 28-Jährige als prominentes Gesicht der Berichterstattung aus Gaza. Der in Katar ansässige Sender verurteilte den Angriff als einen weiteren "vorsätzlich geplanten Angriff auf die Pressefreiheit." Al-Scharif und seine Kollegen seien eine der letzten öffentlichen Stimmen aus Gaza gewesen.
Al-Dschasira ist einer der führenden Nachrichtensender in der arabischen Welt und erreicht dort ein Millionenpublikum. Israel blockiert immer wieder die Arbeit von Journalisten des Senders und hat auch bereits deren Büro im Westjordanland geschlossen. Israel wirft Al-Dschasira unter anderem vor, "Sprachrohr" der Hamas und der proiranischen Hisbollah zu sein. Ein Vorwurf, den der Sender zurückweist. Reporter ohne Grenzen wirft stattdessen Israel vor, eine "Strategie des Medienblackouts" zu verfolgen.
Quelle: ntv.de, ses/fzö/dpa