Auftakt in Israel Biden besucht die "Nahost-NATO"
13.07.2022, 10:00 Uhr Artikel anhören
Jerusalem bereit sich auf den Besuch von US-Präsident Biden vor.
(Foto: picture alliance/dpa)
An diesem Mittwoch startet Joe Biden eine Reise durch den Nahen Osten, auf dem Programm stehen Israel, die palästinensischen Autonomiegebiete und Saudi-Arabien. Erstmals wird ein US-Präsident direkt von Israel nach Riad fliegen.
Noch nach der Verabschiedung des UN-Teilungsplans für Palästina Ende 1947 war die Entscheidung der US-Regierung um Harry Truman, den jüdischen Staat zu unterstützen, umstritten. Obwohl der Präsident sich dafür einsetzte, gab es in den USA Befürchtungen, dass dies die Beziehungen zur muslimischen Welt belasten werde. Truman entschied sich trotzdem, Israel nach seiner Gründung am 14. Mai 1948 anzuerkennen. Obwohl die USA Israel seither unterstützt haben, kam erst 1974 mit Richard Nixon der erste US-Präsident nach Jerusalem. Auf seiner bevorstehenden Nahostreise wird sich Joe Biden als siebter US-Präsident in diese Liste einreihen.
Zuletzt war Biden vor sechs Jahren in Israel, damals als Vizepräsident. "Nach seinem Besuch 2016 wird er jetzt eine veränderte Region vorfinden", sagt David Itzhaki, ehemaliger israelischer Unterhändler bei den Friedensgesprächen mit Ägypten und Jordanien. "Damals unterhielt Israel diplomatische Beziehungen zu nur zwei arabischen Staaten. Mit den Abraham-Abkommen normalisierte sich auch das Verhältnis zu Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten."
Der in Bagdad geborene Itzhaki pflegt beste Kontakte in die arabische Welt. Der 75-Jährige war Sonderbeauftragter beim Oslo-Abkommen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und Israel. "Bidens Besuch wird sich mehr auf die entstehende arabisch-israelische Militärpartnerschaft zur Bekämpfung der iranischen Bedrohung konzentrieren als auf eine Lösung des Nahostkonflikts", glaubt Itzhaki. "Diese Zusammenarbeit hat Priorität."
Die "Nahost-NATO" hat schon Angriffe abgewehrt
Biden möchte mit einer von ihm initiierten Militärkoalition die Golfstaaten von deren Verbündeten China und Russland weglocken und auch mit Blick auf die Ölfördermengen dort eine antirussische Front aufbauen. Dafür wird er als erster US-Präsident direkt von Israel nach Saudi-Arabien fliegen, um in dem Königreich am Treffen des Golf-Kooperationsrats teilnehmen. In den USA löste diese Reise Kritik aus, hatte Biden seinerzeit doch die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi kritisiert. Doch sein Nahost-Besuch soll nicht nur die Integration des jüdischen Staates in die Region vertiefen. Es geht ihm um eine US-geführte neue regionale Sicherheitsarchitektur. Experten sprechen bereits von einer "Nahost-NATO" - auch wenn es bei diesem noch inoffiziellen Bündnis bislang nur um eine gemeinsame Luftabwehr gegen Angriffe aus dem Iran geht. Denn der Iran bedroht nicht nur Israel, sondern auch arabische Staaten der Region.
"Biden wird keine Normalisierung zwischen Riad und Jerusalem ankündigen", sagte Tom Nides, US-Botschafter in Israel, in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung "Haaretz". "Aber dies wird der Beginn eines Prozesses der regionalen Sicherheit sein." Die Saudis haben stets betont, dass sie Israel erst nach der Gründung eines palästinensischen Staates anerkennen werden. Eine Annäherung gibt es trotzdem jetzt schon. Saudi-Arabien könnte demnächst Direktflüge aus Israel nach Asien zulassen und der muslimischen Minderheit in Israel Pilgerreisen nach Mekka ermöglichen. In Israel werde eine Annäherung noch skeptisch gesehen, sagte Nides. Doch die Allianz zur gemeinsamen Luftverteidigung sei bereits operativ tätig und habe schon erfolgreich iranische Angriffsversuche auf den jüdischen Staat und andere Länder unterbunden.
Besuch beim "Iron Dome"
Die neuesten israelischen Sicherheitssysteme stehen deshalb ebenfalls auf dem Programm des US-Präsidenten. Nach seiner Ankunft in Tel Aviv, wo ihn Ministerpräsident Jair Lapid begrüßen wird, ist ein Treffen mit Verteidigungsminister Benny Gantz am Luftwaffenstützpunkt Palmachim geplant; Gantz war es, der im Juni den Namen der "Nahost-NATO" ausgeplaudert hatte: Middle East Air Defence Alliance (MEAD), ein Bündnis zur Luftverteidigung im Nahen Osten. Gantz nannte MEAD ein "erstes Element" einer gemeinsamen Vision, sich gemeinsam gegen Bedrohung durch den Iran zu stellen. Die Zusammenarbeit ist bisher offenbar vor allem technischer Art.
Daher wird Biden neben einer "Iron Dome"-Raketenabwehrbatterie auch das mit Energiewaffen ausgestattete Luftverteidigungssystem "Iron Beam" besichtigen. Von dort geht es nach Jerusalem, um das Holocaust-Museum Yad Vashem zu besuchen und am nächsten Tag bei der Eröffnung der 21. jüdischen Olympiade, der "Makkabiade", teilzunehmen.
Während seines 48-stündigen Aufenthalts wird er von Präsident Jitzchak Herzog mit der Ehrenmedaille für seine Verdienste für das jüdische Volk ausgezeichnet, mit führenden israelischen Politikern zusammenkommen und an einem virtuellen Treffen mit den Staatsoberhäuptern Indiens und den Vereinigten Arabischen Emiraten teilnehmen. Doch Biden soll auch Differenzen mit der israelischen Regierung über die Eindämmung iranischer Nuklearambitionen überbrücken. Jerusalem lehnt die von Washington unterstützten Bemühungen ab, Teheran zu überzeugen, sein Atomprogramm im Austausch für die Aufhebung der Sanktionen zu reduzieren. Biden versicherte, dass die Sicherheit Israels - ganz zum Unmut der Palästinenser - für die USA von größter Bedeutung sei.
Die Gespräche mit Abbas dürften angespannt verlaufen
Auch das Westjordanland steht auf dem Reiseprogramm des Präsidenten. "Bidens Unterstützung im Nahost-Friedensprozess hat nicht die oberste Priorität", sagt Ibrahim Dalalsha, Ex-Verbindungsmann zwischen den Palästinensern und Washington. "Dementsprechend werden die Gespräche zwischen dem amerikanischen Staatschef und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angespannt sein." Dalalsha, heute Friedensforscher am "Horizon Center" in Ramallah, erklärt, dass die USA zwar weiter die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen. Aber durch israelischen Siedlungsausbau im Westjordanland sowie Spaltungen innerhalb der PLO-Führung seien keine neuen Entwicklungen zu erwarten. Und Biden habe zwar eine halbe Milliarde US-Dollar für die palästinensischen Flüchtlinge bereitgestellt. Doch er konnte Maßnahmen seines Vorgängers Donald Trump nicht rückgängig machen, die die Autonomiebehörde als Untergrabung ihres Strebens nach einem palästinensischen Staat ansieht. "Die USA haben es versäumt, Israel zu überzeugen, vertrauensbildende Maßnahmen umzusetzen", kritisiert Dalalsha. "Und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu einer endgültigen Statuslösung zu drängen."
Der US-Präsident möchte bei seiner Nahostreise die Fehler seines Vor-Vorgängers Barack Obama vermeiden. Dieser hatte Konflikte mit der israelischen Regierung in Kauf genommen, um die USA mit der muslimischen Welt zu versöhnen. "Dies ist eine Gelegenheit, Israels nationale Sicherheit zu stärken", sagt David Itzhaki. "Die Neuausrichtung der Politik Washingtons gegenüber Riad beinhaltet eine Chance für Jerusalem, sein Machtpotenzial zu demonstrieren und von den Möglichkeiten zu profitieren, die sich aus der Änderung ergeben." Der ehemalige Diplomat geht davon aus, dass Biden mit seinem Besuch auch innenpolitisch punkten will - im Herbst finden in den USA Kongresswahlen statt. "Hauptsächlich aber ist es ein Signal an den Iran, dass die USA ihre Verbündeten in der Region unterstützen", sagt Itzhaki. "Und der Beginn der Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien."
Quelle: ntv.de