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Hilfen für Israel und Ukraine? "Bürgerkrieg" der Republikaner schockfrostet US-Kongress

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Draußen ruhig, drinnen viel Wirbel: der US-Kongress in Washington D.C.

Draußen ruhig, drinnen viel Wirbel: der US-Kongress in Washington D.C.

(Foto: REUTERS)

Eine Handvoll abtrünniger Abgeordnete kann den US-Kongress handlungsunfähig machen – so wie aktuell. Grund sind Flügelkämpfe der Republikaner. Die könnten sich irgendwann zum internationalen Problem ausweiten.

Nur einen Tag lang sah es so aus, als wäre ein Ausweg gefunden. Doch am Donnerstagabend war klar, dass auch Steve Scalise die unterschiedlichen Gruppen der US-Republikaner nicht hinter seiner Führung im Repräsentantenhaus würde versammeln können. Er schmiss hin. Die Konservativen besitzen dort zwar eine knappe Mehrheit, aber sie sind nicht geschlossen; die Kongresskammer ist praktisch kopflos, seit Mitglieder des Trump-Flügels in einem historisch bislang einmaligen Vorgang gegen den Vorsitzenden Kevin McCarthy revoltierten und ihn gemeinsam mit den Demokraten absetzten.

Der Kongress ist derzeit nach außen hin handlungsunfähig. Er kann keine Gesetze verabschieden, weder Haushaltsgelder bewilligen noch neue Hilfen für die Ukraine im Krieg gegen Russland oder für Israel gegen die radikalislamische Hamas. Die möglichen Folgen gehen also weit über die USA hinaus, die innerparteilichen Kämpfe der Republikaner finden im Auge der beiden Kriege statt.

Für die Unterstützung der Ukraine hat der Kongress bislang 113 Milliarden US-Dollar bewilligt, davon maximal 62 Milliarden für Waffen, Munition und Gerät. Davon waren Anfang Oktober noch 5,6 Milliarden Dollar übrig. Nach Angaben des Außenministeriums reichte eine Auszahlung von 500 Millionen US-Dollar im Juni aus, um Bradley- und Stryker-Fahrzeuge, Luftverteidigungsmunition, Artillerie, Mehrfachraketensysteme, Panzerabwehrwaffen, Anti-Strahlungsraketen und Präzisionsmunition zu bezahlen.

Bleibt eine zusätzliche Finanzierung aus dem Kongress aus, reichen die Mittel für die Ukraine mindestens noch für die kommenden Monate. Vom bewilligten Geld ist einiges in mittel- bis langfristige Militärverträge geflossen. Wirtschafts- und humanitäre Hilfen würden wesentlich früher auslaufen. Dann müsste Europa in die Bresche springen. "Ohne ein starkes amerikanisches Engagement können wir es nicht schaffen", sagte der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Ende September. Und sollten sich Länder im Nahen Osten entschließen, in den Krieg gegen Israel einzutreten, wären aller Voraussicht nach ebenfalls die USA gefragt.

Knappe Mehrheiten, effektive Blockaden

Wirbt um Unterstützung: Hardliner Jim Jordan

Wirbt um Unterstützung: Hardliner Jim Jordan

(Foto: REUTERS)

Doch der innerparteiliche Konflikt hat den Kongress schockgefrostet: Nichts bewegt sich, solange sich die Republikaner streiten. Manche US-Medien bezeichnen die seit dem Ende von Donald Trumps Präsidentschaft stattfindenden Flügelkämpfe in der konservativen Partei gar als "Bürgerkrieg". Sie hat im Repräsentantenhaus 222 Sitze und damit eine knappe Mehrheit von 9 Stimmen gegenüber den Demokraten. Laufen 5 Abgeordnete über, ist die Mehrheit dahin. So wie Anfang Oktober.

Im Fall von McCarthy hatten die Rebellen unter Führung von Matt Gaetz gemeinsam mit allen Demokraten für dessen Absetzung gestimmt, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Mehrere abtrünnige Republikaner argumentierten, dass McCarthy bei den Haushaltsverhandlungen nicht konsequent genug auf eine Reduzierung der Staatsausgaben hingearbeitet hatte, sondern mit den Demokraten und Präsident Joe Biden gemeinsame Sache gemacht habe. Die US-Regierung ist wegen McCarthys Kompromissen mit den politischen Konkurrenten noch bis zum 17. November finanziert.

Durch die knappe Mehrheit ist die Bedeutung einzelner Stimmen wesentlich höher als in vorherigen Legislaturperioden. Womöglich sehen einzelne ultrakonservative Abgeordnete eine Chance, sich zu profilieren und ihre Forderungen durchzusetzen. Zugleich befürchten gemäßigtere Republikaner, in ihren Wahlkreisen abgestraft zu werden. Das Repräsentantenhaus wird alle zwei Jahre komplett neu gewählt, das nächste Mal im Zuge der Präsidentschaftswahl im November 2024.

Im US-Senat ist regelmäßig zu beobachten, wohin eine knappe Mehrheit führen kann. In der Kongresskammer hatte etwa der demokratische Senator Joe Manchin über ein Jahr lang ein Klima-Gesetzespaket der eigenen Partei blockiert; bis er unter anderem Zugeständnisse für seinen Bundesstaat West Virginia erreichte, in dem der Kohleabbau wirtschaftlich wichtig ist. Auch die inzwischen unabhängige Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona hatte Änderungen erwirkt.

Einer der republikanischen Abgeordneten mahnte seine Kollegen angesichts der Lagerkämpfe zur Weitsicht: "Alle unsere Differenzen mögen hier groß erscheinen, aber im Kontext von China auf dem Vormarsch, Russland auf dem Vormarsch, Terrorismus auf dem Vormarsch, weil sie Schwäche in Washington wittern, sind diese Differenzen verschwindend gering", sagte Mike Waltz aus Florida. "Wir müssen darüber hinwegkommen, unsere Köpfe aus dem Hinterteil ziehen, wie wir in der Armee sagen, und wieder an die Arbeit gehen."

Keine schnelle Lösung in Sicht

Der Interimsvorsitzende Patrick McHenry

Der Interimsvorsitzende Patrick McHenry

(Foto: dpa)

Doch derzeit sieht nicht viel danach aus. Neben dem gemäßigten Scalise hat sich auch Jim Jordan um den Vorsitz beworben, ein Hardliner, der den republikanischen Rebellen inhaltlich näher steht. Doch ob alle gemäßigten Konservativen mit dem häufig polemisch auftretenden Verbündeten Donald Trumps einverstanden sind, ist zweifelhaft. Einige sagten offen, sie wollten die Revolte gegen McCarthy und Scalise nicht auch noch mit ihrer Stimme für Jordan belohnen.

Eine solche Schockstarre der Legislative sollte eigentlich verhindert werden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 etwa hatte das Repräsentantenhaus die Regelung eingeführt, dass der gewählte Sprecher bei Antritt seines Postens eine Vertreterliste einreicht, damit im Falle von getöteten und unpässlichen Mitgliedern der Kongress handlungs- und entscheidungsfähig bleibt. Doch eine parteiinterne Revolte ist nicht vorgesehen. Der jetzige Interimsvorsitzende Patrick McHenry soll nur den Wahlprozess für einen Nachfolger überwachen.

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Und so könnte sich das Gezerre um die Führung im Repräsentantenhaus noch mehrere Wochen hinziehen. Womöglich läuft es irgendwann auf einen Kompromisskandidaten aller republikanischen Gruppen hinaus. Eine kreative Lösung könnte eine Doppelspitze sein; oder sogar, dass Republikaner und Demokraten einen gemeinsamen Kandidaten nominieren. Aber so viel Zusammenarbeit wäre dann wirklich überraschend. Und eine neue Eskalationsstufe des "Bürgerkriegs".

Hinter verschlossenen Türen scherzte McHenry am Donnerstag mit seinen Kollegen: Er könne die Republikaner ja ohne Nahrung und Wasser in einem Raum einschließen. Bis sie sich auf einen neuen Sprecher geeinigt hätten.

Quelle: ntv.de

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