"Unabwägbare Risiken" Bundeswahlleiterin warnt Scholz vor überstürzten Neuwahlen
08.11.2024, 17:37 Uhr Artikel anhören
Ruth Brand sieht "eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnten".
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Neuwahlen so bald wie möglich? Nicht, wenn es nach der Bundeswahlleiterin geht. Die sieht große Gefahren für die Demokratie und die Integrität der Wahlen, falls die Vorbereitungszeit zu knapp ist. Nun warnt sie den Kanzler in einem Brief.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand appelliert in einem Brief an Kanzler Scholz, auf dem Weg zu Neuwahlen nichts zu überstürzen. "Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt", heißt es in dem Brief, aus dem der "Spiegel" zitiert. "Dies könnte zu unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen." Das Schreiben trägt den Titel "Herausforderungen und Risiken einer vorgezogenen Neuwahl im Januar beziehungsweise Februar 2025".
"Es ist in jedem Fall wichtig, dass wir genügend Zeit für eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Bundestagswahl haben", sagte Brand RTL/ntv. Das betreffe nicht nur die Bundeswahlleitung, sondern auch die Wahllokale und die Kommunen. "Hier müssen nicht nur Wahllokale organisiert werden. Es müssen auch Ehrenamtliche gewonnen werden als Wahlhelfer. Hier sind viele logistische Vorbereitungen zu treffen", so Brand.
Die Bundeswahlleiterin verwies auf die fristengebundenen Vorbereitungen wie zum Beispiel die Wahlvorschlagseinreichung und die Feststellung, die von Landes- und Kreiswahlausschüssen zu treffen seien. Hinzu käme das Drucken der Stimmzettel. "Das ist heutzutage eine große Herausforderung", sagte Brand RTL/ntv. Zudem seien ehrenamtliche Wahlhelfer, die geschult werden müssten, über Weihnachten schwer zu gewinnen - für den Fall, dass die Wahl bereits im Januar stattfinden sollte. "Über Weihnachten Wahlen vorzubereiten, ist eine besondere Herausforderung", so Brand.
Olaf Scholz will die Vertrauensfrage am 15. Januar stellen und peilt Neuwahlen im März an. Die Opposition drängt jedoch auf einen deutlich früheren Termin. CDU-Chef Friedrich Merz verlangt von Scholz, bereits am kommenden Mittwoch die Vertrauensfrage zu stellen. Das würde bei Ausschöpfung aller Fristen eine Wahl spätestens am 2. Februar bedeuten. Scholz zeigte sich zuletzt offen für Gespräche über den Zeitplan der Neuwahl. "Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren", sagte er nach dem informellen EU-Gipfel in Budapest.
Aus der SPD gab es Kritik an Merz' Vorschlag, so bald wie möglich neu zu wählen. "Die Durchführung von Wahlen und der Wahltag selbst sind an rechtliche und praktische Voraussetzungen gebunden", sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. "Niemand unter den Vertretern der demokratischen Parteien darf aus taktischen Gründen riskieren, dass eine Bundestagswahl aus organisatorischen Gründen in Zweifel gezogen wird oder gar im Chaos endet."
Bundeswahlleiterin Brand schreibt in ihrem Brief laut "Spiegel" von verschiedenen Risiken. Unter anderem warnt sie davor, dass nicht etablierte Parteien, die Unterstützungsunterschriften sammeln müssten, unter Zeitdruck stünden. Außerdem könne es eine vermehrte Nichtzulassung von Wahlvorschlägen geben. Ein Grund dafür sei beispielsweise, wenn die Vorschläge fehlerhaft eingereicht werden, so Brand. Auch eine ordnungsgemäße Briefwahlvorbereitung könne schwierig werden, wegen überlasteter Wahlämter.
Es bestehe wegen fehlender Wahlunterlagen oder unzureichend geschulter Wahlvorstände die Gefahr, dass eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl nicht hinreichend gewährleistet werden könne - und zwar nicht nur in einzelnen Wahlbezirken, sondern in größerem Ausmaß. Dadurch sehe sie "eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte", schreibt die Bundeswahlleiterin.
Quelle: ntv.de, toh