"Die Arbeit muss getan werden" Butscha beerdigt seine Toten
04.04.2022, 16:26 Uhr
"Das würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen": Männer sind zwischen den Ruinen von Butscha unterwegs und sammeln die Leichen ein.
(Foto: picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire)
Ein Monat unter russischer Besatzung verwandelt den schmucken Kiewer Vorort Butscha in eine Höllenlandschaft. Nach der Hinrichtung zahlreicher Zivilisten haben die Besatzer eine Beerdigung verboten. Nun bergen die Überlebenden ihre Toten, wickeln sie in Plastiksäcke oder Bettlaken.
Ljuba führt ihren Nachbarn zum Rand der Grube im nassen Lehmboden. Hier in dem Massengrab soll sein Bruder liegen - eines der vielen Opfer der russischen Gräueltaten im ukrainischen Butscha. Doch dem Mann fehlt die Kraft, einen Blick auf die Toten zu werfen. Er sackt auf einem umgefallenen Baumstamm zusammen. In der Grube seien 57 Menschen notdürftig bestattet worden, sagt ein städtischer Angestellter. Einige stecken in schwarzen Leichensäcken, ein Toter ist in ein rot-weißes Bettlaken eingewickelt, daneben liegt eine rosa Frauensandale. Viele sind nicht einmal vollständig begraben. Hier ragt eine blasse Hand aus der Erde, dort ein Fuß in einem Stiefel. Schnee fällt auf die Toten, im Hintergrund sind die goldenen Kuppeln einer Kirche zu sehen.
Über einen Monat lang war die Kleinstadt im Nordwesten von Kiew von russischen Truppen besetzt und schwer umkämpft. Nach der Rückeroberung durch die ukrainische Armee Ende vergangener Woche wurde das Ausmaß der Gewalt und Zerstörung offenbar. Die Regierung in Kiew spricht von einem "Massaker". "Diese Wunde wird nie heilen", sagt die 62 Jahre alte Ljuba. "Das würde ich nicht einmal meinem ärgsten Feind wünschen."
Auf einer schmalen Straße in der Nähe des Massengrabes liegen weitere Tote. Vier Männer sind mit einem Transporter zwischen den Häuserruinen unterwegs, um die Leichen zu bergen. Einer der Toten hat seine Beine in den Rädern eines Fahrrads verheddert, andere liegen neben von Kugeln durchlöcherten Autos. Alle tragen Zivilkleidung. Einem sind die Hände mit einem weißen Stoffstreifen auf dem Rücken gefesselt, sein in eine Kapuze gehüllter Kopf liegt in einer roten Lache. Witali Schreka versucht, den Stoff zu zerschneiden, aber sein Taschenmesser versagt. Stattdessen entknotet der 27-Jährige die Fessel mit seinen blutverschmierten Handschuhen und zieht den Toten in einen Leichensack.
Mit dem Traktor ein Massengrab ausgehoben
Die Männer suchen die Leichen nach Ausweispapieren ab, um sie zu identifizieren. Dann legen sie sie in den Frachtraum. Als zwei Hunde sich den Toten nähern, wirft einer der Arbeiter ein Fahrrad nach ihnen. "Diese Arbeit muss getan werden", sagt Wladyslaw Mintschenko. Der 44-Jährige steht vor einem weiteren Toten, daneben liegen verschrumpelte Kartoffeln - der letzte Einkauf.
Die russischen Besatzer hätten verboten, die Toten zu begraben, sagt der städtische Angestellte Serhij Kaplytschnij. "Sie sagten, wir sollten sie liegen lassen, solange es kalt ist." Schließlich hätten die Russen seinem Team erlaubt, die Getöteten aus der Leichenhalle zu holen. "Wir haben mit einem Traktor ein Massengrab ausgehoben und alle begraben", sagt Kaplytschnij. Jetzt koordiniert er die Bergungsarbeiten in der Stadt.
Ukrainische Soldaten feiern den Sieg über den Feind in Butscha. Sie umarmen sich, kleine ukrainische Flaggen werden verteilt. Hilfskonvois rollen in die Stadt. Doch der Triumph macht den Horror der vergangenen Wochen nicht vergessen. An einem Tag habe sein Team zehn Leichen mit Kopfschüssen geborgen, sagt Kaplytschnij und fügt bitter hinzu: "Offenbar hatte ein Scharfschütze seinen Spaß."
Quelle: ntv.de, Joe Stenson, AFP