Viele Senioren betroffen Corona und die Angst vor der Einsamkeit
08.11.2020, 14:04 Uhr
Experten sehen in Deutschland strukturelle Probleme im Kampf gegen Einsamkeit im Alter.
(Foto: imago images/Westend61)
Während des Teil-Lockdowns wegen der Corona-Krise soll der soziale Kontakt erneut auf ein Minimum reduziert werden. Das belastet alleinstehende Senioren besonders. Doch Einsamkeit im Alter ist nicht nur in Pandemie-Zeiten ein großes Problem.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat sich für verstärkte Initiativen gegen Einsamkeit im Alter ausgesprochen. "Als Gesellschaft darf es uns nicht egal sein, dass Menschen - gerade wenn sie älter werden - vereinsamen", sagte die SPD-Politikerin. "Wir brauchen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, in Zeiten von Corona mehr denn je." In den ersten Corona-Monaten sei besonders deutlich zu spüren gewesen, wie sich Isolation und mangelnde soziale Kontakte auswirken könnten.
Seit einer Woche gelten erneut deutliche Kontaktbeschränkungen in Deutschland. Doch Experten sehen auch strukturelle Probleme im Kampf gegen Einsamkeit im Alter. "Die angespannte Haushaltslage in vielen Städten und Regionen blockiert vielerorts das Bewusstsein für die Gestaltungsaufgabe, die der demografische Alterungsprozess mit sich bringt", sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Die Kommunen hätten eine Schlüsselrolle für alten- und altersgerechte Strukturen, auch weil sich die Regionen unterschiedlich entwickelten. "Bislang ist jedoch eine seniorengerechte Infrastruktur nicht überall vorhanden oder wird nicht konsequent weiterentwickelt", sagte Lilie.
Neue Dringlichkeit in Pandemie
Der Diakonie-Präsident forderte, die Altenhilfe zur kommunalen Pflichtaufgabe zu machen. "Viele Kommunen bewerten die in der Altenhilfe festgeschriebenen Anliegen der Daseinsvorsorge, der gemeinwesenorientierten Seniorenarbeit als freiwillige Aufgabe und verzichten darauf, derartige Angebote finanziell zu unterstützen."
Caritas-Präsident Peter Neher sagte, hilfebedürftige Menschen bräuchten Versorgung, Teilhabe und Selbstbestimmung. "Und in der Pandemie stellt sich diese Frage mit neuer Dringlichkeit", so Neher. Jedes Gemeinwesen habe eine andere Zusammensetzung der Bevölkerung. Viele Politikfelder müssten zusammenwirken - Stadt- und Dorfentwicklung, Verkehr, Wohnen.
Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), Franz Müntefering, sagte: "In der Pandemie hat sich gezeigt: Viele sind bereit, Älteren zu helfen, in der Nachbarschaft, in der Familie." Doch viele Ältere seien allein. "In großen Städten wie Berlin gibt es besonders viele Ein-Personen-Haushalte. Angeblich um die fünfzig Prozent", sagte der frühere SPD-Chef. Bei über drei Viertel von ihnen handele es sich um junge Leute, und vier von fünf Älteren könnten noch selbst für sich sorgen.
"Zugehende Sozialarbeit nötig"
Doch viele Ältere drohten komplett zu vereinsamen. "Eine zugehende Sozialarbeit ist nötig", betonte Müntefering, "eine Gesellschaft, die das nicht achtlos hinnimmt, sondern zu helfen versucht." Müntefering forderte, den Kommunen per Gesetz die Aufgabe zu geben, sich mit Sozialarbeitern um die Betroffenen zu kümmern, und dafür auch die nötigen Mittel bereitzustellen.
Giffey betonte, der Bund leiste in den Kommunen "Hilfen zur Selbsthilfe". Sie erinnerte an Projekte, die durch ihr Haus angestoßen oder gefördert würden. Dabei gehe es etwa um Angebote vor Ort, "die den Menschen helfen, miteinander in Kontakt zu kommen, Patenschaften einzugehen und sich ehrenamtlich zu engagieren". Die Angebote richteten sich unter anderem an ältere Beschäftigte, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden, sowie an Hochbetagte.
Quelle: ntv.de, chf/dpa