Politik

Issacharoff und Fischer "Das ist der ultimative Sieg über die Nazis"

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Jeremy Issacharoff und Joschka Fischer in der israelischen Botschaft. Das Interview führte Philipp Sandmann (M.).

(Foto: RTL/ntv)

Im Doppelinterview sprechen der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff und Außenminister a.D. Joschka Fischer über die deutsch-israelischen Beziehungen, das Erbe von Donald Trump und darüber, was Angela Merkels Nachfolger(in) braucht, um erfolgreich zu sein. Das Interview wurde am 7. Mai aus Anlass des 20. Jahrestags der Eröffnung der israelischen Botschaft in Berlin geführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschuss Israels aus dem Gazastreifen noch nicht begonnen.

ntv.de: Herr Botschafter, Herr Fischer, lassen Sie uns die wichtigste Corona-Frage gleich am Anfang klären: Haben Sie schon einen Impf-Termin oder sind Sie schon geimpft?

Joschka Fischer: Ich bin schon geimpft.

Zweifach?

Fischer: Ja, zweifach. Ich bin 1948 geboren, also direkt nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Meine Generation wurde quasi von Geburt an geimpft. Unsere Mütter wurden nicht gefragt, ob sie ihre Kinder impfen wollen. Das war mehr oder weniger ein Befehl. Damals gab es noch viele Krankheiten, deswegen wurden sogar die Babys geimpft. Man kann also sagen: Ich bin mein ganzes Leben immer wieder geimpft worden - für mich ist das normal.

Und Sie, Herr Botschafter?

Jeremy Issacharoff: Wie Sie wissen, habe ich mich vor einem Jahr mit dem Coronavirus infiziert. Vor Kurzem hat die israelische Regierung entschieden, dass auch die Genesenen geimpft werden. Ich war also Ende März in Israel und habe meine Impfung bekommen. Man bekommt dort als Genesener eine Impfung. Die Wirksamkeit des Biontech/Pfizer-Impfstoffes ist wirklich sehr hoch.

Waren Sie von dem Corona-Management der israelischen Regierung beeindruckt, Herr Fischer?

Fischer: Ja, natürlich. Aber ich würde sagen, dass wir nicht zu kritisch mit Blick auf unsere Lage sein sollten und die Art und Weise, wie unsere Regierung die Krise bewältigt hat.

Aber waren Sie enttäuscht darüber, dass das Impfen bei uns am Anfang so schwerfällig gestartet ist?

Fischer: Als ein ehemaliges Mitglied einer Regierung weiß ich, dass das alles auch nur Menschen sind, die eine noch nie dagewesene Krise managen. Ich würde sagen, dass Israel wirklich einen extrem guten Job gemacht hat, aber wir sollten auch nicht so kritisch auf unsere Situation schauen.

Herr Botschafter, Herr Fischer, als dieses Gebäude der israelischen Botschaft vor 20 Jahren eröffnet wurde: Waren die deutsch-israelischen Beziehungen damals fragiler oder waren sie womöglich sogar stärker als heute?

Fischer: Die guten Beziehungen unserer beiden Länder gehen weiter, und zwar unabhängig von den Farben der jeweiligen Regierungskoalitionen - ob in Deutschland oder Israel. Das ist auch enorm wichtig. Ich würde also sagen, dass unsere Beziehungen sich über die Jahre hinweg verbessert haben.

Issacharoff: Die Beziehung zu Deutschland ist eine der sensibelsten Beziehungen, die Israel im Ausland hat. Deutsch-israelische Beziehungen können nie einfach nur "normal" sein. Sie werden immer einen besonderen Charakter haben. Nicht nur wegen der Geschichte, sondern auch wegen der Entwicklung dieser Beziehung hin zu einer vertrauten und engen Partnerschaft und sogar einer Freundschaft. Viele Dinge, die Joschka in seiner Zeit als Außenminister gesagt hat, gerade hinsichtlich der historischen Verantwortung, waren das Fundament für die starke und strategische Beziehung, die wir heute haben. Mich erfüllt es zutiefst, wenn ich daran denke, wie stark die Beziehung unserer beiden Länder geworden ist.

Sie haben über Herrn Fischer gesagt, dass er nicht nur ein Freund ist, sondern auch ein Mentor. Was haben Sie von Joschka Fischer gelernt?

Issacharoff: Ich bin mit Blick auf die deutsch-israelischen Beziehungen mit einer großen Demut nach Deutschland gekommen. Joschka sagte mir am Anfang - und ich hoffe, dass ich dich da korrekt zitiere: "Du musst wissen, dass der israelische Botschafter eine moralische Kraft hat und die Fähigkeit besitzt, die Beziehungen der beiden Länder zu prägen." Das ist etwas, was ich wirklich verinnerlicht habe.

Herr Fischer, in Ihrer Rede vor 20 Jahren haben Sie gesagt: "Das entschiedene Eintreten für das Existenzrecht Israels (…) bleibt ein unverrückbarer Pfeiler der deutschen Außenpolitik." Tut die deutsche Regierung genug, um dieser Verantwortung gerecht zu werden?

Fischer: Auf jeden Fall. Ich habe Angela Merkel nie gewählt und ich habe viel an ihr zu kritisieren. Aber wenn man sich die deutsch-israelische Beziehung anschaut und die verschiedenen Regierungen, die Merkel angeführt hat, dann haben alle diese Regierungen im Einklang mit den Prinzipien unserer Beziehungen gehandelt, seitdem diese von David Ben Gurion und Konrad Adenauer im Jahr 1965 aufgenommen wurden. Und das wird andauern, egal welche Regierung an der Macht ist. Da bin ich mir sicher.

Kritiker würden sagen, dass Deutschlands Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen hinsichtlich Israel nicht unbedingt diesen "unverrückbaren Pfeiler" widerspiegelt. Wie sehen Sie das, Herr Botschafter?

Issacharoff: Lassen Sie uns nicht vergessen, dass Heiko Maas im Mai 2019 ein starkes Statement gegeben hat, um Israel bei den Vereinten Nationen zu unterstützen, und es somit nicht zugelassen hat, dass Israel außen vor gelassen wurde. Das Ergebnis war, dass wir auch im deutschen Abstimmungsverhalten bei der Weltgesundheitsorganisation eine positive Veränderung gesehen haben und ein Jahr später auch in der Generalversammlung. Gibt es noch Verbesserungspotenzial? Ja, ich habe immer gesagt, dass ich den besonderen Charakter unserer bilateralen Beziehungen gerne auch auf multilateraler Ebene sehen würde.

Auch haben Sie in Ihrer Rede vor 20 Jahren gesagt, Herr Fischer, dass Antisemitismus und Rassismus in Deutschland leider wieder zugenommen haben. Angriffe gegen Juden passieren auch heute vermehrt, verbal und physisch. Der Terroranschlag in Halle ist ein trauriges Beispiel. Hat Deutschland weiterhin ein Problem mit Antisemitismus und auch Fremdenfeindlichkeit?

Fischer: Sie müssen sich ja nur die Kriminalstatistiken anschauen. Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir da ein Problem haben. Wir müssen Antisemitismus bekämpfen, und zwar mit der vollen Härte unserer Gesetze und unserer Strafverfolgungsbehörden. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ebenfalls furchtbar, aber Antisemitismus hat in diesem Land eine andere Assoziation. Das sollten wir nicht vergessen. Ich habe fast mein ganzes Leben dafür gekämpft, Deutschland als Einwanderungsland zu öffnen. Aber es muss glasklar sein, dass jeder, der hier leben will und ein Staatsbürger werden will, ein Staatsbürger Deutschlands wird - eines Landes, das eine einzigartige Geschichte hat. Das kann man einfach nicht ausblenden. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist also eine Anstrengung, die nicht aufhört.

Herr Botschafter, fühlen Sie sich sicher als Jude in Deutschland?

Issacharoff: Ja, ich fühle mich sicher, aber ich bin ebenfalls der Meinung, dass es unglaublich wichtig ist, dass jeder Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus entschieden entgegengetreten werden muss. Antisemitismus ist nicht nur ein Angriff auf Juden, es ist auch ein Angriff auf die moralische Identität Deutschlands als demokratische und tolerante Nation. Es gibt aber heutzutage einen wichtigen Unterschied: Wenn solche Angriffe passieren, dann steht man als Jude nicht allein da. Heute hat man das Gefühl, dass die Verantwortlichen in der Politik Seite an Seite mit einem stehen und ihre Solidarität zeigen. Das ermutigt mich, aber natürlich muss immer noch mehr getan werden.

Lassen Sie uns ein bisschen über Außenpolitik sprechen. Herr Fischer, Sie fordern ein größeres militärisches Engagement von Deutschland mit Blick auf seine eigene Sicherheit. Nun ist Joe Biden der neue Präsident der Vereinigten Staaten. Können wir uns jetzt wieder zurücklehnen?

Fischer: Auf gar keinen Fall! Wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Donald Trump wiedergewählt worden wäre. Ich glaube, dass die NATO keine weiteren vier Jahre überlebt hätte. Dieses Szenario war und ist auch immer noch eine Bedrohung für Europa und Deutschland. Wir haben ja gerade gesehen, wie fragil unsere Sicherheit sein kann, als der russische Präsident Putin Zehntausende Truppen an der ukrainischen Grenze aufgestellt hat. Wir sind als Europäer also in einer komplizierten Situation und brauchen unsere Bündnispartner. Die Lehre, die wir aus der Trump-Erfahrung ziehen sollten: Nach vier Jahren Donald Trump haben immer noch knapp die Hälfte der Amerikaner für ihn gestimmt. Wir müssen mehr tun, um die öffentliche Meinung in den USA zu beeindrucken, und wir müssen zeigen, dass die reichen Europäer gewillt sind, mehr Geld für ihre eigene Sicherheit auszugeben.

Wie sehen Sie die Situation im Nahen Osten?

Fischer: Wenn wir auf den Nahen Osten schauen, dann müssen wir als Deutschland auch über die Türkei sprechen. Wir Deutsche und Europäer haben ein großes Interesse daran, die Türkei nah an der westlichen Allianz zu halten. Natürlich ist der türkische Präsident Erdogan aber auch ein "komplizierter Verbündeter". Das hört sich widersprüchlich an, aber so funktioniert eben das Geschäft der Außenpolitik. Den Nahen Osten von heute kann man nicht mit dem Nahen Osten von vor 20 Jahren vergleichen. Die Region hat sich radikal verändert und auch das wird dramatische Auswirkungen auf uns Europäer und die NATO haben. Was passiert in Afghanistan, wenn dort all unsere Truppen abgezogen sind? Da steht uns eine große humanitäre Krise bevor. Über dieses Szenario müssen wir uns im Klaren sein, wenn wir Afghanistan verlassen.

Was erwarten Sie von der nächsten deutschen Regierung, Herr Botschafter? Es könnte eine ohne die Union werden…

Issacharoff: Ich erwarte, dass die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland weiterhin von Partnerschaft, Freundschaft und Respekt für die Vergangenheit geprägt sind, es aber auch den Willen gibt, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern ausgebaut werden. Für die Zukunft halte ich es für enorm wichtig, dass wir weiterhin in Austauschprogramme für junge Menschen investieren. Ich habe immer schon daran geglaubt, dass je mehr junge Menschen aus Israel und Deutschland die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen, desto besser das für die Beziehung ist - eine Win-Win-Situation. Wenn man einmal dieses grundlegende Engagement hat, dann würde ich natürlich erwarten, dass auch die nächste Regierung das hat. Das ist ein wesentliches Element.

Und eine Frage an Sie beide: Was braucht denn der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Angela Merkel, um erfolgreich zu sein? Erfahrung? Oder ist ein Neuanfang sogar ganz gut?

Issacharoff: Jede Regierung, die heutzutage neu ins Amt kommt, muss sich mit grundlegend anderen Herausforderungen auseinandersetzen als die vergangenen Generationen. Einige dieser Probleme brauchen eine Vielzahl an unterschiedlichen Lösungen. Man muss unkonventionell denken. Die Art und Weise zu regieren hat sich verändert, die Rolle der Medien und auch die Flut an Informationen. Viele dieser Dinge haben unsere Leben viel mehr verändert als wir überhaupt merken, insbesondere in dieser Pandemie. Und auch in diesem Kontext ist die deutsch-israelische Beziehung ein gutes Beispiel: Es gibt viel Expertise in Deutschland, die sich mit der Expertise in Israel verbinden lässt.

Fischer: Ich würde sagen, dass Angela Merkel den Deutschen ein Gefühl der Sicherheit gegeben hat, aber wir haben dafür einen hohen Preis bezahlt. Deutschland ist in vielen Belangen für die Herausforderungen unserer Zeit nicht gewappnet - die Digitalisierung ist da ein Beispiel. Wir sind auch nicht auf der Höhe der Zeit, wenn es darum geht, die Rolle der größten Wirtschaft und des größten Landes in der Europäischen Union einzunehmen. Unsere Beziehung zu Israel ist ebenfalls ein extrem wichtiger Aspekt - mit Blick auf die Geschichte, aber auch mit Blick auf unsere gemeinsamen Interessen. Auch hier müssen wir aktiver werden.

Wenn Sie beide in die Zukunft schauen: Was wird die deutsch-israelischen Beziehungen am meisten prägen?

Issacharoff: Besuche, wie der von Präsident Steinmeier in Yad Vashem und die besondere Rede, die er dort gehalten hat. Aber auch, als beide Präsidenten Auschwitz besucht haben und beide Präsidenten sich in Berlin getroffen haben. Ich werde das Bild von Präsident Rivlin und Präsident Steinmeier vor dem Brandenburger Tor nie vergessen, wie sie dort als die Präsidenten zweier Länder standen. Das hat für mich die unglaubliche Stärke unserer Beziehung gezeigt: Zwei Länder können die Erinnerung an das, was passiert ist, respektieren, können einen Ort besuchen, der für die grausamsten Schrecken des Holocaust steht, Auschwitz, und können danach zusammen auftreten und echte Freunde sein. Wenn Israel und Deutschland das schaffen, dann können wir alles schaffen. Für mich ist das eine inspirierende Botschaft für die Zukunft. Wir laufen nicht weg von den Momenten, in denen wir mal unterschiedlicher Meinung sind, und die Momente, in denen wir uns einig sind, gibt es viel öfter, als die anderen.

Fischer: Für mich ist die deutsch-israelische Beziehung ein Wunder. Es ist eines der wirklich seltenen Beispiele von Realpolitik - wenn man die Geschichte kennt. Für mich ist diese exzellente Beziehung der ultimative Sieg über die Nazis. Deutschland sollte das nicht vergessen. Niemals.

Mit Jeremy Issacharoff und Joschka Fischer sprach Philipp Sandmann

Quelle: ntv.de

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