Wieler und Lauterbach bei Lanz "Das neue 3G: geimpft, genesen oder gestorben"
18.11.2021, 06:37 Uhr
Intensivbetten wären da, es fehlt inzwischen allerdings an Pflegekräften.
(Foto: dpa)
Der Bundestag will heute über das Ende der epidemischen Notlage nationaler Tragweite entscheiden. Am Freitag kommt der Bundesrat zusammen. Was die Politik jetzt tun müsse, sei eigentlich klar, sagen RKI-Chef Wieler und SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach. Bis jetzt sei es viel zu wenig, klagt ein Intensivpfleger bei Lanz.
Die Corona-Lage ist dramatisch wie nie. In allen Teilen Deutschlands steigt die Zahl der Neuinfektionen steil nach oben. Das Gesundheitssystem droht zu kollabieren. Heute kommt unterdessen der Bundestag zusammen. Er wird in einer Sondersitzung über das Ende der epidemischen Notlage nationaler Tragweite beraten. Danach wird er es mit der Mehrheit der drei Ampelparteien vermutlich beschließen. Das bedeutet, dass in Zukunft nicht mehr die Regierungen von Bund und Ländern bindende Verordnungen für den Kampf gegen Corona erlassen können. Dafür sollen ab dem 25. November wieder die Parlamente zuständig sein.
Doch welche Möglichkeiten gibt es, die aktuelle Krise einzudämmen? Dazu haben sich am Abend Politiker und andere Fachleute geäußert. Und das gleich bei drei Diskussionen. Ihre Antwort: Impfen und 2G.
Brandrede des RKI-Chefs
Die deutlichsten Worte des Abends fand der Leiter des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, in einer Online-Diskussionsveranstaltung mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU. Dort machte Wieler in einer Wutrede seinem Ärger Luft. "Wir werden ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern", sagte der RKI-Chef. Die Zahl der Neuinfektionen steige ständig an. Im Moment liege sie offiziell bei 50.000, doch rechne man die wahrscheinliche Dunkelziffer dazu, sei sie doppelt oder dreimal so hoch. Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprach bei Markus Lanz im ZDF von etwa 100.000 Neuinfektionen pro Tag. Tendenz für die nächsten Wochen: "Ich weiß, dass die Neuinfektionen nicht sinken werden."
Auch die Lage in den Krankenhäusern wird laut Wieler immer schlimmer. "Wir waren noch nie so beunruhigt wie jetzt", sagte er. "Auf den Intensivstationen sind wir am Limit", klagte auch der Intensivpfleger Ralf Berning bei Lanz. Bundesweit gebe es 21.000 Intensivbetten. Das sind 6.300 Betten weniger als vor einem Jahr. Grund: Der Mangel an Krankenpflegern. Berning, der in einem Krankenhaus in Bielefeld arbeitet: "Auf unserer Station haben wir 16 Betten, von denen wir aber nur zehn benutzen können. Die anderen sind gesperrt. Wir könnten sie in Betrieb nehmen, aber wir haben nicht genug Personal."
Immer mehr Pflegekräfte flüchteten aus dem Dienst, so Berning. Richtig sei: Es seien noch nie so viele Pflegekräfte in der Ausbildung, aber es hätten auch noch nie so viele die Ausbildung wieder hingeworfen. Mit Blick auf die Politik sagte Berning: "Es kommen nur Lippenbekenntnisse, sonst passiert nichts." Sein Fazit: "Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir bald nicht mehr über 2G reden müssen, sondern über 3G: Geimpft, genesen oder gestorben."
Wieler für Impfungen in Apotheken
Das RKI habe frühzeitig sehr klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen, sagte Lothar Wieler. Schon Ende Juli habe das Institut gewarnt, dass die vierte Welle alle bisherigen deutlich übertreffen könnte, wenn die Impfquote nicht deutlich steige. Das bestätigte auch Karl Lauterbach im ZDF und erklärte, die aktuelle Delta-Variante des Virus sei sechsmal ansteckender als die Ausgangsvariante. Deshalb gebe es bei dem einen Drittel Ungeimpfter mehr Infektionen als bei der ganzen Bevölkerung vor einem Jahr, als es noch keinen Impfstoff gab. "Aber die Impfung hilft super bei allen, die geimpft sind", sagte er.
Deswegen wollen Lauterbach und Wieler, dass mehr Menschen geimpft werden. Zumindest Lauterbach ist jedoch vorsichtig, was eine allgemeine Impfpflicht angeht. Sie würde zumindest bei der Bekämpfung der vierten Welle nicht helfen. Allerdings scheint sich Lauterbach schon Sorgen wegen einer fünften Welle zu machen, auch wenn er das am Mittwochabend nicht direkt ansprach.
Um das Impftempo zu erhöhen, sollte nach der Ansicht von RKI-Chef Wieler in Zukunft auch in Apotheken geimpft werden. "Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen, sonst kriegen wir diese Lage nicht in den Griff", sagte der Wissenschaftler.
Bundesweite 2G-Regel
Wieler forderte zudem die dringende Einführung der bundesweiten 2G-Regel. Und damit stößt er nicht nur bei Karl Lauterbach auf offene Ohren. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach sich in der ARD-Talkshow Maischberger dafür aus - und hat sie in Bayern bereits eingeführt. Am Donnerstagnachmittag könne sie die Ministerpräsidentenkonferenz beschließen. Gleichzeitig schlug Söder vor, Weihnachtsmärkte entweder ganz zu verbieten oder dort eine Maskenpflicht und ein Alkoholverbot auszusprechen. Er hält Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte über Weihnachten für sinnvoll, und er will, dass sich auch Fußballspieler an die 2G-Pflicht im Stadion halten sollen. "Es gibt eine moralische Impfpflicht für alle, um sich und den Nachbarn zu schützen", sagte er in der ARD.
"Richtig in die Eisen gehen"
Schließlich wies Karl Lauterbach darauf hin, dass möglichst viele Menschen dringend eine Boosterimpfung brauchen. Damit hätte man schon viel früher anfangen können, denn dass eine dritte Impfung notwendig sein würde, habe man bereits im Juli gewusst. Um ein Chaos zu verhindern, solle man zunächst bei alten Menschen mit der dritten Impfung beginnen. Lauterbach verlangte, die Impfzentren so schnell wie möglich wieder hochzufahren. Der Impfstoff für die Boosterimpfungen sei da. Lauterbach: "Jetzt müssen wir richtig in die Eisen gehen und das schaffen!"
Quelle: ntv.de