Brüssel zeigt Biss beim Brexit So lässt die EU May abblitzen
31.03.2017, 13:55 Uhr
Schlechte Nachrichten für Großbritannien: EU-Ratspräsident Donald Tusk will den Brexit in zwei Phasen aushandeln.
(Foto: REUTERS)
Die EU wird den Briten nichts schenken. Zwei-Stufen-Plan, Übergangsphase - die Prinzipien für die Brexit-Gespräche widersprechen allen britischen Wünschen. Brüssel fordert London sogar in einem Punkt heraus.
Der Scheidungsbrief, den London Mitte der Woche in Brüssel eingereicht hat, war freundlich und konziliant. Die Antwort aus Brüssel fällt deutlich unterkühlter aus. Der Brief, in dem EU-Ratspräsident Donald Tusk die europäischen Prinzipien vorstellt, signalisiert, dass die 27 verbliebenen EU-Staaten keinen Kuschelkurs wollen. Gegen Süßholzraspeln gibt man sich genauso immun wie gegen die monatelange Kraftmeierei, die dem Scheidungsantrag vorangegangen ist.
Damit sind Fronten für die eigentlichen Verhandlungen geklärt: Großbritannien will etwas von der EU und nicht umgekehrt. Brüssel antwortet mit neun Seiten auf den sechsseitigen Londoner Brief. Nicht nur der Ton, auch der Umfang zeigt, wer hier in den kommenden zwei Jahren die Leitplanken und das Tempo für die Verhandlungen vorgibt.
Erst das eine, dann das andere
Die europäischen Leitlinien widersprechen in allen wichtigen Punkten dem, was Premierministerin Theresa May sich in ihrem Brief gewünscht hat. Die EU will den Brexit in zwei Schritten verhandeln und auf keinen Fall Parallelverhandlungen, wie die Briten es wollen. Zuerst soll die Trennung Großbritanniens von der EU erfolgen und danach die Grundlage für die künftige Zusammenarbeit mit Großbritannien gelegt werden. Auf dieser Abfolge beharrt die Union.
"Einen Start paralleler Gespräche über alle Themen gleichzeitig, wie einige in Großbritannien das fordern, wird es nicht geben", sagte Tusk bei der Vorstellung der europäischen Prinzipien für die Brexit-Verhandlungen in Valletta auf Malta. Ein Handelsabkommen steht für London auf der Prioritätenliste weit oben. Wenn Großbritannien den EU-Binnenmarkt verlässt, werden Zölle fällig. Das wird teuer. Das britische Finanzministerium schätzt, dass die britische Wirtschaft ohne ein Handelsabkommen mit der EU um 7,5 Prozent einbrechen wird. Es drohen jährliche Steuerausfälle von 45 Milliarden Pfund. Die zweijährige Verhandlungsdauer für die Austrittsgespräche - in Wirklichkeit sind es auch nur 18 Monate, weil die Parlamente dem Abkommen noch zustimmen müssen - ist knapp bemessen. London will auf jeden Fall vermeiden, ohne ein Abkommen dazustehen.
Umgekehrt muss die EU nach dem markigen Auftreten der Londoner Politiker in den vergangenen Monaten aber befürchten, dass sie, wenn sie vorschnell Privilegien einräumt, bei ihren Forderungen leer ausgehen wird. Im Streit geht es auch um Zahlungsverpflichtungen der Briten gegenüber Brüssel. In den Leitlinien fordert Brüssel Großbritannien deshalb explizit dazu auf, alle "juristischen und finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen", die es mit der EU-Mitgliedschaft übernommen hat.
May hatte in ihrem Brief vom Mittwoch zwar beteuert, dass London seinen Verpflichtungen nachkommen werde, hatte aber auch in Aussicht gestellt, dass es seinen Anteil an EU-Vermögenswerten fordern werde. Der Punkt droht heikel zu werden. Deshalb kommt die EU den Briten auch nur so weit entgegen, dass sie lediglich die Möglichkeit für Freihandelsgespräche vor dem Brexit-Vollzug in Aussicht stellt. Dafür müsse das Vereinigte Königreich allerdings auch für "substanzielle Fortschritte" in den Austrittsgesprächen sorgen, lautet die Bedingung. Und zwar schon in der ersten Phase der Brexit-Verhandlungen, die laut Tusk "bis zum Herbst" dauern dürfte. Und eine eine Drohung gibt es gleich noch mit frei Haus: Alle Versuche, Unternehmen mit leichterer Regulierung und Steuervorteilen zu locken, werde die Aussicht auf ein Abkommen schmälern, heißt es. Diese Warnung hatte zuvor Deutschland in Richtung London geschickt.
Übergangsphase nach 2019
Das Beharren auf dem Zwei-Stufen-Plan ist ein Affront für Großbritannien. Die britische Regierung wird sich aber nicht nur daran reiben. Eine Kampfansage ist auch das "Übergangsabkommen" nach dem Brexit 2019, das die EU in ihrem Schreiben ins Spiel bringt. Großbritannien soll so lange die EU-Gesetze akzeptieren, bis ein Freihandelsabkommen abgeschlossen ist. Dazu zählen finanzielle Verpflichtungen und die Unterwerfung unter die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Gerade das hatte sich London anders vorgestellt. Ziel war es, schnell von der EU abzudocken, damit britisches Geld nicht mehr "sinnlos" in der europäischen Bürokratie versickert. Großbritannien will sich selbst regieren. Das Modell Lebenspartnerschaft nach der Scheidung war nicht der Plan.
Der eigentliche Stachel liegt aber noch woanders: Die EU spricht in ihrem Schreiben direkt ein mögliches Scheitern der Brexit-Verhandlungen an. Auf diesen Hinweis hatte die britische Premierministerin in ihrem Brief bewusst verzichtet. Die EU begibt sich damit auf Augenhöhe zu Brexit-Hardlinern wie dem britischen Außenminister Boris Johnson, der in der Vergangenheit gerne betont hat, ein "harter Brexit" sei "völlig okay".
27 gegen 1
Beide Seiten haben damit jetzt auch klargemacht, dass es in dem Streit auch darum geht, Druckmittel in der Hand zu behalten. London knüpft in seinen Leitlinien die Frage des freien Zugangs zum EU-Binnenmarkt an die Sicherheitsfrage und macht der EU damit Druck, dass sie künftig von britischen Geheimdienstinformationen abgeschnitten sein könnte. Brüssel antwortet darauf nun mit den klaren Worten: Erst das eine, dann das andere.
Als Tusk vor zwei Tagen den offiziellen Scheidungsantrag Großbritanniens entgegengenahm, sagte er, es gebe keinen "Grund, so zu tun, als sei dies ein glücklicher Tag". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fand warme Worte: "Lasst uns Freunde bleiben." Die Zeit des Menschelns ist vorbei. "Paradoxerweise" bringe der Brexit "auch etwas Positives", sagte Tusk noch. Er habe die Einigkeit und Entschlossenheit der 27 anderen EU-Staaten gestärkt. Der Brief aus Brüssel stellt in dem Sinne noch etwas klar: "Es wird keine separaten Verhandlungen" zwischen einzelnen Hauptstädten und Großbritannien geben. Für die Briten ist das eine schlechte Nachricht.
Quelle: ntv.de