Fraktionschefs Miersch und Spahn Der Erfolg von Schwarz-Rot hängt an unmöglichem Duo


Matthias Miersch und Jens Spahn müssen ihre Fraktionen zusammenführen, damit Schwarz-Rot gelingen kann.
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Auf den Sozialdemokraten Miersch und CDU-Politiker Spahn wird es ankommen, damit die Regierung Merz Erfolg haben kann. Doch die zwei, die da zueinanderfinden müssen, könnten kaum unterschiedlicher sein.
Nach der Wahl von Jens Spahn zum Chef der Unionsfraktion ist nun auch klar, wer die zweite Regierungsfraktion anführen wird. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat den ins Finanzministerium gewechselten SPD-Chef Lars Klingbeil als Fraktionsvorsitzenden abgelöst. Er wird die 120 SPD-Abgeordneten durch die Legislaturperiode unter Bundeskanzler Friedrich Merz leiten. Eine Zeit, in der die SPD unbedingt zum Regierungserfolg beitragen muss, wenn die politischen Ränder nicht noch stärker werden sollen. Eine Zeit, in der die SPD aber auch unbedingt an Profil gewinnen muss, nachdem sie am Ende der Ära Olaf Scholz mit historisch schlechten 16,4 abgestraft wurde. Für beides braucht sie einen Fraktionsführer, der vor allem eines kann: mit Jens Spahn zurechtkommen. Doch beide Männer könnten politisch und charakterlich kaum unterschiedlicher sein.
Es ist schon bemerkenswert, dass mit Miersch, der in eingetragener Partnerschaft lebt, und Spahn, der mit Daniel Funke verheiratet ist, zwei schwule Männer dieses exponierte Amt ausüben. Bemerkenswert deshalb, weil die sexuelle Orientierung der beiden keine Nachricht mehr ist. Das war zu Zeiten von Klaus Wowereit oder Guido Westerwelle noch ganz anders.
Zugleich ist durch die breite Akzeptanz von Homosexualität der Erklärungsdruck auf Politiker offenkundig geschwunden. Miersch und Spahn reden fast nie öffentlich über ihre Sexualität. Der Münsterländer Spahn teilt ab und an ein privates Foto auf Instagram. Miersch ließ die Öffentlichkeit nur wissen, dass er und sein Partner gerne mit ihrem Campingbus verreisen. Die beiden Fraktionschefs teilen bestimmte Lebenserfahrungen und Perspektiven. Ihre politische Vita geht dennoch weit auseinander.
Der Hardliner mit der steilen Karriere
Spahn versteht sich als Katholik, gibt parteiintern immer wieder den konservativen Hardliner. Der gelernte Bankkaufmann und studierte Politikwissenschaftler machte früh Karriere in der Politik: Mit 22 Jahren zog er in den Bundestag ein, war mit Mitte 30 schon Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, stieg zum Bundesgesundheitsminister auf und managte, kaum 40 Jahre alt, aus diesem Amt heraus die Corona-Pandemie. Das klappte anfangs so reibungslos, dass Spahn als kommender Kanzler galt - trotz seiner 2018 deutlich gescheiterten Bewerbung um den Parteivorsitz der CDU. Doch als die Ampelparteien übernahmen, schien Spahns Karriere plötzlich im Sinkflug.
Vorwürfe der Kumpanei und Steuermittelverschwendung bei der Anschaffung von Corona-Masken wurden laut. Auf Recherchen, wie sich ein junger Bundesminister privat eine mehr als vier Millionen Euro teure Villa leisten konnte, reagiert Spahn dünnhäutig. Sein Verhältnis zum Unionsfraktionschef Merz galt als belastet. Spahn haftet der Ruf eines Ehrgeizlings an. Aber auch das eines fleißigen Mannes und Netzwerkers: In der Oppositionszeit erfand sich Spahn als Wirtschaftspolitiker neu und trieb die Regierungsparteien mit oft beißend scharfer Kritik vor sich her. In den Talkshows des Landes wurde Spahn Dauergast.
Spahn war plötzlich eine von Merz' schärfsten Waffen - und wurde mit dem Fraktionsvorsitz belohnt. Möglichen Kanzlerambitionen kann Spahn auf diesem Posten weiter nachgehen. Das Amt ist aber auch ein Loyalitätstest: Wird sich Spahn ohne Wenn und Aber hinter den Kanzler stellen, auch wenn er die Dinge mal anders sieht als Merz? Und wie hält es Spahn mit der AfD? Seine Äußerungen zur AfD über Ostern kamen aus Sicht der Koalitionsparteien in spe nicht nur zur Unzeit. Sie wurden auch deshalb als Versuch einer Normalisierung der Rechtsaußenpartei gedeutet, weil sich Spahn in Ton und Themen zuletzt immer weniger von der AfD unterschied.
Der linke Anwalt ist am Ziel
Der zwölf Jahre ältere Miersch zog erst sieben Jahre nach Spahn in den Bundestag ein. Zuvor hatte er, parallel zum politischen Engagement, in Hannover eine beachtliche Laufbahn als Rechtsanwalt hingelegt. Zu seinen größten Erfolgen zählt Miersch die Rettung der Kartoffelsorte "Linda", welche die Saatgutechte-Inhaberin vom Markt nehmen wollte, kurz bevor die Lizenzierung ohnehin abgelaufen war. Und Miersch war es, der der bosnischen Flüchtlingsfamilie Ahmetovic half, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können. Der Sohn jener Familie, Adis Ahmetovic, ist seit 2020 Vorsitzender der SPD Hannover und zog ein Jahr später in den Bundestag ein.
Miersch zählt zum linken Flügel der Partei, war Vorsitzender der Parlamentarischen Linken und auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Er galt in den Ampeljahren als Fraktionschef im Wartestand, stellte sich aber geduldig hinten an, als der beliebte Amtsinhaber Rolf Mützenich verlängerte. Dafür ereilte Miersch im vergangenen Herbst der unerwartete Ruf ins Willy-Brandt-Haus: Er ersetzte den überraschend zurückgetretenen Kevin Kühnert und hatte - nach dem Platzen der Ampel - vier Wochen später eine Bundestagswahlkampagne auf die Beine zu stellen. Miersch hinterließ in der Parteizentrale Eindruck mit seinem mitunter auch fordernden Arbeitseifer. Die Kampagne selbst aber war und ist in der SPD umstritten.
Trotz des desaströsen Wahlergebnisses steigt Miersch nun weiter auf - wie Parteichef Klingbeil, mit dem Miersch eng zusammenarbeitete. Der langjährige und leidenschaftliche Umwelt- und Energiepolitiker Miersch, der für die SPD die Änderungen an Robert Habecks Heizungsgesetz verhandelt hatte, wäre fachlich prädestiniert gewesen für das Umweltministerium. Noch ein Niedersachse im Kabinett neben Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius wäre aber parteiintern nicht zu vermitteln gewesen. So ging das Ministerium an den völlig fachfremden Thüringer Carsten Schneider, der zuvor Ostbeauftragter der Bundesregierung war.
Zwei Männer vor großen Aufgaben
Miersch wie Spahn verstehen fraglos die Rolle eines Fraktionsvorsitzenden. Beide waren in den Ampeljahren parallel Vize-Chefs, beide gehörten der 19-köpfigen Entscheidergruppe in den Koalitionsverhandlungen an. Spahns Truppe besteht, wegen der Zugewinne auf 208 Mandate, zu 25 Prozent als Bundestagsneulingen. Mierschs Fraktion ist da schon einfacher zu managen: In der auf 120 Abgeordnete geschrumpften Fraktion sind gerade einmal 11 Männer und Frauen neu im Parlament. Welche Vorteile Erfahrung mit sich bringt, hat sich schon in den Koalitionsverhandlungen mit der Union gezeigt. Nach allgemeiner Lesart hat die besser vorbereitete SPD dort mehr für sich herausholen können, als angesichts der Kräfteverhältnisse im neuen Bundestag zu erwarten gewesen wäre.
Auch nach der Regierungsbildung wird sich die SPD noch so manchem Vorhaben der stärksten parlamentarischen Kraft entgegenstellen. Die Vorstellungen der Union in der Migrations- und Sozialpolitik gehen den Sozialdemokraten zu weit. Noch in dieser Woche könnte die Uneinigkeit über die Auslegung des Koalitionsvertrags in puncto Zurückweisungen an den Grenzen zum Streit eskalieren. Miersch und Spahn erwartet damit ihre Feuertaufe: Sie müssen unterschiedliche Standpunkte möglichst nicht-öffentlich klären und die jeweiligen notorischen Streithähne in der eigenen Fraktion im Griff behalten.
An Selbstbewusstsein mangelt es beiden nicht, doch ihr Auftreten könnte nicht unterschiedlicher sein. Spahn kann breitbeinig auftreten, mag das Rampenlicht und langt verbal auch mal zu. Wie wenig das Miersch liegt, war im Bundestagswahlkampf zu beobachten. Als personifizierte Abteilung Attacke hätte der SPD-Generalsekretär Merz angreifen müssen. Doch der leiser sprechende, höfliche Miersch blieb bei aller inhaltlichen Schärfe stets sanft im Ton.
Das abwechselnde Kräftemessen und Kooperieren mit Spahn scheut Miersch dennoch nicht. Nach seiner Wahl zitierte der neue SPD-Fraktionsvorsitzende die Parteiikone Kurt Schumacher: "Man muss begeistert sein, um große Taten zu vollbringen." Begeisterung in seiner Fraktion zu wecken für die neue Rolle als Juniorpartner der Union: Das dürfte für Miersch noch zur eigentlichen Herausforderung werden.
Quelle: ntv.de