Politik

Proteste gegen Agentengesetz Der "Georgische Traum" gibt vorerst nach

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Rauch vor dem Parlament in Tiflis: Am Abend des 8. März protestierten Tausende gegen das sogenannte Agentengesetz.

(Foto: dpa)

Erst zieht die georgische Regierung das sogenannte Agentengesetz vor, dann zurück. Doch das scheint ein Spiel auf Zeit zu sein. Und nun haben die Demonstrierenden einen weiteren Grund, um auf die Straße zu gehen.

In Georgien ist der 8. März ein Feiertag, an dem Frauen traditionell vor allem Blumengeschenke gemacht werden. In diesem Jahr war es in der Hauptstadt Tiflis anders: Statt Blumen zu erhalten, wurden viele junge Georgierinnen mit Tränengas und Wasserwerfern bedacht. Eine große, friedliche Demonstration, die vor allem von Studierenden getragen war, wurde in der Nacht durch ein brutales Eingreifen von Sondereinheiten der Polizei gewaltsam aufgelöst.

Hintergrund ist die Verabschiedung des sogenannten Agentengesetzes, das die Regierungspartei, der "Georgische Traum", tags zuvor in erster Lesung durch das Parlament gepeitscht hatte. Das Gesetz war im Februar von einer rechten Splittergruppe der Regierungspartei eingebracht worden und sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen, Medien und möglicherweise sogar Individuen, die mindestens 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, sich künftig als "ausländische Einflussagenten" registrieren müssen.

Wie in den USA? Oder wie in Russland?

An dem Gesetz hatte es in den letzten Wochen breite internationale Kritik gegeben. Die Europäische Union, der Europarat, zahlreiche Botschaften, sogar die UN erklärten, das Vorhaben sei schädlich für die internationale Entwicklungszusammenarbeit in Georgien, laufe den im letzten Jahr erklärten Ambitionen des Landes zuwider, ein Beitrittskandidat der EU zu werden, es sei Ausdruck sich verstärkender autoritärer Tendenzen und ein großer demokratischer Rückschritt. "Wenn in Georgien Nichtregierungsorganisationen als ausländische Agenten stigmatisiert werden, dann bleiben viele Menschen mit Behinderungen, Binnenvertriebene, Minderheiten, ältere Menschen, Opfer häuslicher Gewalt oder andere schutzbedürftige Gruppen ohne effektive Unterstützung", hieß es in einer Erklärung der UN.

In Antwort auf die internationale Kritik versuchte die Regierung, das Gesetz als "westlich inspiriert" darzustellen. In den USA etwa gebe es FARA, den "Foreign Agents Registrations Act", der eine analoge rechtliche Regelung sei, und überhaupt gehe es bei der Initiative nur um legitime Transparenz, insbesondere des regierungskritischen, vom Ausland gesteuerten Teils der Zivilgesellschaft. Diese Lesart verfing allerdings nicht, und Anfang der Woche kam der internationale Protest dann auch in der breiten georgischen Gesellschaft an. Zahlreiche Künstler, Wissenschaftler und Sportler schlossen sich der Kritik an. Chwitscha Kwarazchelia, Stürmerstar beim SSC Neapel und gegenwärtig einer der prominentesten Georgier, postete auf Facebook, Georgiens Zukunft sei in Europa. Dafür erntete er binnen weniger Stunden über 60.000 Likes.

In den sozialen Medien wurde die Initiative der Regierung als das "russische Agentengesetz" diskutiert. Damit wird Bezug genommen auf ein Gesetz, das der frisch für eine dritte Amtszeit gewählte Präsident Putin 2012 in Russland annehmen ließ und das in den Folgejahren die rechtliche Grundlage für eine schrittweise Schließung praktisch aller unabhängiger NGOs im Land bildete. Es kam von daher nicht überraschend, dass die Sprecherin des russischen Außenministeriums die EU dafür kritisierte, im Zusammenhang mit dem Agentengesetz in Georgien "die Grenzen des Anstandes zu überschreiten" und "Druck auf georgische Bürger auszuüben".

133 Festnahmen

Ursprünglich sollte das Gesetz erst am Donnerstag in erster Lesung behandelt werden, doch nachdem die Zivilgesellschaft für diesen Tag zu einer Großdemonstration aufgerufen hatte, zog die Regierung die Abstimmung kurzfristig auf Dienstag vor und signalisierte damit, dass sie in großer Eile sei, das Gesetz in Kraft zu setzen. Bereits während der Abstimmung am Dienstag kam es zu einer spontanen Demonstration vor dem Parlament, die am späten Abend mit Wasserwerfern und Tränengas gewaltsam aufgelöst wurde. Das Bild einer Frau, die im Wasserstrahl entschlossen eine Europafahne schwenkt, ging viral.

Die Demonstrationen setzten sich am nächsten Tag in noch größerem Umfang fort. Jetzt waren es vor allem junge Menschen, die erklärten, ihre Zukunft sei Europa, Georgien sei nicht Russland. "Nein zum russischen Gesetz" war der dominierende Slogan am Abend. Nachdem die georgische Nationalhymne und die Europahymne gespielt worden waren, forderte die Polizei die Demonstrierenden auf, die Kundgebung zu beenden, und als das nicht passierte, wurde die Versammlung mit brutaler Gewalt aufgelöst. Bei den Auseinandersetzungen wurden an beiden Protesttagen insgesamt 133 Demonstrierende festgenommen.

Unter dem Eindruck der Proteste erklärte die Regierungspartei am Donnerstagmorgen, sie werde das Gesetz zurückziehen. Doch das scheint ein Spiel auf Zeit zu sein. Man wolle das Gesetz besser erklären, hieß es. Das klang jedoch so, als ob an der Substanz nichts geändert werden solle. Ob die georgische Bevölkerung den Erklärungen des "Georgischen Traums" Glauben schenken wird, bleibt abzuwarten. Die Menschen haben jetzt jedenfalls einen weiteren Grund zum Protestieren: nicht nur gegen das Agentengesetz, sondern auch noch gegen exzessive Polizeigewalt.

Stephan Malerius leitet das Regionalprogramm Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis.

Quelle: ntv.de

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